Hamburg. Großraumdisco trifft Elbphilharmonie bei Konzert des Hamburgers mit dem Berlin Orchestra in der Barclays Arena. 4000 Fans rasteten aus.
- Alex Christensen spielte am Sonnabend Heimatkonzert in Barclays Arena
- Auch Original-Song zu Sylt-Video in Setliste
- Warum er trotz negativer Schlagzeilen an dem Lied festhielt
Der Hamburger Produzent und DJ Alex Christensen hat wirklich absolut keine Berührungsängste. Komplett verwegen, der Mann. Nehmen wir „L‘Amour Toujours“, den in den vergangenen Wochen landauf, landab von rassistischen Saufbrüdern und Sektschwestern umgedichteten („Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“)-Hit von Gigi D’Agostino.
Seit Jahren steht die Nummer auf der Setliste von Alex Christensen & The Berlin Orchestra, so auch auf seiner laufenden Tour. Und während ungezählte Radio- und Stadtfest-DJs das Lied aus ihren Programmen verbannten, zog Christensen die Nummer am Sonnabend (1. Juni) in der Hamburger Barclays Arena durch.
Alex Christensen lässt sich „L‘Amour Toujours“ auf Tour nicht nehmen
„Es ist ein Liebeslied, es bleibt ein Liebeslied. Hamburg ist weltoffen“, mehr sagt er nicht vorab unter großem Applaus, bevor das Berlin Orchestra unter der Leitung von Florian Arndt zu einer besonders seifigen Version ansetzt. Beim Wechsel in den Elektro-Buffta („Döp-döp“) zuckt man kurz zusammen, aber keiner der 4000 Hamburger Fans lässt sich zu Dummheiten hinreißen. Diese Feier bleibt, wie eine gute Fete sein soll: fröhlich und harmlos.
Alex Christensen in Hamburg: Kirmestechno trifft Orchester-Klassik
Auf bislang fünf seit 2017 erschienenen Alben präsentieren Christensen und sein Berlin Orchestra „Classical Dance“, die Kombination aus Eurodance- und Kirmestechno-Hits der 90er-Jahre mit Orchester-Arrangements. Das passt beim Lesen zusammen wie Punkrock und Sylt, Umland-Großraumdisco und Elbphilharmonie. Aber nur Sekunden nach der Ouvertüre des komplett in Weiß gekleideten Orchesters, das auf mit weißen Hussen verziertem Gestühl sitzt, steigt die Laune der 4000 Leute in der Barclays Arena auf Eskalation. Christensen, hinter einem geschwungenen DJ-Thron in „AC“-Form in der Mitte stehend, gibt den gut gelaunten, selbstironischen Conferencier, und wechselnde Sängerinnen feuern eingängige Refrains in die ersten Reihen.
- Alex Christensen: „James Last ist einer meiner großen Helden“
- Wenn ein Klassik-Star „Rhythm Is A Dancer“ singt
- Lost Places: Zehn legendäre Hamburger Clubs – und was aus ihnen wurde
Die Arena ist ein „Club Bizarre“ bei „Right Beside You“, „More And More“, „Heaven“, „Around The World“, „Barbie Girl“ oder „Insomnia“. Der Mitsing-Faktor liegt bei hundert Prozent, jeder der Anwesenden hat zu diesen Liedern irgendwann im Leben auf Schützenfesten, Betriebsfeiern, Hochzeiten oder in Absturzkneipen mehr oder weniger freiwillig mitgetanzt und den Text aufgesogen wie Feudel im Putzlicht. Christensen und „Herr Arndt“ mit seinem „5-Euro-Keyboard aus Plastik“ wringen ihn aus, so gnadenlos wie mitreißend. „Coco Jambo“, „Samba de Janeiro“: Selbst ein kurzes Anspielen bekannter Melodien auf dem Umhänge-Keyboard-Fliewatüüt erntet Jubelstürme.
Alex Christensen: Die Barclays Arena würde auch ohne Orchester kochen
Das Orchester macht seine Sache dabei ziemlich gut, auch bei Liedern, die aus dem Genre-Korsett Eurodance ausbrechen wie „Listen To Your Heart“ von Roxette oder „Because The Night“ von Patti Smith, die in der Halle wie selbstverständlich im Lasergewitter Trash wie „Du hast den schönsten Arsch der Welt“ umrahmen. Rhythmus ist über zwei Stunden lang, 20 Minuten Pause nicht eingerechnet, ein Tänzer im Rhythmus der Nacht. Dass es reichen würde, dass Kapitänleutnant Alex Christensen bei seinem Techno-Klassiker „Das Boot“ auch ohne Orchester einfach nur Knöpfchen drücken würde (vorne oben 15, hinten oben 10), um die Meute zu entfesseln, sei hier nur am Rande angemerkt.
Denn auch, wenn sich das Ganze „anfühlt wie eine 90er-Jahre-Party, 5 Euro Eintritt, klebriger Boden“ (O-Ton Christensen), bekommt man hier tatsächlich auch eine Lektion für das Leben. Denn DJ Alex und das Berlin Orchestra spielen auch das Hauptthema aus dem 1. Satz aus Anton Bruckners 5. Sinfonie in B-Dur, ein Klassiker aus den 70ern. Also 1870ern. Ein Dauergröler in Stadien und Stammkneipen wurde das Motiv über 130 Jahre später als Riff von The White Stripes: „Seven Nation Army“. „Wieder was gelernt“, sagt Alex Christensen. Stimmt. Und wir haben auch gelernt, dass Eurodance und Orchester kein Widerspruch sind, sondern absoluter Partygarant.