Hamburg. Charmante Liebeskomödie, toll besetzt: „Babylon Berlin“-Schauspielerin trifft künstliche Intelligenz in „Ich bin dein Mensch“.

Wovon träumen 93 Prozent der Großstadtfrauen? Davon, dass ein möglichst gut aussehender Kerl ihnen tief in die Augen blickt und dabei von Bergseen säuselt? Dass er Kerzen anzündet und ein Verführprogramm wie aus einer Frauenzeitschrift abspult? Möglich. Almas Entzücken allerdings hält sich in Grenzen, sie gehört fraglos zu den restlichen sieben Prozent. „Ich klöne nie“, stellt sie klar. Und auch dieser Satz beschreibt die nüchterne Wissenschaftlerin ganz gut. Alma lebt in einem stylishen, ästhetisch etwas unterkühlten Loft, wo der kleine Leuchtapfel auf dem MacBook der Gipfel der Gemütlichkeit ist. Ihr Forschungsgebiet ist die frühe Keilschrift, Poesie stellt darin vor allem eine intellektuelle Herausforderung dar. Dass ausgerechnet Alma einen Romantikroboter testen soll, hat sie einem Kollegen zu verdanken, der von ihr ein Gutachten erwartet.

Als die Science-Fiction-Komödie „Ich bin dein Mensch“ 2021 mit der Hamburger Schauspielerin Maren Eggert in die Kinos kam (und es wenig später sogar auf die Shortlist für die Oscar-Nominierungen schaffte), war die Diskussion um künstliche Intelligenz in der breiten Öffentlichkeit längst nicht so präsent wie heute. Was erst recht dafür spricht, das Drehbuch von Maria Schrader und Jan Schomburg noch einmal in die Hand zu nehmen: An den Hamburger Kammerspielen hat sich nun die Regisseurin Esther Hattenbach um das Thema gekümmert und die Rolle der Alma mit der jungen, ebenfalls faszinierend spröden Lilli Fichtner („Babylon Berlin“) besetzt.

Hamburger Kammerspiele: „Babylon Berlin“-Star verliebt sich in einen Romantikroboter

Skeptisch begutachtet sie das gelieferte Männermodell. „Sie wissen gar nicht, wie kompliziert es ist, einen Flirt zu programmieren“, seufzt die Mitarbeiterin der Techfirma (Valerija Laubach). Dabei ist die Maschine zumindest äußerlich erstaunlich lebensecht geraten: Tom ist ein smarter Androide, dessen Algorithmus voll auf die (vermeintlichen) Bedürfnisse seiner neuen Besitzerin ausgerichtet ist. Er sieht fantastisch aus, hat Charme, Witz und putzt freiwillig Fenster (in den Kammerspielen geht übrigens genau an dieser Stelle ein sehnsuchtsvolles Raunen durchs Parkett).

Sind programmierte Gefühle dasselbe wie echte Emotionen? Für den, der zuschaut, schon: „Ich bin dein Mensch“ erzählt an den Hamburger Kammerspielen eine Liebesgeschichte.
Sind programmierte Gefühle dasselbe wie echte Emotionen? Für den, der zuschaut, schon: „Ich bin dein Mensch“ erzählt an den Hamburger Kammerspielen eine Liebesgeschichte. © Bo Lahola | Bo Lahola

Tobias van Dieken spielt den Traummann mit subtiler Irritation, eine anfangs etwas zu ruckende Kopfbewegung hier, ein zu durchdringender Blick, ein zu perfekt abgespultes Wissen dort. Es gelingt ihm bravourös, dass man ihm den Roboter anmerkt, ohne dass er das Künstliche allzu sehr ausstellt. Ohnehin lernt das nicht ganz ausgereifte Programm schnell. Was sowohl Alma als auch Tom irgendwann an Grenzen führt – ihrer Gefühlswelt und seiner Programmierung. „Illusion ist nur eine andere Form von Realität“, heißt es an einer Stelle, und die Übereinstimmungen mit unserer bereits bestehenden Gegenwart, in der wir nicht nur die Partnersuche längst an Algorithmen ausgelagert haben, sind selbsterklärend.

„Ich bin dein Mensch“: Im Mittelpunkt steht eine zarte, zutiefst traurige Liebesgeschichte

Die philosophischen Ebenen stecken wie im Film auch in diesem Theaterabend. Große Fragen werden verhandelt, der Prometheusmythos wabert durch die federleichten Dialoge. Wann ist ein Mensch ein Mensch? Womit hat das Menschsein einst begonnen? Wann wird Fortschritt monströs, wie leicht verlieren wir die Kontrolle? Welchen Unterschied macht es tatsächlich, Gefühle darzustellen oder Gefühle zu haben? Die Projektion von Sehnsüchten stellt auch in Bezug auf ein Bühnen- oder Leinwandkunstwerk spannende Fragen. Auf der Bühne und vor der Kamera wird so getan als ob. Und im Parkett oder im Kinosaal leiden wir trotzdem ganz real mit.

„Alexa, küssen bitte“: Roboter Tom fasziniert Alma in „Ich bin dein Mensch“ an den Hamburger Kammerspielen.
„Alexa, küssen bitte“: Roboter Tom fasziniert Alma in „Ich bin dein Mensch“ an den Hamburger Kammerspielen. © Bo Lahola | Bo Lahola

Doch Esther Hattenbach und ihr Ensemble erliegen nicht der Verlockung, die Inszenierung über Gebühr damit oder mit ihrer Gegenwartsrelevanz zu belasten. Zum Glück! All das schwingt zwar mit, ist auch an den Kammerspielen subkutan Teil der Erzählung. Aber im Mittelpunkt steht doch eine zarte, zutiefst traurige Liebesgeschichte. Denn als der Humanoide menschliche Unzulänglichkeiten kopiert (oder etwa ausbildet?), als er schnarcht und eben nicht mehr perfekt abliefert, sondern sich bisweilen sogar verweigert (weil sein Programm es so lernt oder weil er ein Bewusstsein entwickelt?), gerät Almas Ablehnung ins Wanken. Wider besseres Wissen.

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Und natürlich werden auch die Zuschauerinnen und Zuschauer manipuliert. Sie verlieben sich mit Lilli Fichtner und Tobias van Dieken, die ihre Sache ausgesprochen glaubhaft machen, in Alma und Tom. Der Abend spielt mit dem Wunsch, dass sich eine Maschine in ein menschliches Wesen aus Fleisch und Blut verwandeln möge. Dass eine unmögliche Liebe gegen alle Wahrscheinlichkeit, gegen die Regeln von Gesellschaft oder Logik gelingen möge. Und auch deshalb funktioniert dieses melancholische, tragikomische Märchen so gut auf der Bühne: Das Theater ist ein Möglichkeitsraum. Und der Radiohead-Song „Creep“ zerrt darin unbarmherzig am Gefühl: „I wish I was special/You′re so fuckin‘ special/But I‘m a creep.../I want you to notice/ When I‘m not around...“

„Ich wünschte, ich hätte dich nie kennengelernt“, gesteht Alma irgendwann, da ist sie schon verloren. „Jetzt ist ein Leben ohne dich nur noch ein Leben ohne dich.“

„Ich bin dein Mensch“, bis 1. Juni an den Hamburger Kammerspielen, Karten unterwww.hamburger-kammerspiele.de