Hamburg. Der Erfolgsautor im Interview: Am Sonntag hat „Sommerfest“ , der Ruhrpott-Roman des VfL-Bochum-Fans, Premiere im Ohnsorg-Theater.
Seit mehr als drei Jahrzehnten tritt der Bochumer Frank Goosen, Jahrgang 1966, als Kabarettist auf (zuletzt Ende April im Hamburger Lustspielhaus mit „Heimat, Fußball, Rockmusik“), seit 2020 auch wieder im Duo Tresenlesen mit Kleinkunstpreisträger Jochen Malmsheimer aus Essen Seit fast 25 Jahren steht Goosen zudem mit seinem Romanen und Kurzgeschichten für die Beschreibung eines besonderen Heimatgefühls, für die Verbundenheit zum Ruhrgebiet.
Mehrere seiner Bücher wie „Liegen lernen“ und „Radio Heimat“ sind verfilmt worden, von Sönke Wortmann sein Roman „Sommerfest“. Er hat als Bühnenfassung an diesem Sonntag, 26. Mai, Premiere im Hamburger Ohnsorg-Theater. Was Goosen mit der niederdeutschen Bühne verbindet, aber auch mit dem Rockmusiker Lou Reed, seinen VfL Bochum mit dem FC St. Pauli und warum er den Begriff „Heimat“ in Abgrenzung zu den neuen Rechten nutzt, erläutert er im Abendblatt-Interview.
Herr Goosen, Ihre Kölner Autoren-Kollegen Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob sind im Herbst 2019 eigens nach Hamburg gereist, als hier im Ohnsorg-Theater deren Satire „Extrawurst“ Uraufführung hatte. Kommen Sie auch, um sich Ihr „Sommerfest“ anzuschauen?
Frank Goosen: Ich hatte das eigentlich fest vorgehabt, jetzt ist mir aber eine wichtige private Sache dazwischengekommen. Mit dem Ohnsorg-Theater verbindet meine Generation wunderbare Fernsehtheaterabende. Als Kind bei ‚Omma und Oppa‘ auf dem Sofa, eine Flasche Dunkelbier, und dann „Tratsch im Treppenhaus“ oder „Der möblierte Herr“. Ich hoffe, ich kann mir eine der Folgevorstellungen ansehen
Erfolgsautor Frank Goosen: Was ihm Ohnsorg, Lou Reed und Heimat bedeuten
Ihr Roman wurde schon 2017 von Sönke Wortmann fürs Kino verfilmt und sogar zweimal für die Bühne adaptiert, erst kürzlich am Westfälischen Landestheater in Castrop-Rauxel. Was macht das mit einem, wenn man sein Buch auf großer Leinwand respektive auf recht großer Bühne gespielt sieht?
Also erst mal ist es natürlich eine tolle Anerkennung für den eigenen Text und damit eine Auszeichnung für den Autor der Romanvorlage. Es ist hochspannend, wenn die Figuren des Buches lebendig werden, Gesicht und Stimme bekommen und plötzlich in Fleisch und Blut vor einem stehen, da lernt man die alle noch mal neu kennen.
In „Sommerfest“ kommt der Protagonist Stefan, ein Theaterschauspieler, aus München kurz in seine und auch Ihre persönliche Heimat Bochum zurück, weil er dort familiäre Angelegenheiten regeln will. In der Ohnsorg-Adaption op Plattdüütsch und Hochdeutsch mit Musik, so heißt es vorab, kommt er in seine Heimatstadt in den Norden. Ist das nicht ein großer Unterschied, schon aufgrund der verschiedenen Mentalitäten? Weshalb haben Sie den Änderungen der Bühnenfassung als Autor zugestimmt?
Auf die Sache mit den Mentalitäten werde ich ja ständig angesprochen, also ob Menschen in Norddeutschland oder in Bayern mich und meinen Ruhrgebietshumor denn überhaupt verstehen würden. Es gibt da schon mehr Gemeinsamkeiten, als man so denkt. In meinem aktuellen Roman „Spiel ab!“ geht es um eine Jugend-Fußballmannschaft, und seit er erschienen ist, haben mir Menschen aus ganz Deutschland gesagt und geschrieben, dass die präpubertären Kabinenfrotzeleien mit allerlei witzigen Sprüchen überall vorkommen. Und was die Bühnenfassungen angeht: Da funke ich sowieso nicht dazwischen, da habe ich nichts zu genehmigen oder zu verbieten. Es ist völlig normal, dass sich ein Stoff bei der Übertragung in eine andere Kunstform verändert. Ich bin dann viel mehr gespannt, welche Schwerpunkte da gesetzt werden und wie die Schauspielerinnen und Schauspieler die Figuren interpretieren. Der Roman wird ja im Nachhinein nicht umgeschrieben.
