Hamburg. Biografie zum 80. des Pianisten. Jens Meyer-Odewald über einen umstrittenen Künstler, finanzielle Sorgen und die Liebe – auch zu Männern.

Die Klaviatur seines Lebens gleicht einer Achterbahnfahrt. Als Pianist spielte Justus Frantz umjubelte Konzerte mit internationalem Flair. Es gab Applaus satt. Gefolgt von Talfahrten mit niederschmetternden Tiefs. Wenn Frantz am Pfingstsonnabend 80 Jahre alt wird, gibt es eine Menge zu erzählen. Und genau das hat er getan: inbrünstig, mutig, offenherzig. Teilweise provozierend.

In seiner Biografie, der einzigen, geht er keinem Thema aus dem Weg – auch wenn es noch so heikel ist. Stichworte sind graue Momente im ansonsten recht sonnigen Alltag, Verwendung von Schlaftabletten seit Jahrzehnten, finanzielle Sorgen, langjährige Beziehungen – auch zu Männern.

Justus Frantz feiert seinen 80. Geburtstag. Eine neue Biografie enthüllt bislang unbekannte Seiten des Pianisten. Das Foto, das auch das Buchcover ziert, zeigt Frantz 1987 beim SHMF in Salzau (Archivfoto).
Justus Frantz feiert seinen 80. Geburtstag. Eine neue Biografie enthüllt bislang unbekannte Seiten des Pianisten. Das Foto, das auch das Buchcover ziert, zeigt Frantz 1987 beim SHMF in Salzau (Archivfoto). © A.Laible | Andreas Laible

Justus Frantz und Leonard Bernstein: Enthüllungen in neuem Buch des Pianisten

Über all das hat Justus Frantz erstaunlich offen mit Jens Meyer-Odewald für ein Buchprojekt gesprochen. Das Hamburger Abendblatt hat seinen langjährigen Chefreporter Meyer-Odewald gebeten, die Gespräche für diesen Artikel zusammenzufassen. Den Medien wird die Biografie, deren Titel „Justus Frantz – Künstler zwischen den Welten“ Programm ist, am Montag in der frantzschen Mietwohnung in Harvestehude präsentiert. Die erste öffentliche Vorstellung folgt am Abend des 25. Mai in der Buchhandlung Felix Jud am Neuen Wall.

Die Hauptperson des 208 Seiten umfassenden Buchs mit bisher unbekannten Fotos aus privaten Alben ist nicht mit jedem geschriebenen Satz glücklich. Einiges geriet aus seiner Sicht zu kritisch. Dabei steht außer Frage, dass Justus Frantz mit dem Schleswig-Holstein Musik Festival ein hochwertiges Ereignis schuf, das nach wie vor gedeiht und vielerorts Nachahmer fand. Allerdings gedeiht es ohne ihn, die Persona non grata.

Justus Frantz wird eine wohlwollende Haltung gegenüber Russland vorgeworfen

Die Einladungen von Sarah Wagenknecht oder Alice Weidel von der AfD („Mein persönlicher Eindruck ist der, dass Alice Weidel nicht extremistisch ist“) zu jeweils einer Gesprächsrunde werden ihm vorgehalten. Auch wird ihm von manchen eine zu wohlwollende Einstellung Russlands und eine „bedenkliche Nähe“ Putin gegenüber vorgeworfen, was Frantz empört zurückweist.

Ob die Einschätzung „viel Feind, viel Ehr“ auf Professor Justus Frantz zutrifft, bleibt unter dem Strich offen. Denn Frantz war von jeher Freund russischer Musikkultur. Vor Wende und deutscher Einheit eckte er bei konservativen Regierungspolitikern in Schleswig-Holstein an, als er jungen Künstlern aus dem seinerzeit abgeschotteten Osteuropa Auftritte im Westen verschaffte. „Mit Kommunisten wollen wir nicht in einem Saal sitzen“, habe damals nicht nur ein CDU-Mann geflucht.

Justus Frantz wird 80: Der Pianist wollte keine Hofberichterstattung

„Hofberichterstattung möchte ich auf keinen Fall“, hatte er dem Verleger Peter Tamm beim Start Anfang 2023 gesagt, „sondern eine offenherzige Bilanz.“ Bei insgesamt 26 intensiven Treffen mit mir als Autor, davon drei Tage im Frantz-Refugium auf Gran Canaria, ging es teilweise hoch her. Es bewahrheitete sich, dass Justus Frantz eine spannende Persönlichkeit mit freiem Visier, Charisma, Ecken, Kanten und Widersprüchen ist. Letztlich akzeptierte er, dass statt eines Musikbuches mit Eigenlob zwölf Kapitel einen erstaunlichen, keinesfalls geradlinigen Lebenslauf schildern. Das Werk aus dem Maximilian Verlag entspricht dem Charakter des Maestros: Zwischentöne und Vorfälle abseits der Norm prägen den Reiz.

