Hamburg. Die Könige des zeitgenössischen Pop hielten Hof. Mit Wohnzimmer-Vibes und allen Hits. Musste man lieben.

Durchdrungen vom Pop und dem Gedanken daran, dass alles eine Show ist: Wir wussten natürlich längst, dass die aktuelle Tour der fantastischen, flamboyanten, glamourösen Band The 1975 eine tolle, kluge und mitreißende Angelegenheit ist. „Still At Their Very Best“ heißt die Tournee, mit der die Engländer schon seit mehr als einem Jahr unterwegs sind. Sie sind, was auch für britische Popbands nicht leicht ist, in Amerika ziemlich big. Für ihre Konzerte wie die im New Yorker Madison Square Garden gab es ausnahmslos gute Kritiken.

In Hamburg erlebten nun, beim ersten von fünf Deutschland-Konzerten, geschätzt 6000 Menschen, warum das so ist. The 1975, diese seit mehr als zehn Jahren brummende britische Popveranstaltung, die Rock, Electro, Soul und R’n’B vereint, verströmte in der Barclays Arena die Aura einer perfekten zeitgenössischen Band.

Barclays Arena: The 1975 in Hamburg – Der große Auftritt einer großen Band

Und betrat dabei im ersten Teil des Konzerts aufs Schönste doppelten Boden. Sänger Matty Healy, die charismatische Mitte der Band, lungerte, Donnerwetter, tatsächlich schon längst auf der Bühne, als die Lichter angingen.

Auf einem Sofa, das – wie auf einer Theaterbühne – in einem Split-Level-Wohnzimmer mit gaaaaanz vielen Lampen stand und von dem aus der bisweilen selbstquälerische Popdramatiker Healy dann aufstand, um die Songs des bislang letzten Albums „Being Funny In A Foreign Language“ zu performen. Eine Performance war dieser erste Teil des Konzerts unbedingt: Healy ist einer der am besten bei der Arbeit anzuschauenden Popstars, die man sich dieser Tage denken kann. Genau davon handeln die neueren Stücke von The 1975: von einem Künstler, der sich permanent hinterfragt (oder so) und um seine Pop-Posen weiß.

The 1975 in Hamburg: Selbstinszenierung Healys gerät zur großen Schau

„The 1975“, der stets neue Signature-Song der Band, eröffnete das Konzert. Unter anderen mit den Zeilen „I’m sorry about my twenties,/I was learnin‘ the Ropes/I had a tendency of thinking ‘bout it after I spoke”. Die Zwanziger sind bei längst nicht allen Fans in der Barclays Arena schon vorbei; und dass Healy im Übrigen ein eher weibliches Publikum anzieht, versteht sich von selbst. Wobei der männliche Anteil auch nicht ganz klein war.

The 1975 heizten die Barclays Arena ordentlich ein.
The 1975 heizten die Barclays Arena ordentlich ein. © Jordan Curtis Hughes | Jordan Curtis Hughes

Die Selbstinszenierung Healys als Meta-Rockstar mit Tanz-Skills (derzeit eher sparsam eingesetzt) geriet auch in Hamburg zur wahrhaftig interessanten und großen Schau. Dass dabei smarte, eingängige, mit viel Popgefühl arrangierte Songs wie „Happiness“ (bei The 1975 klingt das Saxofon auch dank John Waugh so fresh und unpeinlich wie nirgends sonst!), „Looking For Somebody (To Love)“ und „I’m In Love With You” für die Akustik sorgten, war dem Erlebnis sicher nicht abträglich.

Dann war da noch „About You“, die delikateste Liebesballade der Gegenwart

Die älteren Stücke „Robbers“ und „A Change Of Heart“ holten im ersten Set die 1975-Veteranen ab, und dann war da noch „About You“, die delikateste Liebesballade der Gegenwart. Oder etwa nicht? „Hold on and hope that we‘ll find our way back in the end“, singt Healy, ein Ex-Freund Taylor Swifts übrigens, da mit Schmalz und dem Willen, in der Liebe durchzuhalten. Die Güte einer Band zeigt sich nie nur in den Songs, sondern auch in der Fähigkeit, live diese Songs so zu zelebrieren, als wäre es das erste und das letzte Mal.

Den stylishen und gerade deswegen altmodisch anmutenden Bühnenaufbau (sollen das Interieur-mäßig die 70er sein?) nutzte die Band dabei weidlich aus. Healy schlappte insgesamt bequem durchs Wohnzimmer und richtete erst spät ein paar Worte ans Publikum (ein paar krude Sextipps an den männlichen Teil, wenn wir das richtig verstanden haben, Hüften nicht bewegen). Schiefgehen konnte dabei nichts, der Mann – manche hassen übrigens seine exaltierte Mimik, warum nur – könnte wohl auch ein Publikum mit den Dimensionen eines Harry-Styles-Konzerts beherrschen.

The 1975 in Hamburg: Raffiniert und verschwenderisch in Sound und Show

Zwischenzeitlich spielte Healy am Klavier sitzend Akustikgitarre („When We Are Together“) und danach selbige auch ohne Klavier-Accessoire („Be My Mistake“), während helfende Hände in weißen Kitteln im Wohnzimmer herumräumten (der Star und eine bestimmte Form von Entourage).

Der zweite Teil des glanzvollen Konzertabends war dann den Stücken vorbehalten, die die Band vor allem im angloamerikanischen Raum populär gemacht haben. Der ungenierte Gassenhauer „If You’re Too Shy (Let Me Know)“, „The Sound”, das majestätische „Somebody Else”, der Übersong „Love It If We Made It”, ein sarkastischer Protest gegen das moderne Leben, der so erstaunlich kraftvoll und doch auch fröhlich ist – für diese Stücke kamen am Ende natürlich alle.

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Mit The 1975 wird gelegentlich der aus den 80ern stammende Begriff „Sophisti-Pop“ in Verbindung gebracht. Raffiniert und verschwenderisch in Sound und Show waren die insgesamt sieben Livemusiker um die Zentralgestalt Healy auch in Hamburg.

The 1975 sind die Könige des Pop, sie verfügen über eine Armada an Songs, Melodien und Signalen. Rausschmeißer auf der aktuellen Tour sind „Sex“ und „Give Yourself A Try“, zwei Gitarrenstücke, bei denen The 1975 nach den Polituren des Pop noch einmal die Sau rauslassen konnten.

Gestärkt verließ man an diesem Abend die Barclays Arena. Endlich mal keine Nostalgie, sondern sehr klares Jetzt.