Hamburg. Wie sollte sich der Kanzler in der Ukraine-Krise verhalten? Es herrscht Ungewissheit. Und wo ist eigentlich die CDU?

Jahrelang wurde er nicht ernst genommen und zum Teil übel verspottet – jetzt hat Markus Lanz „die wirkungsvollste politische Bühne, die es im Fernsehen gibt“ (Giovanni di Lorenzo), wurde für seine Talksendung mit dem Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie Information ausgezeichnet. Was ist da passiert?

Wie hat Lanz es geschafft, aus seinen viel kritisierten Schwächen („er fällt seinen Gesprächspartnern immer ins Wort“) viel gelobte Stärken („endlich fragt mal einer nach!“) zu machen? Lars Haider will es, wie der Moderator, genau wissen, und sieht sich deshalb ein halbes Jahr jede Sendung an. Hier lesen Sie seine Berichte über das Leben mit Lanz.

19. April (Gäste: Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Verteidigungsexperte Christian Mölling, Journalistin Kerstin Münstermann und Ex-Diplomat Rüdiger von Fritsch)

Der Krieg in der Ukraine ist in eine neue Phase eingetreten, Russland hat eine Großoffensive im Osten des Landes begonnen, und bei Markus Lanz spricht die FDP-Verteidigungsexpertin über den Bundeskanzler, als wäre ihre Partei gar nicht an der Regierung beteiligt. Marie-Agnes Strack-Zimmermann vergleicht Olaf Scholz mit einem Hütchenspieler, weil er auf die Frage, ob Deutschland auch schwere Waffen an die Ukraine liefern sollte, „antwortet, ohne zu antworten“, sie versteht nicht, warum „er ein Problem damit hat, das Wort Panzer in den Mut zu nehmen“, und sie unterstellt ihm und der SPD eine Nähe zu Russland, die trotz des Krieges nicht überwunden sei.

Das sind klare und sehr harte Worte von einer Frau, die zusammen mit Michael Roth von der SPD und Anton Hofreiter von den Grünen in die Ukraine gereist ist, obwohl das Kanzleramt das nicht gewollt habe: Ein enger Vertrauter von Olaf Scholz habe ihr klargemacht, dass man „so einen Kriegstourismus nicht wolle“, sagt Strack-Zimmermann. Gefahren ist sie trotzdem und musste sich hinterher vom Kanzler folgende Worte anhören: „Ganz klar ist, dass in so einer Situation sich immer wer zu Wort meldet und sagt: ‚Ich möchte, dass es in diese Richtung geht, und das ist Führung‘“, hat Scholz in einem Radiointerview gesagt. „Manchen von diesen Jungs und Mädels (gemeint sind u. a. Roth, Strack-Zimmermann und Hofreiter) muss ich mal sagen: Weil ich nicht tue, was ihr wollt, deshalb führe ich.“

Sätze wie diese, aber auch die von Strack-Zimmermann zeigten, wie groß der Druck auf die Ampel-Koalition sei, sagt die Journalistin Kerstin Münstermann bei Lanz, und findet es „interessant, dass die größte Kritik am Kanzler aus der eigenen Regierung kommt“. Dabei habe Scholz in einer Ansprache im Kanzleramt kurz vor der Aufzeichnung der Sendung deutlich gemacht, warum er mit der Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine zurückhaltend ist: „Er hat seinen Amtseid erwähnt. Und der Amtseid lautet, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Scholz’ innerstes Geleit ist, auf keinen Fall Kriegspartei zu werden. Er will nicht derjenige sein, der einen Vorwurf dafür geliefert hat, dass es einen wie auch immer gearteten Dritten Weltkrieg gibt. Das ist sein Kompass.“

Und hat er damit nicht auch recht? „Wenn Olaf Scholz sagt, ich möchte nicht als Kriegskanzler in den Geschichtsbüchern stehen, das kann doch eine Haltung sein, die kann man doch haben“, findet Lanz.

„Nein, das kann keine Haltung sein, mit Verlaub“, sagt Strack-Zimmermann.

Aber sie selbst habe sich doch vor wenigen Wochen in der Sendung noch gegen Waffenlieferungen ausgesprochen, so der Moderator.

Das stimme, gibt die FDP-Frau zu, die Lage habe sich jedoch geändert, und deshalb müsse sich auch die Politik ändern, schnell und massiv Und dann sagt Strack-Zimmermann den entscheidenden Satz: „Ob das richtig ist, Herr Lanz, ob in ein paar Jahren über uns gesagt wird, wir hätten überzogen, das weiß ich nicht.“

Es ist genau diese Frage, die sich Scholz bereits heute wahrscheinlich täglich stellt.

20. April (Gäste: Politiker Ralf Stegner, Politologin Dr. Sabine Fischer, Journalist Tichon Dsjadko und Ökonom Prof. Clemens Fuest)

Es bleibt ein Phänomen, dass Markus Lanz seit nun mehr zwei Monaten in seinen Sendungen fast ununterbrochen über den Krieg in der Ukraine und die Fehler, die die deutsche Politik im Umgang mit Russland und Wladimir Putin gemacht hat, spricht, ohne dass ein einziger Vertreter der CDU zu Gast war. Aus der Redaktion heißt es, man habe auf Einladungen von CDU-Politikern nur Absagen erhalten, der „Spiegel“ berichtet, dass der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz eine Zusage wieder zurückgezogen habe. So oder so muss es für die vielen SPD-Politikerinnen und -Politiker, die in den vergangenen Wochen bei Lanz waren, wirken, als säßen sie allein auf der Anklagebank.