Wer sich keine Ziele setzt, wird niemals Großes erreichen. So war es damals, als der im heutigen Polen geborene Schüler Justus, der seinen im Krieg gefallenen Vater niemals sah, seine verschmutzten Fingernägel an einem rauen Stein vor der Kirche in Kiel feilte. Von Kindheit an ist er vom Klavierspiel beflügelt. „Musik ist ein Jungbrunnen“, meint Justus Frantz. Seine Hoffnung zum runden Geburtstag: „Ich möchte in meiner Wohnung in Pöseldorf bleiben – wie seit nun fast sechs Jahrzehnten.“

Justus Frantz wird 80: Finanzielle Sorglosigkeit rächt sich nun

Größere Besitztümer hat er nicht angehäuft. Für die Professur an der Hamburger Musikschule, während der Zeit in Diensten des Bayerischen Rundfunks sowie in den Jahren als Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festivals habe er jeweils „ein tolles Gehalt“ bezogen, indes keine Pensionsansprüche erworben. Solche finanzielle Sorglosigkeit aus jüngeren Jahren räche sich nun. Zu den ungeahnten Einblicken in die Welten des Künstlers Justus Frantz gehört ein Blick auf seinen nicht immer harmonischen Spagat zwischen Genie und Geld.

Auch wenn er es selber gar nicht gerne hört: Frantz war Weltmeister im Geldausgeben. Viel Arbeit, gepaart mit Dolce Vita, bereiteten ihm Lebenslust. Anders formuliert: Um kommod über die Runden zu kommen, sind weiterhin Konzerte und Tourneen notwendig. Erst kurz vor dem Erscheinen der Biografie kehrte Justus Frantz aus St. Petersburg zurück. Nicht nur eine Blutvergiftung mit tagelangem Aufenthalt in einem russischen Hospital bereitete seiner Familie und den Freunden Kummer. Schon früher, nach einem furchtbaren Treppensturz in Peking, drohte ihm eine Zukunft im Rollstuhl. Der Kampf dauerte monatelang.

Justus Frantz: „Wenn es mir nicht gut geht, spiele ich Beethoven.“

Bei seelischen Sorgen beherzigt Frantz diese Erkenntnis: „Wenn es mir mal nicht so gut geht, spiele ich Beethoven am Klavier.“ Denn auch solche Momente, graue Stunden, gab und gibt es im Dasein des Künstlers. „Ja, auch ich habe sie, diese Berührungen der Melancholie“, bekennt er im Buch, „diese finsteren, traurigen Gedanken“. Ludwig van Beethoven helfe tatsächlich, wirke wie Medizin gegen Betrübnis. Er habe von jeher Kraft und Zuversicht aus der Musik schöpfen können: „Manchmal waren diese dunklen Gedanken sogar mit Selbstmordfantasien verbunden.“ Früher habe er hin und wieder an einer Art Epilepsie gelitten: „Durch Schlafentzug zischten mir viele Gedankenblitze im Kopf umher.“ Seit seinem 21. Lebensjahr greift er zu Schlafmitteln. Versuche, davon loszukommen, seien gescheitert.

Ein Blick zurück auf die Geburtsstunde des Schleswig-Holstein Musik Festivals bringt Justus Frantz mehr Vergnügen. Weltklassekünstler aufs platte Land zu bringen, in Herrenhäuser, Scheunen oder Dorfkirchen, glich einem Kunststück, das nicht nur den Frantz-Fan Helmut Schmidt begeisterte. Im Sauseschritt geht’s voran. 1965, mit 21 Jahren, ist Justus Frantz jüngster Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes. Ende der 1960er-Jahre wird er (mit 23 Jahren) Preisträger beim Internationalen Musikwettbewerb der ARD. Sodann folgt das Engagement durch Herbert von Karajan als Solist.

