Hamburg. Auf „Alicia“ beleuchtet die US-Sängerin den Alltag in Amerika. Ein halbes Jahr hat sie die Veröffentlichung vor sich hergeschoben.
Es gibt Songs, die können viele Jahre lang das Programm von Formatradios, Stadtfesten, Hochzeiten und Umlanddiscos bestimmen und trotzdem nichts von ihrer Magie verlieren. „Empire State Of Mind“ ist so eine unzerstörbare Nummer. Seit 11 Jahren beschwört das Duett von Jay-Z und Alicia Keys den ungebeugten Optimismus von New York, dem Beton-Dschungel der wahr werdenden Träume, wo nichts unmöglich ist.
Es ist gut möglich, dass nicht wenige New Yorker Zweifel an diesem Selbstverständnis hatten in den vergangenen sechs Monaten. Die von Corona geprägten Bilder gingen ebenso um die Welt wie die Nachrichten rund um die vielen Spaltpilze in der US-amerikanischen Gesellschaft – Rassismus, Polizeigewalt, Demonstrantengewalt, Kulturkämpfe.
Alte und neue Gräben gehen durch Freundeskreise, Familien oder die Anhängerschaften der acht großen, bis auf eine alle zuletzt mittelschlechten Sportmannschaften. Beton-Dschungel der wahr werdenden Albträume. Pop kann da höchstens ein schlecht haftendes Trostpflaster sein, selbst wenn es von der großen, von einem Kranz aus 15 Grammys gekrönten Konsenskünstlerin Alicia Keys gereicht wird.
Eine Platte wie eine selbsterfüllende Prophezeiung
Ein halbes Jahr lang hat Keys die Veröffentlichung ihres siebten Albums „Alicia“ vor sich hergeschoben. Dabei hätte es gut auch in den April oder Mai gepasst, die bereits ausgekoppelten Singles bewiesen bereits ein hervorragendes Timing: Bereits im Januar erschien das mit Ed Sheeran und weiteren Künstlerinnen und Künstlern geschriebene „Underdog“, das sich vor Singlemüttern, Medizinstudenten, jungen Lehrern und anderen sich aufopfernden Menschen verneigt. „Good Job“ tat das Gleiche als Gleichnis für die pandemische Welt da draußen, in denen so viele Menschen ganz selbstverständlich ihren sonst kaum beachteten, aber wichtigen Job machten.
Für mehr warme Worte als Geld. Das Album „Alicia“ ist so auch mit langer Verspätung eine Platte wie eine selbsterfüllende Prophezeiung. „Perfect Way To Die“ erzählte im Juni von der Trauer einer Mutter, deren Sohn auf offener Straße erschossen wurde. Ein Lied, dass in den USA leider an jedem Tag aktuell war und bleiben wird und aus persönlichen, gesellschaftlichen oder politischen Perspektiven gehört werden kann.
Die neuen Lieder sind etwas für das heimische Kämmerlein
Von den erfolgreichen Popsängerinnen der letzten 20 Jahre war und ist Alicia Keys immer die ruhigere, nachdenkliche gewesen, und auch „Alicia“ erhöht selten das Tempo über R-’n’-B- und Pop-Balladen wie „Show Me Love“, „Authors Of Forever“, „3 Hour Drive“ oder „Gramercy Park“ hinaus.
Das karibische „Wasted Energy“ und „Time Machine“ mit seinem präzise puckerndem Uhrwerk-Beat und in die hohen Lagen geschraubten Gesangsharmonien sind zwei der wenigen extrovertierten Momente. Auch das ist zeitgemäß an „Alicia“. Die neuen Lieder sind eher für das heimische Kämmerlein gedacht als für eine große Show in der Barclaycard Arena: Das Konzert wurde von Juni 2020 auf den 18. Juni 2021 verlegt. Bislang müssen wir in eine Zeitmaschine steigen, um zu erfahren, ob es stattfinden wird.