Hamburg. Erst waren laut dem Ex-Minister die Grünen schuld, dann Lanz selbst. Merz sehnt sich nach Bonn, und Faeser geht früher auf Sendung.
Jahrelang wurde er nicht ernst genommen und zum Teil übel verspottet – jetzt hat Markus Lanz „die wirkungsvollste politische Bühne, die es im Fernsehen gibt“ (Giovanni di Lorenzo), wurde für seine Talksendung mit dem Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie Information ausgezeichnet. Was ist da passiert? Wie hat Lanz es geschafft, aus seinen viel kritisierten Schwächen („er fällt seinen Gesprächspartnern immer ins Wort“) viel gelobte Stärken („endlich fragt mal einer nach!“) zu machen? Lars Haider will es, wie der Moderator, genau wissen, und sieht sich deshalb ein halbes Jahr jede Sendung an. Hier lesen Sie seine Berichte über das Leben mit Lanz.
Markus Lanz am 7. Juni – mit Friedrich Merz und Journalistin Ulrike Herrmann
„Ein Name ist noch kein Gast“, sagt Markus Heidemanns, Chefredakteur und Geschäftspartner von Markus Lanz, gern auf die Frage, nach welchen Kriterien Menschen in die Sendung eingeladen werden. Selten trifft dieser Satz so zu wie in dieser Folge. Der Name des wichtigsten Gastes klingt nach einem wichtigen Gespräch; was dabei herauskommt, ist das Gegenteil, die Runde zieht sich, und das liegt nicht daran, dass sie erst kurz vor Mitternacht beginnt. Es liegt vor allem an Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender und Fraktionschef der Partei im Deutschen Bundestag, der in seiner eher traditionellen Art zu sprechen und aufzutreten für das Format eben nicht so geeignet ist wie etwa Annalena Baerbock oder, um einen Parteifreund zu nehmen, Norbert Röttgen.
Ein wenig hilft, dass die Redaktion die angriffslustige „taz“-Journalistin Ulrike Herrmann neben Merz platziert hat, die Bundeskanzler Olaf Scholz und dessen Politik so lange (bewusst) preist, dass Merz schließlich spöttisch fragt: „Bewerben Sie sich jetzt gerade auf die Stelle der Regierungssprecherin?“ Nein, gibt Herrmann zurück, „Sie können jetzt nur nicht antworten.“
Das ist dann schon der Höhepunkt der Debatte, in dessen Verlauf Merz unter anderem noch davon spricht, dass früher, als der Bundestag seinen Sitz noch in Bonn gehabt hatte, die Bedingungen für einen Redner besser gewesen seien, weil man die Reaktionen auf der Regierungsbank aus den Augenwinkeln mitverfolgen konnte. Das sei heute, in Berlin, nicht mehr möglich. Früher? In Bonn? Zufall oder nicht: Das Meinungsforschungsinstitut Forsa veröffentlicht am Morgen nach der Sendung eine Umfrage, wonach nicht einmal ein Viertel der Anhängerinnen und Anhänger der CDU/CSU glauben, dass Friedrich Merz bei der nächsten Bundestagswahl der am besten geeignete Kanzlerkandidat der Union wäre. Ein Name ist weder ein Gast noch ein Regierungschef …
8. Juni, Gäste: Politikerin Nancy Faeser (SPD), Psychologin Julia von Weiler, Journalist Michael Bröcker, IT-Sicherheitsexperte Linus Neumann
Normalerweise zeichnet Markus Lanz an Mittwochen zwei Sendungen auf, nämlich die für den Abend und die für den Donnerstag. Das ist anstrengend für den Moderator – und auch riskant, weil zwischen der Aufzeichnung am Mittwoch und der Ausstrahlung am Donnerstag Dinge passieren, die niemand vorhersehen kann. An diesem 8. Juni sind die Doppel-Folgen ein Vorteil. Eigentlich hatte man für die Sendung als politische Gäste den Grünen-Chef Omid Nouripour und Peter Altmaier, ehemaliger Wirtschaftsminister und Kanzleramtschef in der Ära Merkel, vorgesehen.
