Hamburg. Am Montag hätte Ernst-Deutsch-Theater-Gründer 100. Geburtstag gefeiert. Isabella Vértes-Schütter und Sohn Daniel erinnern an ihn.
Seine markante Bass-Stimme dröhnte nicht, sie klang einfach gut. Dazu der Vollbart rund ums Gesicht – Friedrich Schütter schien in sich zu ruhen, wenn er öffentlich sprach. Sein Auftreten, seine Auftritte, seine Arbeit, all das hinterließ Eindruck. Nicht zuletzt in Hamburg. In der Freien und Hansestadt war Friedrich Schütter über fast fünf Jahrzehnte eine der prägendsten Persönlichkeiten der Theaterszene. Bis im September 1995 sein Tod nach einer heimtückischen Krebserkrankung eine große Lücke hinterließ. Nicht nur im Hamburger Kulturleben, auch in der Familie von Isabella Vértes-Schütter.
Am Montag, 4. Januar, hätte der 1921 in Düsseldorf geborene Theatermann seinen 100. Geburtstag gefeiert. Dass sein Erbe lebt, liegt nicht zuletzt an seiner vierten Ehefrau: „Er hat schon ein tolles Charisma“, hatte Isabella Vértes-Schütter bereits gedacht, als sie Schütter im Fernsehen – obwohl dort meist Nebendarsteller – und auf der Bühne gesehen hatte.
Bei den Proben zum Stück „Der leere Stuhl“ des legendären Peter Ustinov lernte die damals junge Schauspielerin und promovierte Medizinerin Vértes den erfahrenen Schauspieler und Regisseur Schütter 1989 im Ernst Deutsch Theater persönlich kennen. Daraus wurde bekanntlich mehr – für sie insbesondere mehr Verantwortung. Unterbrochen von der kurzen Intendanz Volker Lechtenbrinks (2004 bis 2006) leitet Vértes-Schütter Hamburgs größtes Privattheater mit seinen normalerweise 743 Sitzplätzen und bis zu 120 Mitarbeitern seit Friedrich Schütters Tod.
„Ich bin damals von einem Tag auf den anderen reingesprungen in die Leitung“, erinnert sich die Intendantin im Abendblatt-Gespräch. Es war ein Versprechen, das sie ihrem Ehemann gegeben hatte.
Die antifaschistische Tradition des Theaters wird bewahrt
„Ein Schauspieler, der nicht Gefühle wecken kann, ist kein Schauspieler“, hatte Friedrich Schütter Jahre zuvor mal geäußert. „Und er kann sie nicht wecken, wenn er selbst keine hat.“ Dies bezog sich zwar primär auf die Stücke und die Interpretation der Rollen, schloss aber Privates nicht aus. Am 28. Dezember 1990 heirateten Schütter und Vértes, knapp vier Monate zuvor war ihr gemeinsamer Sohn Daniel geboren worden. Drei weitere Male spielte das Ehepaar zusammen auf der Bühne, eines der Stücke war Lessings „Nathan der Weise“.
Und aus dem Versprechen, für den Fortbestand der Bühne zu sorgen, wuchs eine enge Verbundenheit: Ihre Auszeit vom Theater, bedingt durch ihre Nominierung als Kultursenatorin im Schatten-Kabinett des bei der Wahl 2004 gescheiterten SPD-Bürgermeisterkandidaten Thomas Mirow, führte bei Isabella Vértes-Schütter zu einer Erkenntnis: „Für mich war das Anlass, zu überlegen: Wo ist mein Platz?“ Der Kultur-Frau wurde schnell klar, „dass ich ans Theater zurückkehre. Als ich zurückkam, fühlte ich mich wie neu vereidigt“, sagt sie. Daran haben auch ihr Einzug ins sogenannte Feierabend-Parlament, die Hamburgische Bürgerschaft, im Jahr 2011 und ihre zweimalige Wiederwahl nichts geändert.
Seit Beginn ihrer Intendanz hat die heue 58-Jährige versucht, in der Nachfolge Friedrich Schütters einerseits die antifaschistische Tradition des Ernst Deutsch Theaters zu bewahren, andererseits das Haus für neue Stoffe und Formate sowie den Nachwuchs zu öffnen. So wie es sich Schütter und sein Mitstreiter, der Schauspieler und spätere langjährige Verwaltungsdirektor Wolfgang Borchert (1922-2007), am 13. Oktober 1951 bei der Gründung ihres sogenannten Jungen Theaters zum Ziel gesetzt hatten. Geprägt von Kriegserlebnissen und -verletzungen an der Ostfront, wollten beide eine Bühne für zeitgenössische Dramatik und Nachwuchsförderung schaffen. Nach Stationen an den Großen Bleichen, an der Neuen Rabenstraße und an der Marschnerstraße in Barmbek-Süd etablierten Schütter und Co. das Junge Theater 1964 am heutigen Standort an der Mundsburg.