Der Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner macht das in dieser Phase zum zweiten Mal, und die Worte, mit denen Lanz ihn begrüßt, klingen wie eine versteckte Botschaft an andere, die sich offensichtlich im Moment nicht in seine Sendung trauen: „Wie gut, dass einer da ist, der keinen Fragen ausweicht, auch keinen unangenehmen“, sagt Lanz über Stegner. Nicht nur das: Stegner hat keine Angst vor dem Konflikt mit dem Moderator, er kann Lanz Paroli bieten wie wenige andere, auch, wenn es richtig hart wird. Ein Beispiel von mehreren:

Lanz sagt: „Nach der Annexion der Krim haben Amerikaner und Kanadier angefangen, die damals völlig hilflose Ukraine auszubilden, das Militär auszubilden, auszurüsten und in die Lage versetzt, das zu tun, was die heute tun. Wir haben dabei nicht mitgemacht.“

Stegner kontert: „Wir haben die Ukraine stärker unterstützt als jedes andere Land.“

Lanz: „Der Name Matthias Platzeck sagt Ihnen was?“

Stegner: „Sie können doch nicht behaupten, wir hätten die Ukraine nicht unterstützt. Es gibt auch kein Land, das dort mehr humanitäre Hilfe leistet als Deutschland.“

Lanz: „Es gab eine völkerrechtswidrige Annexion eines Teils eines anderen souveränen Staates, die Krim. Und wenig später stellt sich der ehemalige SPD-Chef Matthias Platzeck hin und sagt: Das mit der Krim müssen wir nachträglich anerkennen. Das war die Position Ihrer Partei.“

Stegner: „Frank-Walter Steinmeier hat das Minsker Abkommen mit ausgehandelt … Übrigens, die Regierung, in der das geschehen ist, hatte eine Bundeskanzlerin Angela Merkel.“

Lanz: „Warum antworten Sie nicht einmal auf diese Frage? Wie kann man zu so einer Einschätzung kommen …“

Stegner: „Entschuldigung, ich sage Ihnen, was die Bundesregierung gemacht hat. Sie hat das Minsker Abkommen nicht allein ausgehandelt, es war eine Bundesregierung, die von Angela Merkel angeführt worden ist … Ich habe manchmal den Eindruck, die SPD habe allein regiert in den vergangenen 16 Jahren …“

Lanz: „Sie kommen aus einer Partei, die mit Moskau, mit Putin gekuschelt hat wie keine andere.“

Stegner: „Entschuldigung, das ist doch albern.“

Lanz: „Was ist daran albern?“

Stegner: „Schauen Sie sich doch mal die Bilder an, wer da alles in Umarmung mit Herrn Putin abgebildet worden ist, da sind Herr Seehofer und 1000 andere.“

Nur sitzen die in diesen Tagen halt nicht bei Markus Lanz.

21. März (Gäste: Politikerin Marieluise Beck, Journalistin Ulrike Herrmann, Militärexperte Carlo Masala und Politologin Ronja Kempin)

Die wichtigste Mission von Markus Lanz ist, Politikerinnen und Politikern mit Floskeln, Allgemeinplätzen oder ausweichenden Antworten auf Fragen nicht durchkommen zu lassen. Er will die Art und Weise, wie über Politik gesprochen und wie politische Entscheidungen erklärt werden, verändern, und dass das nötig ist, hat der Bundeskanzler in dieser Woche erneut bewiesen.

Scholz’ Erklärungen zu den Waffenlieferungen Deutschlands an die Ukraine bei einer Pressekonferenz am Dienstag werden seit zwei Tagen auch deshalb intensiv diskutiert, weil sie keiner verstanden hat, selbst ein Militärexperte wie Carlo Masala nicht: „Die Kommunikation macht es. Man muss einfach damit leben, wir alle, wenn diese Regierung sich entscheidet, bestimmte Grenzen zu haben. Die müssen dann aber auch klar kommuniziert werden und nicht in einer so wolkigen Sprache, dass wieder sehr viel Interpretation möglich ist und gleichzeitig – und das haben wir in der Dienstagskonferenz gesehen – sehr viel Missverständnis produziert wird.“

„Das ist der Punkt“, sagt Markus Lanz, und das sieht auch Ulrike Herrmann so: „Die letzte Pressekonferenz am Dienstag war eine Katastrophe“, sagt die taz-Journalistin, die sich vom Kanzler wünscht, endlich „kommunikativ aus der Deckung zu kommen“. Aber das Gefühl, „Deutschland mache irgendwie gar nichts“ stimme ebenso wenig wie der Vorwurf an Scholz, dass man als einziges Land keine Panzer an die Ukraine liefere: „Auch die USA, auch Großbritannien und Frankreich liefern keine Panzer, da ist Deutschland nicht allein“, sagt Herrmann, und verteidigt den Bundeskanzler mindestens so vehement wie Ralf Stegner am Tag zuvor. Deutschland sei, was Waffen angehe, nicht die „Bestellabteilung der Ukraine, nach dem Motto: Die Ukraine sagt, wir haben diese Liste und das muss jetzt geliefert werden. So geht das nicht. Ich bin froh, dass Scholz sich überlegt, was davon sinnvoll ist. Und noch besser ist, dass Scholz sich das nicht allein überlegt, sondern die gesamte Nato geht koordiniert vor.“

Alles andere wäre das Gegenteil von Politik.