Hamburg. Hamburger Pianistin macht bei Bartok den Flügel in der Laeiszhalle beinahe zum Schlaginstrument. Auch ihr Chopin war denkwürdig.

Leicht machte es sich Anna Vinnitskaya zum Auftakt ihres Klavier-Recitals im Großen Saal der Laeiszhalle mit den vier Balladen op. 10 von Johannes Brahms nicht. Logisch, dass diese Komposition des damals erst 21-Jährigen nicht so ausgefeilt ist wie spätere Werke. Manchmal blitzt der reife Brahms durch, aber die Balladen sind nicht leicht zum Leuchten zu bringen.

Anna Vinnitskaya gelang es dennoch streckenweise. Besonders in der vierten Ballade H-Dur mit der zarten Pianissimo-Melodie entstand eine berührende Poesie. Und in der ein wenig auftrumpfenden dritten Ballade h-Moll bekam man schon einmal eine Ahnung vom virtuosen Kaliber der Wahlhamburgerin aus Novorossijsk am Schwarzen Meer.

Vinnitskaya macht Flügel zum Schlaginstrument

War bei Brahms besonders Sensibilität und Verständnis der verschachtelten Strukturen gefordert, so dachte man bei Béla Bartóks Sonate Sz 80 auch an ein lockeres Handgelenk und gleichzeitig Kraft. Denn stellenweise ließ sich der Eindruck gewinnen, der Flügel werde zum Schlaginstrument. So unerbittlich, motorisch und manchmal die Grenzen der Dynamik sprengend hämmern die Rhythmen.

Sehr schwer, hier locker und genau zu bleiben, und vor allem Musik zu machen. Doch mit ihrer stupenden Technik servierte Anna Vinnitskaya klar konturierte Strukturen und blieb messerscharf präzise. Im Mittelsatz tauchte sie in eine mystische Atmosphäre. Und im archaischen Schluss-Allegro molto hielt man den Atem an, angesichts der schwirrenden und jagenden Klänge. Grandios gespielt. Respekt.

Milder und wilder Nahkampf bei Schumann

Mit Schumann und Chopin ging es im zweiten Teil wieder in dynamisch gemäßigtere Regionen. Allerdings hatte Schumanns nicht allzu oft gespielte Novellette fis-Moll op. 21/8 auch ein paar sperrige Seiten. Da liefern sich Florestan, der Wilde und Eusebius, der Milde – von Schumann erfundene Fantasiefiguren, die die zwei Seelen in seiner Brust abbilden – "Duelle“ auf engstem Raum. Mild und wild, der Nahkampf geht unentschieden aus. Anna Vinnitskaya brachte beide Seiten mit Passion zum klingen.

Bei der folgenden Arabeske op. 18 ist die Stimmung einheitlicher. Perlende, verschlungene Tongirlanden, traumverlorene Abschnitte und ein offener, sich verflüchtigender Schluss. Diese nachdenklichen Facetten beherrschte Anna Vinnitskaya genauso wie die virtuose Brillanz.

Wütend rollenden Basstriller beim Trauermarsch

Beide Seiten kamen zum Schluss bei Chopin zweiter Sonate in b-Moll noch einmal eindrücklich zur Geltung. Unglaublich die Kraft und Energie, mit der Anna Vinnitskaya den aufgeheizten Gestus des ersten Satzes anpackte, Wie sie dann im Scherzo noch einmal ein raketenartiges Feuer "abfackelte“, um im dritten Satz, dem berühmten Trauermarsch, die wütend rollenden Basstriller einer kaum für möglich gehaltenen Pianissimo-Melodie und staunenswerten noch leiseren Begleitfiguren gegenüberzustellen. Das hatte eine Intensität, der sich niemand entziehen konnte.

Großer Jubel zum Abschluss dieses Konzerts in der ProArte-Reihe "Meisterpianisten“ und mit Schumann und Chopin noch zwei so kurze wie poetische Zugaben.