Altbundeskanzler Helmut Schmidt im Jahr 1987 im Gespräch mit Justus Frantz (Archivfoto).
Altbundeskanzler Helmut Schmidt im Jahr 1987 im Gespräch mit Justus Frantz (Archivfoto). © picture-alliance/ dpa | picture alliance

Justus Frantz: Er schuf das Schleswig-Holstein Musik Festival

1975 folgt ein zusätzlicher Meilenstein auf dem Weg nach oben. Justus Frantz‘ Auftritt mit Leonard Bernstein und den New Yorker Philharmonikern eröffnet seinem Ehrgeiz und seiner Mission neue Dimensionen. Der weltberühmte Komponist und Dirigent fühlt sich von Beginn an zum talentierten Norddeutschen hingezogen – fachlich wie menschlich. Der beherzte Optimismus des zu diesem Zeitpunkt 31-Jährigen, sein unerschütterliches Selbstwertgefühl und sein anpackender Mut, musikalisch und klassisch Neuland betreten zu wollen, sollen Bernstein immer mehr in den Bann ziehen. „Kreative Freundschaft“ nennen beide ein besonderes Verhältnis.

Die vier großen Buchstaben SHMF für Schleswig-Holstein Musik Festival stehen für eine bis dato unbekannte Darbietungsform klassischer Musik. Jeans? Kein Problem. Noch ist kein Ton gespielt, kein Veranstaltungsort gesichert, kein Künstler engagiert, keine Eintrittskarte gedruckt. Was heutzutage so normal und selbstverständlich klingt, war es damals überhaupt nicht. Die Führungsrolle von Justus Frantz bei Ideenentwicklung und Umsetzung des Festivals ist musikhistorisch unumstritten.

Justus Frantz: ein Mann mit verblüffendem Macher-Gen und Chuzpe

Die „Kieler Nachrichten“ schilderten das SHMF als „große musikalische Bürgerinitiative“. Genau das hatte Justus Frantz vor Augen: Klassik für das Volk. Die Planung geht besser voran als gehofft. Zumal die Namen der musikalischen Unterstützer wie Leonard Bernstein, Herbert von Karajan und Christoph Eschenbach für hohe Ansprüche stehen. Weltstar Bernstein in einer Scheune in Holstein – unvorstellbar eigentlich.

Weggefährten attestieren Frantz in der Startphase ein verblüffendes Macher-Gen und seine Chuzpe, offensichtlich Unvorstellbares schaffen zu wollen. Frantz fürchtet sich vor nichts. Und er scheut auch vor Taschenspielertricks nicht zurück. Immer deutlicher zeigt es sich, dass Justus Frantz nicht nur ein Maestro, sondern auch ein gewitzter Impressario ist. „Eigentlich war ich ein Hochstapler“, bekennt Justus Frantz Anfang 2024 – unmittelbar vor Drucklegung des Buches. „Weil wir außer der Idee gar nichts hatten – keine Künstler, kein Geld, keine Spielstätten.“ Mit einer wundersamen Melange aus Unverfrorenheit, Wagemut und Missionsgeist vollbrachte er letztlich ein Kunststück.

Justus Frantz: enge Freundschaft mit Leonard Bernstein

Den Musikern erzählt er von besonderen Konzerten in einem einmaligen Umfeld, von großen Sponsoren getragen. Möglichen Sponsoren berichtet er von großartigen Künstlern, die Schleswig-Holsteins Kultur beleben würden, wie nie zuvor. Weder das eine noch das andere stimmte. Zunächst. Anders auf den Punkt gebracht: Justus Frantz pokerte wie ein Weltmeister. Er zockte. Für Außenstehende wirkte es wie ein Wunder, dass bei der Festivalpremiere 1986 lebende Legenden wie Yehudi Menuhin, Svjatoslav Richter, Anne-Sophie Mutter oder Mstislaw Rostropowitsch auf dem Lande in Norddeutschland musizierten.

Auch mit dem Komiker Otto Waalkes stand Justus Frantz auf der Bühne (Archivfoto).
Auch mit dem Komiker Otto Waalkes stand Justus Frantz auf der Bühne (Archivfoto). © picture-alliance/ dpa | picture alliance

Leonard Bernstein und Justus Frantz wurden Freunde, enge Freunde. „Auch mehr, Herr Professor Frantz?“ Stille im heimischen Wohnzimmer am Kamin. „Mit Lenny hatte ich eine intellektuell und künstlerisch geprägte Freundschaft“, sagt der Pianist. „Ich weiß, dass Lenny sich in mich verliebt hatte.“ Beide seien eine „unverbrüchliche Gemeinschaft“ gewesen. Bis zu Bernsteins Tod im Oktober 1990 in New York. „Ich habe Lenny apollinisch geliebt“, fügt Frantz hinzu. Also harmonisch, maßvoll, anziehend, jedoch nicht körperlich. Und zwar fast 20 Jahre lang, etwa von 1971 bis 1990.

