Hamburg. Großer Auftritt mit Sopranistin Luminita Andre in edlem Ambiente. Eine Liebesgeschichte ohne Kitsch, dafür schnörkellos, zum Mitfühlen.
Mit Statistiken soll man vorsichtig sein. Nach der umjubelten Premiere von Giuseppe Verdis „La Traviata“ an der Hamburger Kammeroper im Allee Theater an der Max-Brauer-Allee kursierte auf der Premierenfeier, dass das Meisterwerk die meistgespielte Oper aller Zeiten sei. Ein Blick ins Internet weist auf verschiedene Statistiken, da kommen Mozarts „Zauberflöte“ oder Bizets „Carmen“ auch nicht schlecht weg. Zahlen hin oder her, was zählt, ist die großartige Musik, die ergreifende Handlung um die schwindsüchtige und ehrlich liebende Kurtisane Violetta, eine intelligente Inszenierung, großartige Sänger und ein gutes Orchester. Und da wurde die Hamburger Kammeroper einmal mehr ihrem guten Ruf gerecht!
Intendant Marius Adam führte Regie, Dirigent Ettore Prandi leitete das Musiker-Ensemble feinfühlig und mit viel Sinn für italienisches Gefühl. Und um es gleich einmal vorwegzunehmen: Die Sopranistin Luminita Andrei als „La Traviata“ war fantastisch, schauspielerisch und sängerisch. Bis Mitte Mai steht die Inszenierung noch im Spielplan.
„La Traviata“ am Allee Theater Hamburg: Edles Ambiente mit Blattgold
Zum Allee Theater und seiner Hamburger Kammeroper gehört seit den Anfängen die renommierte Bühnenbildnerin Kathrin Kegler. Faszinierend, wie fantasievoll sie immer wieder die Mini-Bühne des Allee Theaters gestaltet. Ein Raum für alle Szenen. Hohe, ein bisschen verschachtelte, mit Blattgold belegte Wände sorgen für ein edles Ambiente. Eine dunkelblaue Chaiselongue ist Sofa, aber auch Violettas Sterbebett, ein raumhoher schräger Spiegel erweitert die Bühne und ermöglicht variierende Perspektiven. Geschickte Beleuchtung lässt Situationswechsel verständlich werden.
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Die Geschichte nach dem Roman „Die Kameliendame“ von Alexandre Dumas d. J. hat spannende Facetten. Violetta Valéry ist zu einer der begehrtesten Kurtisanen in Paris geworden, aber um den Preis von echten Gefühlen und Einsamkeit. Sie verliebt sich in den sozial höherstehenden Alfredo, der auch in sie. Aber: Gesellschaftliche Schranken stehen der Liebe im Weg. Alfredos Vater Giorgio Germont ist Familienehre wichtiger als das Glück seines Sohnes.
Er bittet Violetta – perfide schleimend –, Alfredo zu verlassen, worauf sie sich letztlich einlässt und einen Abschiedsbrief an Alfredo schreibt. Die Szene gehört zu den schillernsten der Operngeschichte. Verdi hat die schönste Musik für den doppelzüngigen Charakter des Vaters erfunden. Irgendwann dämmert es Germont, dass Violetta ehrliche Gefühle für seinen Sohn hat. Aber er besteht trotzdem auf Trennung.
Erfolgsoper „La Traviata“ in Hamburg: Frauen als nützliche Ware
Erst als Violetta im Sterben liegt, holt er sogar seinen Sohn, damit er ihr beisteht. Die Männer nahmen sich überhaupt allerlei heraus, damals im 19. Jahrhundert. Frauen galten als nützliche „Ware“. Alfredo ist da keine Ausnahme. Er traut der Liebe Violettas nicht, bezichtigt sie der Untreue, beleidigt sie, geht sie im Allee Theater sogar fast handgreiflich an. Bis der Vater ihm sagt, dass Violetta ihn wirklich liebe. Zu spät, sie stirbt.
Regisseur Marius Adam erzählt die tragische Geschichte schnörkellos, mit anrührendem, schauspielerischem Esprit, zum Mitfühlen, aber ohne Kitsch. Violetta wird von Anfang an vom Tod begleitet, ein schwarzer Mann mit weißer Maske geistert immer wieder durch die Szene und öffnet am Ende rot glühende Höllenpforten. Violetta aber entschwindet im hellen Licht des Himmels.
„La Traviata“ am Allee Theater: Luminita Andrei singt die schwere Partie souverän
Weil Marius Adam als Bariton selbst den Vater Germont gesungen hat, weiß er genau, was er als Regisseur von seinen Sängern verlangen kann. Luminita Andrei singt die schwere Partie souverän, mit variantenreichem Timbre und facettenreicher Dynamik, und sie spielt mit Noblesse. Guillermo Valdés leiht Alfredo seinen warmen, schönen dunklen Tenor, anfängliche Wackler waren schnell vergessen. Titus Witt vermittelte die Zwielichtigkeit des Vaters Germont sehr geschickt und stimmlich vielschichtig: Das Berechnende und am Schluss dann sein erwärmtes Herz für die sterbende Violetta.
Sängerisch beweist die Hamburger Kammeroper einmal wieder ihre hohe Qualität. Und auch das nur sechsköpfige „Orchesterchen“ konnte sich hören lassen. Dirigent Ettore Prandi hat wirklich ein Kunststück vollbracht und die große Partitur wirkungsvoll für die kleine Besetzung arrangiert. Das klang luftig und kammermusikalisch, hatte aber auch viel Verve für die großen emotionalen Momente. Also auf ins Allee Theater: Verdis „La Traviata“ ist einen Besuch wert.