Hamburg. Das älteste Privattheater der Stadt lässt gleich mehrere Musical-Vorstellungen ohne Angabe von Gründen ausfallen. Die Hintergründe.
Die Lage im Hamburger Engelsaal scheint sich weiter zuzuspitzen. Inzwischen sind mit Ausnahme von „Grand Prix - Eine musikalische Zeitreise mit den schönsten Hits!“ (25.5.) sämtliche für den Mai geplanten Veranstaltungen zwar noch auf der Website des Theaters gelistet, doch wer auf „Buchen“ klickt, wird zum Ticketportal Eventim weitergeleitet und dort heißt es dann „Diese Veranstaltung wurde abgesagt“. Eine Begründung gibt es nicht. Im Gegenteil: Betrachtet man die Website des Theaters, scheint alles seinen geregelten Betrieb zu gehen. „Liebe Gäste, selbstverständlich sollen Sie auch im Frühjahr und Sommer im Hamburger Engelsaal wieder aus vollem Herzen lachen und mitsingen können!“, heißt es dort einleitend.
Gar nicht zum Lachen war jedoch jenen Gästen zumute, die dort zuletzt die Vorstellung von „Operette sich wer kann!“ besuchen wollten: In Vorfreude auf das Stück, das dort erst im Februar Premiere gefeiert hatte, standen sie jüngst vor verschlossener Tür.
Hamburger Engelsaal vor dem Aus? Tür zur „Operette sich wer kann!“ blieb verschlossen
„Im Foyer warteten bis zum geplanten Spielbeginn um 15 Uhr etwa 50 Besucher, aber die Tür zum Theatersaal wurde nicht geöffnet, obwohl hinter dem Türvorhang Licht zu sehen war“, berichtet Abendblatt-Leser Günther Voigt, der für sich, seine Frau Heide und zwei weitere Personen Karten zu jeweils 50,69 Euro gekauft hatte. „Niemand erschien im Foyer, um die Situation zu erklären. Auch einen schriftlichen Hinweis am Eingang gab es nicht“, moniert Günther Voigt. So etwas hätten er und seine Frau, seit fast 70 Jahren regelmäßige Theater- und Konzertgänger, noch nicht erlebt.
Immerhin konnte er seinem und dem Ärger der Wartenden auf dem Anrufbeantworter des Engelsaals noch Luft verschaffen. Am Donnerstag hieß es unter der Büronummer nur noch: „Ihr Anruf kann zurzeit nicht angenommen werden. Bitte rufen Sie später wieder an.“ Und es verdichten sich die Anzeichen, dass im Engelsaal der Spielbetrieb weiterhin ausgesetzt ist.
Karl-Heinz Wellerdiek hatte den Engelsaal 2005 wiedereröffnet
Steckt Hamburgs ältestes Privattheater (1809 als „Theater im Engelsaal“ eröffnet) in einer schweren Krise? Die Ursachen dafür könnten nicht nur in der Corona-Pandemie, sondern noch weiter in der Vergangenheit liegen. Sie hängen auch mit dem tragischen Tod des Engelsaal-Prinzipals Karl-Heinz Wellerdiek im Alter von nur 59 Jahren Anfang 2019 und dessen Nachfolge zusammen. Der in München und New York ausgebildete Schauspieler und Sänger, vormaliger Besitzer von fünf Hotels und einer Tanzschule (Tanzkult in Winterhude), hatte die denkmalgeschützten und historisch getreu rekonstruierten Säle am Valentinskamp 2004 erworben und 2005 als Engelsaal wiedereröffnet. Als Haus für Operette und die leichte Muse füllte es im vielfältigen hanseatischen Theaterleben eine Nische.
Zwar hatte Wellerdiek seine Nachfolge noch zu Lebzeiten geregelt, indem der Sänger und Regisseur Philip Lüsebrink neuer Intendant des Engelsaals wurde und der gefragte Theatermusiker Herbert Kauschka Musikalischer Leiter blieb. Jedoch schied Lüsebrink im Spätsommer 2020 nach nur gut anderthalb Jahren als Chef und nach fast anderthalb Jahrzehnten auch aus dem Engelsaal-Ensemble aus. Lüsebrink sprach damals von „unterschiedlichen Auffassungen der neuen Geschäftsführung über die künftige künstlerische Ausrichtung des Theaters“.
Auf mehrmalige Abendblatt-Nachfragen gibt es zum Engelsaal keine Antwort
Die Geschäfte führt bis heute Thomas Wellerdiek, Karl-Heinz Wellerdieks Witwer, der mit der Hamburger Engelsaal GmbH nun Mieter der Theaterräume ist. Thomas Wellerdiek aber ward seit Wochen nicht gesehen, heißt es aus Künstlerkreisen. Der zweite laut Website für den Engelsaal Verantwortliche, der Musikalische und zusätzlich Künstlerische Leiter Herbert Kauschka, meldete sich trotz mehrmaliger telefonischer Bitten und E-Mail-Anfrage des Abendblatts nicht zurück. Was hingegen geschah: Am Freitagmittag tauchten die für den 3. bis 5. Mai geplanten Vorstellungen, etwa der für den Abend geplante Musical-Klassiker „My Fair Lady“, plötzlich nicht mehr auf der Engelsaal-Website auf. Ein schriftlicher Hinweis hing diesmal am Theatereingang und verwies etwas kryptisch auf „Umstände, die nicht beeinflussbar sind“.
Auch interessant
- Föhr zu Gast in Hamburg: Mit Kunst für die Insel werben
- „Funny Games“ auf Kampnagel in Hamburg: Harter Stoff, Durchhalten lohnt
- Laeiszhalle Hamburg: Konstantin Wecker wählt Konzert statt Reha
Abendblatt-Leser Günther Voigt übrigens wurde wegen Erstattung der Kosten seiner bei Eventim gekauften Karten für „Operette sich wer kann“ von dem Ticketvermittler Folgendes mitgeteilt. „Uns liegen allerdings noch keine Informationen vom Veranstalter vor. Sobald wir Neuigkeiten erhalten, informieren wir Sie umgehend per E-Mail. Bewahren Sie Ihre Tickets bis dahin bitte einfach auf. Es ist jedoch nicht Eventim, sondern ausschließlich der Veranstalter, der alle wichtigen Entscheidungen zur weiteren Abwicklung trifft. Eventim als Ticketvermittler handelt im Auftrag des Veranstalters.“ Der jedoch, die Hamburger Engelsaal GmbH, hüllt sich nach wie vor in Schweigen.