Justus Frantz: „Habe langjährige Beziehungen mit Männern gehabt“

„Männer können eine große Anziehungskraft auf mich ausüben“, sagt Justus Frantz ungefragt. „Ja, und ich habe langjährige Beziehungen mit Männern gehabt.“ Eine dieser Beziehungen, die nicht parallel zu seinen Ehefrauen und Lebenspartnerinnen bestanden, habe beinahe sieben Jahre gehalten, eine weitere ein bis zwei Jahre.

Themenwechsel. „Viele Wege führen nach Rom“, wiederholt Justus Frantz, „nur nicht der Mittelweg.“ Dieser Satz könnte so etwas wie sein Lebensmotto sein. Nach wie vor liebe er den Disput, provoziere für sein Leben gern, blühe in intelligenten Auseinandersetzungen auf. Dann gestattet er einen Blick auf das Display eines seiner drei Smartphones. 8355 Kontakte sind darauf gespeichert. Und 121.000 Mails liegen im Eingangskasten. Das besagt die Zahl daneben. Warum das denn? „Ich lese keine Mails“, entgegnet Justus Frantz.

Justus Frantz – ein leidenschaftlicher Porschefahrer

Gespräche mit wichtigen Menschen aus seinem Umfeld, darunter seine langjährige Ehefrau Alexandra von Rehlingen sowie Ksenia Dubrowskaja, die Mutter des gemeinsamen Sohnes Justus Konstantin, rundeten die Recherche ab. Der ehemalige Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, Björn Engholm, und mehr als ein Dutzend weiterer Weggefährten aus turbulenten Jahren trugen zum umfassenden Porträt eines Menschen bei, der seine ureigene Art auslebt. Es ist ein Kosmos mit dem Mutterplaneten Frantz.

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Der Maestro traf Majestäten der Welt, bewahrte sich indes ein Herz für kleine Wunder am Wegesrand. Für ein Stück Pflaumenkuchen mit Schlagsahne ließ er ein Flugzeug fliegen. Ein anderer Jet wartete auf dem Rollfeld, derweil der Künstler in der Badewanne innere Einkehr hielt. Apropos Badewanne: Dort entspannend, bei angelehnter Tür, pflegte er in turbulenten Jahren Briefe zu diktieren und Termine zu koordinieren. Die Mitarbeiter störten sich nicht daran. „Künstler dürfen ihre Marotten pflegen“, erinnert sich eine Referentin. Das Titelfoto der neuen Biografie stammt übrigens vom langjährigen Abendblatt-Fotografen Andreas Laible. 1987 gelang ihm die Aufnahme des seinerzeit leidenschaftlichen Porschefahrers Frantz: im Cabrio, mit aufgespanntem Regenschirm, vorm Schloss Salzau in Holstein. Tatsächlich „Zwischen den Welten“.

Justus Frantz: Wenn er den Ton angibt, ist Justus Frantz in seinem Element

Unrecht haben in seinem Universum im Prinzip meist die anderen. Einem reellen Zoff ging Justus Frantz nie aus dem Weg – bis heute nicht. Andererseits machten Talent und Chuzpe den Weg frei für Meisterleistungen wie die Festivalgründung oder die Idee einer Philharmonie der Nationen. Wenn er den Ton angibt, ist Justus Frantz in seinem Element.

Den Medien wird die neue Biografie von Jens Meyer-Odewald „Justus Frantz – Künstler zwischen den Welten“ am Montag in der frantzschen Mietwohnung in Harvestehude präsentiert. Die erste öffentliche Vorstellung folgt am Abend des 25. Mai in der Buchhandlung Felix Jud am Neuen Wall.
Den Medien wird die neue Biografie von Jens Meyer-Odewald „Justus Frantz – Künstler zwischen den Welten“ am Montag in der frantzschen Mietwohnung in Harvestehude präsentiert. Die erste öffentliche Vorstellung folgt am Abend des 25. Mai in der Buchhandlung Felix Jud am Neuen Wall. © Maximilian Verlag GmbH & Co. KG | Maximilian Verlag GmbH & Co. KG