Hamburg. Die Staats- und Privattheater in Hamburg spielen Verschiebebahnhof: Neue 2021-Termine für fertig geprobte Arbeiten.
Der Bühnenvorhang, er wird sich an den Hamburger Theatern bis zum 10. Januar 2021 nicht heben. Zumindest nicht vor Publikum. Vier Wochen im November ließ sich noch einigermaßen problemlos pausieren, aber längerfristige Schließungen bedeuten den Aufschub immer neuer, fertig geprobter Produktionen, die nicht zur Premiere kommen. Anders als im Frühjahr setzt bislang keines der Theater auf einen regulären Streaming-Spielplan. Neue Modelle werden ausprobiert, man versucht, der Lage weiterhin kreativ zu begegnen. Aber es fehlt an mittel- und langfristiger Planungssicherheit. Gleichzeitig wächst die Sorge über die Folgen der Pandemie für die Kunst.
In jedem Fall müssen Hamburgs Theaterzuschauer ihre Vorfreude auf einige ursprünglich angesetzte Höhepunkte vertagen. John Neumeier probt mit seinem Hamburg Ballett derzeit weiter die Uraufführung von „Beethoven-Projekt II“ im Jubiläumsjahr des Komponisten. Die Produktion ersetzt die ursprünglich angekündigte Premiere der Inszenierung „Beethoven 9“ zum 250. Geburtstag, die unter den aktuell gültigen Hygieneschutzbestimmungen mit Livemusik nicht realisierbar sei.
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Ballett-Kunst ist für den Intendanten und Choreografen ausdrücklich eine Live-Kunst. Die Uraufführung in der Hamburgischen Staatsoper ist nun zunächst für Mitte Januar angedacht. Ein Livestream kommt für Neumeier nicht infrage, da er, so der Hamburger Ehrenbürger, seinem Qualitätsanspruch schlicht nicht genüge.
Deutsches Schauspielhaus bietet Livestreaming
Mit Livestreaming sammelt das Deutsche Schauspielhaus derzeit Erfahrungen und Publikumszuspruch. Die Qualität mag noch nicht mit einer 3sat-Fernsehaufzeichnung zu vergleichen sein, aber das gilt eben auch für die technischen Möglichkeiten. An der Kirchenallee werden die Streamings gleichwohl immer ambitionierter, mehrere Livekameras kommen auf der Bühne zum Einsatz. Die Premieren von „Die Sorglosschlafenden, die Frischaufgeblühten“ von Christoph Marthaler und Michael Thalheimers „Quai West“ sollen dennoch erst einmal verschoben werden, bis wieder Publikum im Saal zugelassen ist.
Weitere Live-Streamings sind zunächst von regulären Vorstellungen geplant - am 6. Dezember war schon zum zweiten Mal „Ivanov“ (Karin Beiers eigene Inszenierung) zu sehen, am 20. Dezember steht „Die Nibelungen – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie“ auf dem Spielplan – Archiv_Material soll dagegen ausdrücklich nicht gesendet werden. Die Onlineserie „Haus der Geister“ läuft ebenfalls weiter. Der Regisseur René Pollesch beginnt zudem in diesen Tagen mit den Proben zu „J’accuse!“, das nun – nach heutigen Kenntnisstand – am 23. Januar 2021 zur Premiere kommen soll.
Auch am Thalia Theater wird fleißig weiter geprobt
Beim Thema Streaming ist man am Thalia Theater bislang zurückhaltender. Anders als im Frühjahr gibt es keinen durchgehenden Onlinespielplan, jedoch Streamings zu ausgewählten Ereignissen, geplant ist das auch zu Weihnachten und Silvester. Frei nach dem Motto „Arbeiten und nicht verzweifeln“ wird auch hier weiter fleißig geprobt. Der „Ibsen-Komplex oder Der Kampf um die Wahrheit“ von Thorleifur Örn Arnarsson und Sebastian Nüblings Bühnenadaption des Saša-Stanišić-Romans „Herkunft“ wären startklar, sobald sich die Türen wieder öffnen dürfen. Peter Jordans kurz vor Jahresende geplante Version von „Shockheaded Peter“ (also: des Struwwelpeters) soll stattdessen Ende Januar oder Anfang Februar anlaufen.
Mit zwei künstlerischen Aktionen will das Thalia Theater zudem auf die soziale Wirksamkeit von Theater hinweisen. Bis Weihnachten läuft täglich um 19 Uhr das gestreamte „Theater der Lüfte“, bei dem Ensemble-Mitglieder auf den Dächern der Elbphilharmonie, dem Turm der Katharinenkirche, dem Fernsehturm oder einem Hafenkran spielen, lesen und singen. Mit dem Projekt „Kultur trotz Corona. Eine telefonische Poesieambulanz“ wollen Schauspielerinnen und Schauspieler per Telefon ein Zeichen gegen Isolation setzen.
Auf Kampnagel werden die meisten Produktionen ins nächste Jahr vertagt. Besonders schmerzvoll ist das bei Sasha Waltz & Guests, die ihre legendäre „Allee der Kosmonauten“ zeigen wollten. Die gute Nachricht: Ersatztermine vom 25. bis 28. März stehen bereits fest. Und vom 9. bis 12. Dezember wird, gewissermaßen als Trostpreis, der gleichnamige Film von Elliot Caplan von 1996 im Stream gezeigt, ergänzt um eine Videoaufnahme der Performance aus den Sophiensälen von 2017.
Auch Hamburgs Privattheater denken um
Auch die Privattheater denken um. Die in den Hamburger Kammerspielen geplante Premiere von „Josef und Maria“ wird gleich um ein ganzes Jahr auf Dezember 2021 geschoben und soll dann in Harburg herauskommen. Angelaufen sind bereits die Proben für die Goethe-Inszenierung „Stella“, die für den 18. Januar angesetzt ist. Pandemiebedingt kann auch das angekündigte Jubiläum „75 Jahre Kammerspiele“ am 10. Dezember nicht groß gefeiert werden.
Am Ernst Deutsch Theater ist die Premiere von „Die Mitschuldigen“ auf unbestimmte Zeit verschoben. Kleine Bühnenhäppchen sollen hier zumindest digital in der Vorweihnachtszeit künstlerischen Trost spenden: Bis Heiligabend moderiert der Schauspieler Sven Walser einen literarischen Adventskalender, 23 Schauspielerinnen und Schauspieler von Boris Aljinovic bis Daniela Ziegler lesen täglich selbst gewählte Texte.
Am St. Pauli Theater wird die Premiere des neuen Wittenbrink-Abends „Nicht anfassen!“ weiter auf Februar 2021 geschoben. Auch alle übrigen Produktionen wie „Heilig Abend“ und Abende mit Ben Becker und Tim Fischer erhalten neue Termine im Laufe des Frühjahrs. Einstweilen heißt es weiterhoffen auf sinkende Infektionszahlen – und dann auf reichlich Theater im neuen Jahr.