Hamburg. Die Hamburger Neonschwarz-Sängerin Marie Curry stellt ihr Solodebüt „Cameo“ vor. Ihre Haltung gegen Rechtsextremismus bleibt stabil.

Seit Jahren sammelt sie Worte, Reime, Ideen. Überall. Zu Hause. Unterwegs. „Triff mich auf der Straße / wie ich Grünphasen verpass / weil ich in mein Handy hack“, rappt Marie Curry in „Cameo“, dem Titelsong ihres Solodebüts. Und wie sie diese poetischen Skizzen zu Songs und Storys verdichtet, ist lässig und beglückend zugleich. „Nag Champa“ etwa ist ein grandioser Erinnerungsstrom mitten hinein in ihre Jugend im niedersächsischen Diepholz: „Stoppelfelder ziehen sich endlos / häng im JFZ, Bandproben“. Eine Reise in den Duft trister Teenagertage.

„Damals roch es einfach in sehr vielen Zimmern nach Räucherstäbchen“, erzählt Marie Curry bei einem Tee im Karoviertel. Längst ist sie vom Land in die Stadt gezogen. Nach Hamburg, wo sie seit mehr als zehn Jahren bei der Hip-Hop-Crew Neonschwarz mitmischt. Mit Rap, der akzentuiert und wahrhaftig klingt. Und mit einem Gesang, in dem sehr viel Seele mitschwingt. Ein Mix ihrer frühen und aktuellen Einflüsse: Lauryn Hill, Erykah Badu und Kendrick Lamar für den Soul und den Flow. Und Dendemann für den Wortwitz.

Marie Curry: Mit Neonschwarz ging es aus Jugendzentren in die Clubs

„Mit Neonschwarz konnte ich als Rapperin und Sängerin wachsen. Das hat sich alles sehr organisch angefühlt“, sagt Marie Curry. Von Abrisshäusern ging es über Jugendzentren bis in die Clubs und auf Festivals. Ihr Solopfad wiederum hatte sich bereits im Jahr 2022 mit der Nummer „Alles groß“ angekündigt. Und nun also ein ganzes Album. Weniger Kompromisse, mehr Ausprobieren. Marie Curry wirft da Blicke zurück, bricht beherzt auf und fühlt sich in verschiedene Lebensentwürfe hinein. Wie ein Cameo-Auftritt in ihrer eigenen Biografie. Die Beats am Puls der Zeit. Und die Haltung stabil. Allerdings ohne die Faust schlicht plakativ in die Luft zu recken.

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„Ich wollte politische Themen auf ‚Cameo‘ anders verpacken“, erläutert die Künstlerin. Bildhafter, erzählerischer, empathischer. Ein zentraler Song dabei ist „Schlafes Schwester“. Gegenwartsanalyse und Solidaritätsadresse gleichermaßen. „Krieg die Krise / wenn ich die braunen Zahlen seh / Queers, Juden, PoC suchen schon ‘n Plan B“, rappt sie da. Entstanden ist die Nummer bereits Monate vor den Correctiv-Enthüllungen. Und vor den großen Protestzügen gegen Rechtsextremismus. „Die Demos stören das Narrativ der AfD, dass die schweigende Mehrheit diese Partei befürwortet“, erklärt Marie Curry. Doch bei solch massenwirksamen Bildern allein dürfe es nicht bleiben.

Marie Curry: „Die Rechten nehmen sich Räume, wo andere fernbleiben“

„Recharge, be strong, full support / women life freedom, change the game, Haare in den Wind / Janelle Monáe, paint the city pink“, rappt Marie Curry in „Schlafes Schwester“. Mit wenigen Worten öffnet sie viele Fenster. Unter anderem macht Marie Curry in diesem starken Song deutlich, dass Selbstfürsorge kein Selbstzweck sein darf, sondern bestenfalls in Gemeinnützigkeit münden sollte, in Solidarität, in die Unterstützung anderer. „Schlafes Schwester wird uns niemals kriegen“: Diese Zeile wird zum Mantra gegen die Ohnmacht. Und zum melodischen Pep-Talk, um Kraft zu sammeln für politisches Engagement.

„Die Rechten nehmen sich Räume, wo andere fernbleiben.“ Ein Beispiel sei die Präsenz der AfD auf Plattformen wie TikTok, wo verstärkt junge Leute angesprochen werden. Es sei wichtig, Gedenkstätten zu unterstützen und Initiativen, die sich gegen Rassismus und Diskriminierung einsetzen, besonders im Osten, sagt Marie Curry. „Natürlich ist es toll, in Hamburg mit 100.000 Menschen die Demokratie zu feiern. Aber viel mutiger ist es, in Kleinstädten in Sachsen und Thüringen mit 300 Leuten auf die Straße zu gehen, wo die AfD die stärkste Kraft ist.“

Marie Currys Debütalbum „Cameo“ erscheint beim Hamburger Label Audiolith Records. 
Marie Currys Debütalbum „Cameo“ erscheint beim Hamburger Label Audiolith Records.  © Audiolith | Audiolith

Marie Curry: „Lava“ ist eine Art Live-Schalte in den Weltuntergang

Ihre Wut über multiple Schieflagen entlädt sich in einer dystopischen Nummer wie „Lava“. Eine Art Live-Schalte in den Weltuntergang. Eine heiß glühende Assoziationsflut – von der nach rechts löchrigen Brandmauer bis zur Sensationsgier dieser Tage. Mit einem nervös quietschenden Geigen-Rhythmus startet dieser düstere Track. Eines von vielen Beispielen, wie interessant dieses Album auch musikalisch ist. Mit zahlreichen Beat-Bastlern wie etwa Ulliversal, Nvie Motho und Magnus Wichmann hat Marie Curry für „Cameo“ zusammengearbeitet. Aufgenommen und produziert wurden die Songs beim Hamburger Chaos Compressor Club.

Entspannte Old-School-Stimmung strahlt etwa der Song „Um den Block“ aus. Mit liebevoller Wucht schildert Marie Curry eine vertrödelte Nacht mitten in der Woche: „Jetzt noch zappeln gehen / als wäre 20 Jahre nix gewesen / niemand außer uns hängt hier noch peinlich überm Tresen“. Für die Künstlerin ist dieser Ausbruch auch eine Art „Funktionsstörung“ gegen leistungsfixierte Verwertungslogiken. Wild sein, ohne dass Wochenende ist. Unkontrolliertes Miteinander. Eine Revolution im Klitzekleinen. Ein Erlebnis, das womöglich zu einer Notiz im Handy wird. An einer grünen Ampel. Und von da aus geht es dann weiter. Ein neuer Aufbruch.

Marie Curry: „Cameo“ Album (Audiolith) im Handel, Konzert: Sa 13.4., 20.00, Molotow (Nobistor 14), Karten 22,- im Vorverkauf; www.audiolith.net