Frank Goosen: „Jetzt noch aus Bochum wegzuziehen wäre albern“
Den Begriff ‚Heimat‘ umschreiben Sie in „Sommerfest“ am Beispiel von Stefan mit den prägnanten Sätzen: „Woanders weiß er selber, wer es ist. Hier wissen es die anderen.“ Ihr noch bekannterer Kabarett-Kollege Gerhard Polt hat in einem Abendblatt-Interview mal gesagt: „Die Heimat der Salmonelle ist nicht ausschließlich der Kartoffelsalat.“ Was ist für Sie persönlich Heimat?
Ich sage gerne: Dass ich nie aus dem Ruhrgebiet, nie aus Bochum weggezogen bin, verrät mehr über mich als über die Gegend. Ich zitiere da auch gerne meinen alten Freund Lou Reed, der in dem Film „Blue in the Face“ sagt, er lebe in New York, weil er sich dort auskenne. In Denver zum Beispiel kenne er sich nicht aus. Ich kenne mich auch gern aus. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich emotional immer jünger war als mein biologisches Alter. Als ich mit 20 Abitur gemacht habe, war ich eigentlich erst 15 und wollte irgendwie nicht weg, nur eine eigene Wohnung haben. Später, als ich mit Jochen Malmsheimer Tresenlesen gemacht habe, gab es im Ruhrgebiet sehr viele Auftrittsmöglichkeiten, und Bochum lag und liegt ja auch genau in der Mitte. Und jetzt noch wegzuziehen wäre ja nun auch albern.
Ohnsorg-Theater: Goosens Heimatbegriff ist „immer ein einschließender, kein ausgrenzender“
Als Vertreter der Babyboomer-Generation sind Sie mit dem Kanzler Kohl groß geworden. Der sprach immer gern von unserem „deutschen Vaterland“. Inwieweit dient der „Heimat“-Begriff heute Politikern von ganz rechts vornehmlich der Ab- und Ausgrenzung?
Wer wie ich in den Achtzigern eher links der Mitte sozialisiert wurde, lehnte Helmut Kohl und vor allem den rechten Flügel der CDU komplett ab. Heimat war uns ein durch die deutsche Geschichte zu Recht diskreditierter Begriff. Das hat sich geändert. Gerade das Ruhrgebiet, das durch den Strukturwandel auf einer endlosen Suche nach Identität ist, hat es geschafft, den Heimatbegriff neu aufzuladen, finde ich. Mein Heimatbegriff ist immer ein einschließender, kein ausgrenzender. Und so nehmen wir den Heimatbegriff auch den Rechten weg.
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Trotz der Anspannung in der Relegation noch eine Fußball-Frage an das VfL-Bochum-Mitglied und den langjährigen Aufsichtsrat: Warum können das Vonovia Ruhrstadion und das Millerntor für viele auch ein Heimatgefühl vermitteln, obwohl Clubs wie der VfL und der FC St. Pauli längst als „Marke“ verkauft werden in der Bundesliga?
Man kann Marke sagen oder auch Identität. Der VfL Bochum ist, trotz der letzten Turbulenzen, immer noch ein vergleichsweise nahbarer Verein. Den Aufstieg und die letzten Klassenerhalte haben die Spieler im Kneipenviertel Bermudadreieck mit den Fans gefeiert, und zwar bis in den frühen Morgen. Unser Stadion ist klein, aber mitten in der Stadt, nicht draußen auf einem Feld, wo man früher die Pestkranken abgelegt hat. Bei allem Kommerz spürt man bei uns: Das eigentliche Stadionerlebnis ist noch intakt. Auch wenn es manchmal viel Leid mit sich bringt. Ist aber im Restleben nicht anders. Und der FC St Pauli hat es geschafft, ein ähnliches Heimatgefühl in einem neu gebauten Stadion zu erzeugen. Auch wenn sowohl der VfL als auch Pauli sich wie andere als Marke positionieren, sind es doch solche Clubs, die den Spitzenfußball ab und zu wieder unberechenbar machen.
„Sommerfest“ Premiere So 26.5., 19.30, dann 29.5.–30.6., Ohnsorg-Theater (U/S Hbf.), Heidi-Kabel-Platz 1, Karten zu 31,26 bis 39,20 unter T. 040/35 08 03 21; www.ohnsorg.de