Ernst Deutsch war jüdischer Herkunft
Damals hatte Schütter schon fast zwei Jahrzehnte als Schauspieler sowie ein bewegtes Leben hinter sich. Mit den Eltern – sein Vater war Hotelier – kam er als Kleinkind nach Sao Paolo, als Zehnjähriger 1932 dann erstmals mit der Mutter nach Hamburg, machte mit 16 Jahren in Brasilien beim Vater eine Ausbildung zum Hotelfachmann, reiste zwei Jahre später zurück nach Deutschland und erlag wie so viele der Nazi-Propaganda: Als 18-Jähriger zog er in den Zweiten Weltkrieg. Nachdem Schütter 1946 in Goslar sein Debüt als Darsteller gegeben hatte, lehrte ihn in Hamburg auch Helmut Gmelin, der Gründer des Theaters im Zimmer an der Alsterchaussee, den Schauspieler-Beruf.
Der Ausnahme-Schauspieler Ernst Deutsch, der 1967 an der Mundsburg in der Titelrolle in Lessings „Nathan der Weise“ über die Stadtgrenzen hinaus für Furore gesorgt hatte, sagte später zu Friedrich Schütter und dessen Begeisterung für die Nazi-Diktatur: „Sie sind der Erste, der nicht sagt, er sei dazu gezwungen worden.“ Ernst Deutsch war jüdischer Herkunft, umso mehr sah Schütter dessen Aussage als Anerkennung seiner von antifaschistischer Haltung geprägten Arbeit. Vier Jahre nach Deutschs Tod benannte Schütter das Junge Theater 1973 in Ernst Deutsch Theater um.
Was aber ist sichtbar von Friedrich Schütters Erbe?
Stücke wie das aktuelle Rechtsextremismus-Drama „Weißer Raum“ im Herbst 2019 etwa, die alljährliche Verleihung des Bertini-Preises an engagierte Schulklassen, die Eröffnung der plattform-Bühne für den Theaternachwuchs, die Öffnung des Großen Hauses als erstes Hamburger Theater für Poetry Slam und für das Bundesjugendballett; neben Klassikern bietet das Haus für ein Privattheater eine anspruchsvolle Vielfalt. Der Platz vor dem Theater trägt seit 2002 den Namen Friedrich-Schütter-Platz; auf Vorschlag des emsigen Betreibers Egber Yavuz heißt das Theater-Restaurant mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Fotos des Namensgebers an den Wänden seit 17 Jahren „Schütter‘s“ und nicht mehr bloß „Foyer“.
Und drinnen, im Großen Saal, ist immer öfter der junge Schütter zu erleben. „Wenn man im Theater aufwächst, wächst man auch mit ihm auf“, erinnert sich Daniel an Friedrich Schütter. Nach dessen Tod 1995 – da war der Sohn erst fünf - gab es viele Menschen, die Daniel etwas über seinen Vater zu erzählen wussten. Sein prägendstes Erlebnis jedoch verbindet der Junge mit einem Urlaub auf der Balearen-Insel Formentera, als Klein-Daniel im Armdrücken gegen den Vater gewann. „Er hat mich wohl gewinnen lassen“, erzählt Schütter junior lachend.
Als Teenager und als junger Twen war Daniels Interesse an der Musik ausgeprägter als das am Schauspiel. Er sang, spielte E-Piano und Keyboard. Als der schlanke 1,90-Meter-Mann dann doch an der Schule für Schauspiel Hamburg begonnen hatte, brach er die Ausbildung nach eineinhalb Jahren ab und ging mit der Indie-Pop-Band Kollektiv22 auf Tournee. Die Gruppe spielte im Frühjahr im Ernst Deutsch Theater auch ein live gestreamtes Corona-Konzert. „2021 bringen wir eine neue Platte heraus“, sagt Daniel Schütter.
