Hamburg. In seinem neuen Roman „Maschinen wie ich“ entwickelt der britische Autor Ian McEwan eine philosophisch grundierte Zukunftsvision.

Unter den aktuellen Ängsten der Menschheit ganz weit vorne: die Sorge, auf dem ausgedörrten Planeten zu verdursten oder in den Wassermassen zu ertrinken. Und außerdem, als Krone der Schöpfung die Weltherrschaft zu verlieren – an die Maschinen. Künstliche Intelligenz ist die Bedrohung der Stunde. Algorithmen bestimmen sowieso schon unser tägliches Leben. Smartphones, intelligente Kühlschränke, selbstfahrende Verkehrsmittel sind erst der Anfang. Beziehungsweise der anonyme Teil der Macht, die uns unseren Rang streitig macht.

Was passiert aber, wenn die Maschinen nicht einmal mehr namenlos bleiben? Wenn die Roboter, die Androiden aussehen wie wir? Wenn sie lachen, weinen, sprechen und lieben wie wir? Nun, es läuft alles auf Fragen der Moral hinaus, in vielerlei Hinsicht. Es ist der englische Meistererzähler Ian McEwan („Abbitte“, „Saturday“, „Kindeswohl“), der sich jetzt des heiklen Stoffes annimmt. Was zunächst einmal beruhigend ist, McEwan versteht sich auf geschickt und unterhaltsam arrangierte Plots. In „Maschinen wie ich“, dem neuen Roman, strebt McEwan derweil zunächst eine sachliche Durchdringung des Themas an. Was anfänglich zu einem nicht geringen essayistischen Anteil dieses klugen Buches führt, das freilich bald das Tempo anzieht.

Der Android verliebt sich, das ist ein Problem

Dafür ist die Ausgangslage wie geschaffen, denn das personelle Tableau zielt auf eine erotische Dreierkonstellation – mit androidem Anteil. Die Hauptperson von „Maschinen wie ich“ ist Charlie, ein verkrachter Steueranwalt, der sich einst strafbar machte und anschließend zum mit Kleinstgewinnen agierenden Börsenspekulanten wurde. Dann schafft er sich dank einer Erbschaft einen der ersten 25 lebensechten Androiden an. „Adam“ lebt fortan bei ihm, muss nachts an die Steckdose und entwickelt darüber hinaus schon früh einen eigenen Willen: Er verbittet sich das zeitweilige Abschalten seines Systems. Dies ist das erste Mal, dass sein Besitzer Charlie einen Eindruck von der Gewalt bekommt, die von dem ihm nur scheinbar gehorchenden Maschinenmenschen ausgeht. Die Dritte im Bunde ist Miranda, Charlies Nachbarin und Geliebte.

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McEwan verstrickt das Trio in ein existenzielles Dilemma, das zunächst, auf einer verhältnismäßig harmlosen Ebene, daher rührt, dass Adam sich in Miranda verliebt und auch eine Liebesnacht mit ihr verbringt. Charlie nennt ihn daraufhin wutentbrannt einen „Vibrator auf zwei Beinen“, muss aber vor allem feststellen: Adam hat Gefühle. Im Nachgang der schnell beendeten Affäre schreibt Adam manisch und tausendfach amouröse Haikus – eine Form von Maschinentraurigkeit, zumindest ansatzweise schöpferisch sublimiert. Etliche von Adams Schwestern und Brüdern, die anderen Androiden, werden mit dem, was sie unter den Menschen erleben, nicht fertig und begehen maschinellen Selbstmord. In dieser Hinsicht ist „Maschinen wie ich“ ein zutiefst pessimistisches Buch.

Der Clou

Aber was heißt eigentlich „maschinell“? In diesem philosophisch grundierten Roman müssen sich die mit Adam so intim befassten Originalmenschen die Frage stellen, ob sie Adam nicht als normales, menschengleiches Gegenüber wahrnehmen müssen. Den berühmt gewordenen „Turing-Test“ – ob man eine Maschine überhaupt noch als Maschine erkennen kann, weil sie ausreichend menschliche Denkeigenschaften hat – würde er jedenfalls locker bestehen.

Womit wir beim Clou dieses erstaunlichen Romans wären. Er spielt im Jahr 1982, dem Jahr, in dem England zumindest in diesem Roman den Falklandkrieg verliert, in dem der geniale Alan Turing (1912-1954) noch lebt und nicht zuletzt dank seiner Pionierarbeit das Computerzeitalter schon viel früher in voller Blüte steht. Es gibt bereits Emails und Internet, außerdem selbstfahrende Autos. Und die Beatles haben ein Comeback gestartet, um mal eine unverfänglichere Veränderung im Zeitkontinuum zu nennen. „Maschinen wie ich“ könnte man insgesamt als spielerische Erinnerung daran deuten, dass es, relativ gesehen, egal ist, ob der Triumph der Maschinen in den 1980er-Jahren oder, sagen wir, den 2020er-Jahren stattfindet. Andererseits ist die alternative historische Tapete, die McEwan hier einzieht, vor allem im Hinblick auf seine Turing-Hommage schlüssig. Wirklich notwendig ist sie natürlich nicht, die Retro-Science-Fiction sei ihm dennoch gestattet.

Dramatische Vergangenheit

Indem McEwan seiner Figur Miranda eine dramatische Vergangenheit gibt, mit einem hochtourig zwischen Richtig und Falsch changierenden kriminellen Manöver, das einen Schuldig-Unschuldigen ins Gefängnis bringt, stellt er sowohl Mensch als auch Maschine vor die (moralische) Wahl. Mit entweder komplett überraschendem oder völlig nachvollziehbarem Ergebnis: Der pedantische Roboter Adam kommt seinen menschlichen Gefährten mit einem Mal gefährlich in die Quere. Wann hat jemand ein Selbst, ein Bewusstsein, wann ist er nur die Summe seiner Schaltkreise? McEwan führt auf beeindruckende und kühne Weise vor, wie es sein könnte, wenn Roboter die Menschen überflügeln.