Hamburg. Die Band aus Australien spielte sich im ausverkauften Stadtpark in einen Rausch. Aber nicht wenige Fans ließen ihre Karten verfallen.
Es gibt Bands, die dürften eigentlich gar nicht existieren. Und wenn, dann in einem Paralleluniversum. Oder gleich mehreren davon. Eine dieser Gruppen ist King Gizzard & The Lizard Wizard aus dem australischen Melbourne. Die hat gleich in mehrfacher, positiver Hinsicht komplett einen an der Waffel, wie man auch beim Konzert des Sextetts am Mittwoch im Stadtpark erleben kann.
Seit dem Debütalbum „12 Bar Bruise“ 2012 hat King Gizzard & The Lizard Wizard bis „The Silver Cord“ 2023 insgesamt 25 Alben (und 15 Livealben) rausgekloppt. Teilweise bis zu fünf in nur einem Jahr. Ein Fest für Sammler, die Hölle für das Konto und für den Regalplatz. Ist das nur Fleiß und überschäumende Kreativität der Multi-Instrumentalisten Stu Mackenzie, Ambrose Kenny-Smith, Joey Walker, Cook Craig, Lucas Harwood und Michael Cavanagh oder schon kompletter Irrsinn? Jedenfalls ist auch die Reise durch die Musikstile eine Wahnsinnsfahrt, von Surf-Rock über Progressive und Psychedelic-Pop bis zu Metal ist alles dabei. Krautrock? Hip-Hop? Mikrotonale Musik? Jazz? Ja, ham wa noch was da von hinten im Haus. Richtig gutes Zeug.
King Gizzard & The Lizard Wizard: Hamburg-Konzert im Stadtpark – 270 Songs zur Auswahl
Live wird es nicht weniger absurd. Über 270 Songs haben die Australier seit ihrer Gründung 2010 aufgenommen und offenbar nie eine Liedidee oder Skizze verworfen. Und bei jedem Auftritt wird die Setlist komplett neu zusammengewürfelt, alleine bei den Konzerten in diesem Jahr wurden bislang weit über 70 verschiedene Songs auf den Bühnen präsentiert. Man muss schon absoluter Hardcore-Fan und Musiknerd sein, um den Überblick zu behalten und das zu protokollieren.
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Aber davon gibt es einige. Schon bei den Shows 2015 und 2018 im Uebel & Gefährlich und 2016 beim Dockville Festival schufen sich KG&TLW eine Fangemeinde an der Elbe. Der Stadtpark ist seit Wochen ausverkauft, nicht ganz 4000 teilweise aus ganz Europa angereiste Fans (man hört viel Englisch, Französisch, Dänisch) um die 30 versammeln sich vor der Hecke. Geschätzte 500 Kartenkäufer haben aber angesichts der miesen Wetterlage gekniffen. Ein ausverkaufter Stadtpark ist sonst deutlich voller.
King Gizzard & The Wizard Lizard in Hamburg: Es riecht nach Rasen und Gras
Als der drei Stunden lange Psycho-Trip-Marathon beginnt (eine Stunde länger als der Tourschnitt), zeigt sich schnell: Ja, musikalisch ist King Gizzard eine der großen musikalischen Ausnahmeerscheinungen der letzten zehn Jahre, von denen es leider nicht mehr viele gibt. Die US-Funkboys Vulfpeck fallen einem noch ein. Im Stil der Doors geht es los mit einem kompakten, nur 15 Minuten langen Instrumentalstück. Es riecht nach Rasen und Gras, und es regnet schon wie den ganzen Tag lang abartig. Es fehlt nur noch eine Durchsage, dass schlechtes Acid im Umlauf ist, schon wäre man in Woodstock. Auf der Videoleinwand laufen psychedelische Bildschirmschoner, Männer in Sandalen tanzen und spielen dabei Luftgitarre und Luftschlagzeug gleichzeitig.
„People Vultures“ brettert auf das Grün und geht direkt in „Mr. Beat“ über, die vorderen Reihen geraten in Bewegung, Crowdsurfer segeln an den Bühnenrand, Regencapes knistern. Das Ganze hat eher einen Jam-Charakter, vieles wirkt auf Zuruf gespielt und Stu Mackenzie hat zwischendurch im Song sogar Zeit, seine Gitarren-Effektpedale neu zu sortieren. Trotzdem sitzt kaum ein Ton falsch auf der langen Reise von „Evil Death Roll“ über das an Jethro Tull erinnernde Doppel „Hot Water“ und „Trapdoor“ (der Flötenschlumpf fängt an) oder einen schrägen Synthesizer-Ambient-Fünfkampf bis zu „Witchcraft“. Tatsächlich hat die Band auch noch mit dem Album-Titellied „The Silver Cord“ einen Song dabei, den sie vorher noch nicht live gespielt haben.
Hamburger Stadtpark Open Air: Die Schlangen sind lang an Futter- und Bierständen
Es wird viel durchgetauscht an den Instrumenten und Mikros, und mit dem ausufernden Doppel „Gaia“ und „Motor Spirit“, in die noch weitere Songs integriert werden, schließt der Abend ab. Es ist schon eine künstlerisch beeindruckende Vorstellung, die KG&TLW abliefern, ohne Frage. Allerdings spielen sie einen über die Zeit auch mit endlos aufgetürmten Wänden aus drei Gitarren mürbe, erkennbar an den sehr langen Schlangen an den Futter- und Bierständen und an den WCs während der Show. Ein Parforceritt für Körper und Geist und Regenjacken. Zurück in der trockenen Wohnung ist daher auch der Wunsch groß nach Songs einer deutlich simpleren, eingängigeren Rockband aus Australien: AC Blitz DC.