Doch weil am Vormittag in Berlin ein Mann bei einer Amokfahrt mit seinem Auto eine Lehrerin getötet und 14 Schülerinnen und Schüler schwer verletzt hat, ändert Lanz das Programm. Die Sendung mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die für den 9. Juni vorgesehen war, wird vorgezogen, wobei die SPD-Politikerin so viel über den Täter gar nicht sagen kann, außer dass er schon öfter straf- und damit auffällig gewesen sei. Michael Bröcker, Chefredakteur von „The Pioneer“, ebenfalls aus Berlin, spricht von „20 Delikten in seiner Akte“, es handele sich um mittelschwere und schwere Körperverletzungen.
Markus Lanz will lieber über die Opfer als über den Täter sprechen, geht dann angesichts überschaubarer Erkenntnisstände aber schnell zu anderen Themen über, man redet über den Krieg in der Ukraine und die Folgen für Deutschland, über Digitalisierung im Allgemeinen und Hackerangriffe, und schließlich über sexualisierte Gewalt gegen Kinder, die ursprünglich Schwerpunkt der Sendung sein sollte.
Fast beiläufig fällt eine interessante Zahl: Deutschland habe, sagt Faeser, bisher 700.000 Flüchtlinge aus der Ukraine registriert, zu großen Teilen junge Frauen und ihre Kinder, und damit so viele wie seit 2015 nicht. Doch die Stimmung ist eine andere als damals. „Es ist immer noch eine Wahnsinnshilfsbereitschaft zu sehen, die Deutschen haben sich sehr vorbildlich verhalten“, sagt Faeser und fügt hinzu, dass es durchaus sein könne, dass die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine schon wieder gesunken sei. Derzeit würden pro Tag 20.000 Frauen, Männer und Kinder über Polen wieder in ihr Heimatland zurückkehren, da „sind bestimmt welche dabei, die zwischenzeitlich in Deutschland waren“.
Markus Lanz am 9. Juni mit Peter Altmaier
Angela Merkel hat in dieser Woche ihren ersten großen öffentlichen Auftritt seit ihrem Auszug aus dem Kanzleramt gehabt, der „Spiegel“-Reporter Alexander Osang durfte sie in einem Theater in Berlin befragen. Markus Lanz hat heute den Mann zu Gast, der jahrelang Merkels Politik in Talkshows (und auch sonst) verteidigt hat. Peter Altmaier ist zurück, er lobt seinen Nachfolger als Bundeswirtschaftsminister, also den Grünen Robert Habeck, und er zeigt Verständnis für die Strategie der neuen Bundesregierung in Zeiten des Krieges.
Knapp 50 Minuten sieht es so aus, als habe Lanz den CDU-Politiker nur eingeladen, um über Gegenwart und Zukunft deutscher Politik zu sprechen. Bis der Moderator den interessantesten Teil der Sendung mit dem scheinbar beiläufigen Hinweis einleitet, dass „wir ein bisschen Vergangenheitsbewältigung betreiben müssen. Lieber Herr Altmaier, und da kommen Sie ins Spiel. Sie haben jetzt ein bisschen frei, nicht mehr diese ganz harten Terminpläne, diesen ganz brutalen Kalender. Sie haben ja 27 Jahre in der Politik verbracht, eine wirklich lange Zeit …“
Altmaier wird als erfahrener Lanz-Besucher ahnen, was kommt, aber er sagt zweimal: „Ja.“
Lanz macht weiter: „Und jetzt hat man plötzlich Zeit, mal nachzudenken. Warum habe ich das nicht kommen sehen? An welcher Stelle haben wir nicht aufgepasst? Es gab schon 2015 die klaren Warnungen von Leuten, die gesagt haben: Pass mal auf, was die (Russen) da machen. Die fangen an, deutsche Gasspeicher zu übernehmen, die fangen an, deutsche Gasinfrastruktur zu übernehmen. Dann kommt plötzlich Nord Stream 2, auch in dieser Zeit (…)“
Weil Altmaier weiß, worauf Lanz hinaus- und was er hören will, unterbricht er den Moderator und stellt die Frage, die der auf seine typisch harmlose Art vorbereitet, selbst. Altmaier sagt: „Haben wir Fehler gemacht? Darüber muss man natürlich nachdenken. Und ja, ich würde einen Fehler sicherlich auch einräumen. Ich habe mir immer wieder die Frage gestellt, ob wir von russischen Gaslieferungen abhängig werden. Der Anteil ist stetig gestiegen, warum? Weil es heute kaum noch möglich ist, in Deutschland neue Gasbohrungen durchzusetzen. (…) Ich habe damals den Vorschlag gemacht, lasst uns doch LNG-Terminals bauen, in Wilhelmshaven und Brunsbüttel. Da war was los bei den Grünen in Niedersachsen und in Schleswig-Holstein. Habeck hat jetzt den Mut gehabt, diese Pläne wieder aus der Schublade zu holen.“ Und seinem Vorgänger Peter Altmaier ist etwas gelungen, wofür er schon früher in Talkshows gefürchtet war. Er hat einen Fehler eingeräumt, den am Ende gar nicht er, sondern andere gemacht haben, weil sie nicht auf ihn gehört haben.