Die Ähnlichkeit mit der markanten Stimme seines Vaters klingt bei Daniel Schütter durch
War sein Vater je so musikalisch? „Sprechgesang“ habe der allenfalls gemacht, meint Daniel und verweist auf Friedrich Schütters Aufnahme mit der populären Sängerin Dalida. „Worte, nur Worte“ stimmt er an – fast so, wie sein Vater einst im Duett mit Dalida für die deutsche Version des Italo Songs „Parole Parole“. Das Gesangstalent, meint Daniel Schütter flachsend, habe er eher von seiner Oma – Isabella Vértes-Schütters Mutter Helga Pilarczyk war ausgebildete Kammersängerin.
Die Ähnlichkeit mit der markanten Stimme seines Vaters klingt bei Daniel Schütter indes durch, den Beruf des Synchronsprechers hat gleichfalls ergriffen.
Friedrich Schütter hatte dieses Metier als deutsche Stimme von Lorne Greene alias Familien-Oberhaupt Ben Cartwright in der legendären US-Western-Serie „Bonanza“ hierzulande erst richtig zur Geltung gebracht. Fast 14 Jahre in mehr als 400 Folgen und damit so lange wie kein anderer eine Rolle sprach Schütter im ZDF den von Greene verkörperten „Pa“, auch in der Science-Fiction-Reihe „Kampfstern Galactica“ lieh er dem kanadischen Schauspieler seine Stimme.
Sohn Daniel heuerte in „Das Boot“ an
Durch einen anderen Männerfilm fand Daniel Schütter zurück zum Theater seines Vaters: 2015 heuerte er für die Großproduktion „Das Boot“ am Ernst Deutsch Theater an. Hier erspielte sich Schütter junior die Anerkennung von Publikum und Kritik. Indem er Nebenrollen wie im Drama „Der Fall Furtwängler“ (als junger US-Leutnant) oder im Lustspiel „Pension Schöller“ als Löwenjäger mal kritisch-einfühlsam, mal schwülstig-überzeichnet Konturen gab. Dass Daniel Schütter in der von ihm und Anton Pleva gegründeten freien Gruppe mit dem selbstironischen Titel Sexy Theater Menschen eigene künstlerische Wege geht und in diesem Herbst erstmals ein plattdeutsches Engagement am Ohnsorg hatte (in „Blots en lütten Boort - Das Bärtchen“), hat auch seine Mutter mit Freude registriert.
Umgekehrt freute sich Daniel Schütter, die Mama mal „als künstlerisch-humorvolle Kollegin“ erlebt zu haben.Während der Vorweihnachtszeit 2019 stand Isabella Vertés-Schütter als exzentrische Schriftstellerin in der „Pension Schöller“ ihrem Sohn komödiantisch in nichts nach – und mit ihm für rund 40 Vorstellungen gemeinsam auf der Bühne.
Vertés-Schütters zweiten Sohn Sascha Warken (22), Schauspielschüler an der Folkwang-Schule Essen/Bochum, und Friedrichs Schütters Enkel David (29), von Berlin aus oft als Filmschauspieler tätig, sahen beide jüngst Weihnachten in Hamburg. David wird wie Vértes-Schütters Adoptivtochter Jenny (30) wegen beruflicher Verpflichtungen zwar nicht mitkommen können, wenn Isabella Vertés-Schütter mit „meinen Jungs“ am Montag Friedrich Schütter an dessen Grab auf dem Bergedorfer Friedhof zum 100. Geburtstag besucht. Daniel Schütter will aber seine Frau Lo Rivera, ebenfalls Schauspielerin, und beider Sohn Sharif (3) mitnehmen. „Ich bin sehr gern Oma, ich habe damit kein Problem“, sagt Isabella Vertés-Schütter über ihre recht junge Großmutter-Rolle. Umso stärker bleibt die Verbundenheit mit ihrem Ex-Mann. Die Intendantin: „Es ist für mich bis heute so, dass Friedrich Schütter der Mensch in meinem Leben ist, er war und ist meine große Liebe.“
- Typisch Schütter
- Drei Fragen an Isabella Vértes-Schütter, Schauspielerin und Intendantin des Ernst Deutsch Theaters: Was ist typisch für Ihre Familie? Dass wir immer versuchen, füreinander da zu sein.
- Welchen anderen Beruf hätten Sie ergreifen können? Ich war ja im ersten Beruf Ärztin und bin dann Schauspielerin geworden, das war für mich der richtige Weg.
- Zu welchen Beruf haben Sie Ihren Söhnen geraten? Ich wollte immer, dass sie das tun, was sie gerne möchten.