Hamburg. Die schwäbische Band Provinz spielt in der ausverkauften Sporthalle in ihrer Wahlheimat Hamburg – und wird frenetisch gefeiert.
In dem Wort Provinz schwingt ja stets mit, aus dem großstädtischen Raum belächelt zu werden. Doch nur Tristesse galore, tote Hose und german Piefigkeit auf dem Land? So einfach liegen die Dinge natürlich nicht. Und seit einigen Jahren ist der Begriff zudem mit ultimativer Coolness aufgeladen. Dank der Band Provinz.
Ursprünglich aus einem Dorf in Baden-Württemberg, sind die Musiker vor einem Jahr nach Hamburg gezogen. Böse Berliner Zungen mögen behaupten, das sei doch ebenfalls Provinz. Egal. In der neuen Heimat wird das Indiepop-Quartett frenetisch gefeiert. Sporthalle, ausverkauft. Mitte April: Zusatzshow an selber Stelle, für die es ebenfalls keine Tickets mehr gibt.
Provinz in Hamburg: Ultimative Coolness im Wechselbad der Gefühle
Alle strömen sie heran. Mit leuchtenden Gesichtern. Holzfällerhemd und Hochwasserhose. Baggy und bauchfrei. Noch ein Büchsbier vor dem Einlass. Drinnen vielleicht ein paar Provinz-Socken kaufen am Merchandise-Stand. Kann man immer gebrauchen. Dicht an dicht steht die Menge, als mit dem Song „Nightcall‟ von Kavinsky die Show eingeläutet wird. „Drive‟-Soundtrack, Ryan Gosling. Cooler kann‘s nicht mehr werden. Dafür unbedingt euphorischer.
Die Band startet mit „Intro‟ und den überaus passenden Zeilen „Mach‘ drei Kreuze, wir sind dabei / Spürst du, wie der Druck langsam steigt?‟. Inbrunst von Sekunde eins. Und das Publikum ist Wort für Wort textsicher. Etwa bei „Großstadt‟, ein Song über das Aufwachsen in der Provinz. Segen und Fluch zugleich. „Der Himmel war noch nie so klar / Hier gibt‘s keinen Club, nur eine Bar‟, proklamiert Sänger und Gitarrist Vincent Waizenegger. Seine Texte treffen einen Nerv: Groß werden in deutscher Durchschnittlichkeit. Wo man sich seine Aufregungen selbst schaffen muss. Und wo man sich miese Tage mit guter Musik schönhört. Etwa mit Melancholischem von James Blake, dem Provinz einen Song gewidmet hat.
Der Schweißpegel stimmt schon mal. Und das Glückslevel sowieso.
„Gerade war Zeitumstellung. Wisst Ihr, was das bedeutet? Der Sommer kommt!‟, ruft Waizenegger. Mit seinen beiden Cousins – Moritz Bösing am Bass und Robin Schmid am Keyboard – sowie mit Schlagzeuger Leon Sennewald entfesselt er tatsächlich eine Energie wie auf einem Open-Air-Festival. Vor allem beim luftig-leichten „Liebe zu dritt‟ scheint das Dach der Sporthalle abzuheben. „Alles easy / alles leicht‟, singt Waizenegger in geschmeidigem Flow. Hände hoch, tanzen, springen. Vorfreude auf laue Tage. Der Schweißpegel stimmt schon mal. Und das Glückslevel sowieso.
Zwar machen hier, wie seit Jahren und Jahrzehnten im Indierock üblich, vier weiße Typen zusammen Musik. Doch etwas hat sich verschoben. Provinz markiert kein schnödes Macker- und Muckertum. Sie lassen die junge Newcomerin Paula Engels hochleben, die mit ihrem Electro-Pop eindrucksvoll das Vorprogramm gestaltet hat. Und sie betonen, dass sich alle wohlfühlen und aufeinander achten sollen. Ein extra Team ist dafür anwesend, und im Foyer weisen Plakate zum Thema Awareness darauf hin. In die ersten Reihen werden Wasserflaschen ausgegeben. Und wenn es jemandem im Gedränge vorne nicht gut geht, macht Waizenegger sofort darauf aufmerksam. All das bremst den Live-Rausch keineswegs aus. Im Gegenteil.
Sehr gut klingt er, der Hamburger Sound von Provinz
Zu „Walzer‟ tanzen zwei Frauen aus dem Publikum, bejubelt auf einem erhöhten Podest auf der Bühne. Und auch in der Halle sind einige kreisende Paare zu sehen, wie sonst nur bei der „Night of the Proms‟ in der Arena. Bei Provinz allerdings gehen die Fans in schön schlonziger Sweatshirt-Sneaker-Variante auf Rotation. „Das Wetter ist ein bisschen ein Problem‟, erklärt Wahl-Hamburger Waizenegger schließlich. Dafür hätten sie jetzt aber einen neuen Proberaum. Und aus dem haben sie einige noch unveröffentlichte Songs zum Konzert mitgebracht. Etwa „Lauf Forrest, lauf‟. Sehr gut klingt er, der Hamburger Sound von Provinz. Treibend, groovend, hymnisch.
Zwei Alben hat Provinz seit 2020 bei ihrem ebenfalls in Hamburg beheimateten Label Warner veröffentlicht. Den noch früheren Song „Reicht dir das‟, eine herzschmerzende Trennungsnummer, singen alle überaus beherzt im Chor. Und aus den persönlichen Gefilden geht es dann mitten hinein in düster-gesellschaftliche. Mit „Krieg‟ und „Hymne gegen Euch‟ schlägt Provinz politische Töne an und spricht sich klar und deutlich gegen Rassismus aus.
Provinz in Hamburg: Ein Konzert, das Lebenshunger stillt
Waizenegger tanzt zuckend und singt, als wringe er sich selbst aus, bis auch der letzte Tropfen Emotion in seine Lieder fließt. Eindringlich, rau, teils schreiend oder rappend, dann wieder dunkel und softer singend.
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Zum Finale lässt er mit Provinz dann noch einmal alle ausrasten. Zu Hits wie „Was uns high macht‟ und „Tanz für mich‟. Die Fans klatschen, jubeln, feiern. Durchgerockt und strahlend. Vom Bad in der Menge. Vom Wechselbad der Gefühle. Ein Konzert, das Lebenshunger stillt. Und zugleich entfacht.