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Lanz wäre nicht Lanz, wenn er das so durchgehen lassen würde: „Aber Herr Altmaier, Entschuldigung, Sie waren der Wirtschaftsminister, Sie waren die Regierung.“
Altmaier: „Ja, natürlich.“
Lanz: „Es gab nie den Moment, wo Ihnen Ihre Berater, auch strategisch, gesagt haben: Es ist nicht gut, wenn wir zu 50 Prozent von russischem Gas abhängig sind? (…) In Europa gibt es 37 LNG-Terminals, wie viele davon stehen in Deutschland?“
Altmaier: „In Deutschland steht keines.“
Lanz: „Wie kann das sein? Was haben die anderen gesehen, was Sie nicht gesehen haben?“
Altmaier: „Die anderen hatten zum Teil nicht die Möglichkeit, sich über Pipelines zu versorgen, und waren auf LNG-Terminals angewiesen. (…) Wir waren uns immer relativ sicher, dass Russland seine Lieferverpflichtungen gegenüber Deutschland und den EU-Staaten erfüllen, weil sie damit verdient hatten. Was wir nicht bedacht haben, und das war vielleicht aus heutiger Sicht ein Fehler, war, dass wir vielleicht den Gashahn abdrehen. (…)“
Sagt Altmaier und redet in einer Art und Weise weiter, die es selbst Markus Lanz schwierig macht, dazwischenzukommen, obwohl er es mehrfach versucht. Der Moderator scheint seinen Meister zu finden.
Als sich doch eine Lücke ergibt, fragt Lanz: „Das heißt, Sie haben sich nicht vorzuwerfen? Alles richtig gemacht?“
Altmaier antwortet: „Herr Lanz, haben Sie mir zugehört eben?“
Lanz: „Ich höre Ihnen zu, wissen Sie, ich will es nur verstehen.“
Altmaier: „Ich habe gesagt, wir hätten vielleicht daran denken sollen, dass wir den Gashahn einmal abdrehen möchten. Das haben wir nicht getan. Das ist ein Fehler der Politik. Nur: Wenn ich darüber geredet habe, über LNG-Terminals, die wir bauen wollten, wenn die Kritik dagegen aufgebrandet ist, wenn ich über Industriepolitik gesprochen habe: Wie oft haben Sie mich zu diesen Themen in ihre Talkshows eingeladen, oder ein anderer, der Talkshows veranstaltet …?“
Rhetorisch wird es immer raffinierter, Altmaiers Argumentation ist etwas für Feinschmecker. Erst waren die Grünen schuld, die seine LNG-Terminals nicht wollten, jetzt ist es Markus Lanz, der ihn dazu nicht befragt hat.
Der Moderator kommt ins Stammeln, als er sagt: „Herr Altmaier, Entschuldigung, also, in, äh, es sind doch jetzt nicht Talkshows schuld daran, dass diese Art von Energiepolitik katastrophal schiefgelaufen ist. Ich bin auch weit davon entfernt, Ihnen die Schuld dafür zu geben. Ich will es nur verstehen.“
Altmaier hat sein Ziel erreicht, er sagt: „Ich bin auch ganz cremig und entspannt.“