Hamburg. Ute Haug wird für ihre Provenienzforschung ausgezeichnet. Seit mehr als 20 Jahren erforscht sie Werke aus dem Nationalsozialismus.

Woher stammt ein Kunstwerk, ist es überhaupt im rechtmäßigen Besitz eines Museums, kann und sollte es seinem ursprünglichen Eigentümer zurückgegeben werden? Diese Fragen beschäftigen ethnologische Museen, aber auch viele große Kunstmuseen und Sammlungen in jüngster Zeit auf der ganzen Welt. Provenienzforschung ist das Stichwort. Dass es ein gesellschaftlich enorm wichtiges Thema ist, war für Ute Haug schon vor mehr als 20 Jahren klar. Durch den Austausch mit den befreundeten Kunsthistorikerinnen Katja Terlau, Ilse von Zur Mühlen und Laurie Stein wurde die Idee eines Ehrenamtlichen-Netzwerkes geboren, das sich hauptsächlich um den Verbleib und die Restitution von Raubgut aus der Zeit des Nationalsozialismus kümmerte.

Im Jahr 2000 war es dann so weit: Der „Arbeitskreis Provenienzforschung“ wurde von den vier Frauen gegründet. Zeitgleich fing Ute Haug an der Hamburger Kunsthalle als Herkunftsforscherin auf Projektbasis an. Mittlerweile leitet sie dort die Provenienzforschung und Sammlungsgeschichte. Und aus dem offenen Netzwerk ohne feste Organisationsstrukturen hat sich ein weltweit einzigartiger und unabhängiger Verein entwickelt, dem inzwischen mehr als 400 Forschende aus Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz und den USA angehören und der regelmäßig zu Tagungen und Symposien lädt.

Auszeichnung mit Bundesverdienstorden: Kunsthistorikerin sei „Pionierin“

Neben Themen des NS-Raubguts hat sich das Spektrum um DDR-Unrecht und postkoloniale Aufarbeitung erweitert. Für ihr langjähriges Engagement, mit dem sie sowohl den fachlichen Dialog in der Provenienzforschung als auch deren Vermittlung in der Öffentlichkeit stark vorangetrieben hat, wird die 55-Jährige mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet.

Das zurückgegebene Gemälde „Walchensee“ aus dem Jahr 1919 von Lovis Corinth.
Das zurückgegebene Gemälde „Walchensee“ aus dem Jahr 1919 von Lovis Corinth. © Christoph Irrgang | Christoph Irrgang

Kultursenator Carsten Brosda hebt Ute Haug in seiner Laudatio als „Pionierin“ hervor. „Mit ihrer engagierten Arbeit fordert sie uns immer wieder auf, unsere Per­spektive zu weiten und sowohl nach der Herkunft und dem historischen Kontext eines Kunstobjektes zu fragen als auch nach Eigentums- und Erwerbungsverhältnissen. Damit macht sie die Geschichte und gesellschaftliche Bedeutung von Objekten deutlich, die sonst viel zu oft verborgen bleiben. Ihre intensive Forschung bereichert die kunsthistorische Praxis auf besondere Weise. Sie deckt Geschichten auf und verbindet Zeitschichten und Gesellschaften miteinander.“

Haug sieht sich selbst als Wegbereiterin

Geboren im bayerischen Memmingen und aufgewachsen in München und Erftstadt (Nordrhein-Westfalen), studierte Ute Haug Kunstgeschichte, Baugeschichte und Geschichte in Aachen und Florenz und schrieb ihre Dissertation über den Kölnischen Kunstverein im Nationalsozialismus. Von 2015 bis 2020 war sie Mitglied im Kuratorium der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste, dessen Vorsitz sie von 2018 bis 2020 innehatte. Seit 2017 ist sie zudem als Lehrbeauftragte im Kunstgeschichtlichen Seminar an der Universität Hamburg tätig.

„Schon während des Studiums bin ich lieber unbetretene Pfade gegangen, habe mir Themen gesucht, die noch nicht von anderen bearbeitet worden waren“, sagt die Kunsthistorikerin beim Gespräch im Café Liebermann. Die zierliche Frau mit den kurzen Haaren sieht sich als Wegbereiterin für andere und als jemand, der unbeirrbar seinen eigenen Weg geht. „Ich wusste schon immer ganz genau, was ich will und brauche.“

Nationalsozialismus prägte Haugs Familie

Dass ihr verstorbener Vater beim Festakt nicht unter den laut Protokoll erlaubten zwölf Gästen sein kann, betrübt sie, sei doch er es gewesen, der die Geisteswissenschaft aufgrund seiner eigenen Biografie als brotlos angesehen habe, der über den Rollentausch seiner Tochter als Familienernährerin erstaunt gewesen sei. „Ich hätte diesen Moment des Erfolgs gerne mit ihm geteilt. Nicht, um ihm etwas zu beweisen. Er hätte einfach stolz auf mich sein können.“

Das Interesse am Nationalsozialismus ist bei ihr auch privat begründet: Ein Teil ihrer Familie habe während des Zweiten Weltkriegs aus Straflagern Geflohenen geholfen, ein anderer Teil habe einen Aufseher eines Straflagers beherbergt. Darüber sei jedoch nie offen gesprochen worden, es habe stets nur Andeutungen gegeben. Auch darüber, dass ihr Großvater gewusst haben soll, wer die Synagoge in Memmingen angezündet hat. „Diese Ambivalenzen und unbeantworteten Fragen haben mich gereizt.

Arbeit der Kunsthistorikerin: Beharrlich und hartnäckig

Als Jugendliche wollte ich den Dingen auf den Grund gehen. Es ging mir um Ehrlichkeit und Gerechtigkeit.“ Heute nennt sie es „braune Kontinuitäten benennen und brechen“. Beharrlichkeit, Hartnäckigkeit – diese beiden Qualitäten konnte Ute Haug in den vergangenen 22 Jahren gut unter Beweis stellen. Denn natürlich habe ihre Forschung auch tiefe Täler durchschritten, sind Lobbyarbeit und die immerwährenden kulturpolitischen Diskussionen um Ressourcen und feste Stellen auch manchmal zermürbend.

Sie vergleicht ihren Beruf mit der Arbeit in einem Steinbruch. „Wir machen Tiefenbohrungen und holen auch Dinge zutage, die vielleicht nicht so angenehm sind. Wir sind in gewisser Weise der Sand im Getriebe.“ Die Erforschung der Herkunft von Kunstwerken werfe auch immer ein anderes Licht auf deren Geschichte, die unweigerlich verknüpft ist mit der Geschichte der Sammlung, des ganzen Hauses.

Erforschte Werke sind in der Kunsthalle zu sehen

„Wenn die damalige Kultursenatorin Christina Weiss und Kunsthallen-Direktor Uwe M. Schneede nicht an einem Strang gezogen hätten, wäre das Thema heute in Hamburg nicht so prominent. Deshalb ist da jetzt ganz viel Dankbarkeit, dass diese Arbeit durch die Auszeichnung so wertgeschätzt wird, dass ich gesehen werde.“ Auch das Publikum des Hauses begrüße einen ehrlichen Umgang mit der Sammlungsgeschichte.

In dem eigens dafür eingerichteten Raum 8 im Transparenten Museum, einem Teil der Kunsthalle, der sich mit der Historie von besonderen Werken beschäftigt, werden etwa Bilder präsentiert, die im September 1941 bei der Versteigerung des Auktionshauses Carl F. Schlüter in Hamburg aufgerufen worden waren. Bei Philipp Sauerlands „Stillleben mit Hase“ oder Charles Hoguets „Sturm an der Küste“ handelt es sich vermutlich um Werke, die das Eigentum Verfolgter des NS-Regimes gewesen und diesen unter unrechtmäßigen Umständen abhandengekommen sind.

Für Aufsehen sorgte die Rückgabe des Gemäldes „Elbe und Neustädter Ufer in Dresden im Abendlicht“ von Johan Christian Dahl an die Städtische Sammlung Cottbus sowie des Aquarells „Walchensee“ von Lovis Corinth an die Erben des Sammlers Curt Glaser.

Haugs erste Ausstellung war „Die Rücken der Bilder“ im Jahr 2004/05, darin stellte sie in einem Parcours durch die verschiedenen Sammlungsbereiche die Informationen auf den Rückseiten der Kunstwerke in den Fokus. 2019 kuratierte sie die große Jubiläumsschau des Museums mit. Ein Highlight war die im März zu Ende gegangene Ausstellung „Von Menzel bis Monet“. Darin untersuchte Ute Haug die bislang kaum erforschte Sammlung von Albert Martin Wolffson und verknüpfte sie mit der Geschichte der Stadt und der Kunsthalle.

Provenienzforschung: Kein selbstverständliches Thema

Aktuell untersucht sie die Dauerleihgaben der Stiftung Hamburger Kunstsammlungen auf ihre Herkunft. Für das Forschungsprojekt „Vergangene Werke“ rekonstruiert die Kunsthistorikerin exem­plarisch, umfassend und erstmals für ein Kunstmuseum diejenigen Werke, die ehemals im Bestand der Hamburger Kunsthalle waren, kategorisiert ihre passiven oder aktiven Verlustarten und zeigt auf, wie sich mit ihrem Abgang Sammlungsverschiebungen ergeben und Sammlungszugänge damit neu auszurichten haben.

Auch als ehrenamtliches Mitglied des Arbeitskreises hat Ute Haug sich ihren kritischen Blick auf die Provenienzforschung bewahrt. Noch immer sei das Thema in öffentlichen Institutionen wie Museen, Bibliotheken, Archiven und Universitäten nicht selbstverständlich. „Solange die Forschung nicht kontinuierlich und in ihrem gesamten Themenspektrum integrativ mitgedacht und personell verankert ist, wird sich der Arbeitskreis Provenienzforschung e. V., wie seit seiner Gründung 2000, weiterhin wissenschaftlich und kulturpolitisch maßgeblich aktiv zeigen.“