Hamburg. ZDF-Wissenschaftsexperte Harald Lesch präsentiert wissenschaftliche Fakten und Barockes mit klarer Botschaft bei Hamburg-Auftritt.
Neu ist diese Idee nicht, dringlich aber schon: 2019 hatte das NDR Elbphilharmonie Orchester in der Elbphilharmonie ein „For Seasons“-Konzert gespielt. Dafür wurden Vivaldis Kompositionen mit einem Wetterdaten-Algorithmus an die Klima-Veränderungen angepasst: Der „Frühling“ war 15 Takte länger, der „Winter“ am Ende kürzer. Die Vogelstimmen waren reduziert worden, weil sich der Singvogel-Bestand verkleinert hat. Und über alle vier Violinkonzerte hinweg verteilt waren 84 Takte mit neu entstandenen Sommer-Motiven, als Vertonung der Extremwetterlagen, die den Jahresablauf verändert haben. Nun kommt Harald Lesch, ZDF-Gelehrter, Physiker, Wissenschaftsjournalist und Moderator, mit einem Wiener Barockensemble in die Laeiszhalle, um Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ als Anhörungsobjekt für das Thema Klimawandel zu nutzen.
Damals, anno 1725 bei Vivaldi in Venedig, waren ein Sommer wohl noch ein Sommer und ein Winter noch ein Winter aus dem Bilderbuch. Alles im jeweiligen Rahmen jahreszeitentypisch, eher nicht so extremwettrig wie heute. Würde Vivaldi heute leben und vier Jahreszeiten vertonen wollen, wie würden sie klingen müssen, um der Klimaforschung und dem Krisenmodus zu entsprechen? Und wären es überhaupt noch vier?
Eine schmilzt dahin, das ist der Winter. Die Temperaturen im Winter sind sicher heute anders als früher. Der Sommer wäre noch heißer. Es gäbe wesentlich heftigere Regenfälle, viel heftigere Gewitter – und vor allen Dingen müsste Vivaldi sich mit einem Phänomen rumschlagen, das zu seiner Zeit noch nicht so dramatisch war: Waldbrände. Damals wurde Holz ganz anders genutzt. Als Goethe 1832 starb, hatte Deutschland fast keinen Wald, weil die Leute entweder mit Holz heizten oder es für anderes genutzt haben.
Konzert in der Laeiszhalle: Harald Lesch, Vivaldis „Jahreszeiten“ und der Klimawandel
Wie kam dieses Projekt zustande und was tragen Sie als Wissenschaftler zum Konzert bei?
Das Merlin Ensemble hat gefragt, ob ich mitmachen wolle bei dem Projekt, Vivaldi mit dem Thema Klimawandel zu verbinden. Ich habe sofort Ja gesagt. Anfangs war das noch getrennt, inzwischen ist es ziemlich stark ineinander verwoben. Zu Beginn gibt es Vivaldis „Al Santo Sepolcro“, das kann man stundenlang laufen lassen. Da erkläre ich, wie die Welt entstanden ist, wie die Erde entstanden ist, wie sie zu ihren vier Jahreszeiten kommt. Und der letzte Satz der ersten Rede lautet „Am 21. März ist jeder Tag und jede Nacht auf der Erde gleich lang. Und es beginnt der Frühling von Vivaldi.“ Ich erkläre, was die Bewohnbarkeit unseres Planeten ausmacht, dann kommt der Teil mit dem Klimawandel.
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In Vivaldis Sonett zum „Sommer“ spricht er von der Angst des Hirten vor den „schwärmenden Fliegen und Hornissen“. Insektenschwärme sind inzwischen selten geworden, der Artenmangel galoppiert voran.
Darauf nehmen wir keine Rücksicht. Wir nehmen die Musik nicht zum Anlass, um eine Art positiver Kritik an Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ durchzuführen. Die sind nur der Rahmen, in dem über das Thema Jahreszeiten und deren Veränderung durch Klimawandel gesprochen wird. An einer Stelle geht es darum, wie alt die Instrumente sind, auf denen die Kolleginnen und Kollegen spielen. Viele stammen aus einer Zeit, die man „Kleine Eiszeit“ nennt und in der die Hölzer deutlich langsamer gewachsen sind. Deswegen sind auch die Musikinstrumente, die man daraus gebaut hat, so unglaublich gut.
In den vergangenen Jahrhunderten war Wetter beileibe nicht immer harmlos. Aber es war womöglich verträglicher: Man wusste, ob als Bauer oder Bürger, woran man war und wie man sich darauf einzustellen hat. Heute wirkt Klima in seinen extremen Ausprägungen wie eine näherkommende Bedrohung, wie ein letztlich unbesiegbarer Feind. Wie nimmt der Naturphilosoph in Ihnen diese Zukunftsperspektive wahr?
Ich bin vor allen Dingen Physiker. Und als Physiker kann ich nur sagen: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte man schon erste Hinweise, dass es so was wie einen Klimawandel geben muss, sonst wäre die Erde immer noch total vereist. Also hatte man sich eher die Frage gestellt: Wie ist die Erde aus den Eiszeiten rausgekommen? Und was hat dazu geführt, dass es überhaupt wieder so warm geworden ist? 1824 hat der Franzose Joseph Fourier als Erster darauf hingewiesen, dass es eine Strahlung geben müsse, die von der Erdoberfläche in die Atmosphäre gelange und dort zur Erwärmung führen würde. 1824! So!
Zu Vivaldis Zeiten waren die „Quattro Stagioni“ zur Unterhaltung geschrieben worden und werden seitdem so konsumiert. Heute müsste sie doch einzig als Warnsignal verstanden werden, nach dem Motto: „Das gab’s nicht nur einmal, aber das kommt so nie wieder.“
Heute müsste man fast ein Requiem nehmen, wenn man darüber spricht. Das machen wir natürlich nicht, wir sind ja hinterhältige Kommunikatoren: Wir versuchen mit genau dieser Musik, die so viele Leute kennen, an ein Thema heranzukommen, das so katastrophal besetzt ist wie der Klimawandel und die entsprechenden Katastrophen, die sich möglicherweise daraus ableiten, wenn wir nicht schnell genug reagieren. Also: Wann lernt man am besten? Wenn es am positivsten besetzt ist. Und wann ist es das? Wenn man etwas hört, was einem gefällt. Da sind wir mit Vivaldi, glaube ich, ganz vorn mit dabei.
Harald Lesch: „Energiewende in Bürgerhände ist meine persönliche Stoßrichtung“
Vivaldis „Winter“-Sonett endet mit dem Satz: „Es ist Winter, aber er bringt Freude.“ Auch vorbei. Entweder es regnet nur oder es hat meterhohe Schneeverwehungen.
Kommt drauf an, wo Sie sind. Es gibt Gebiete in den USA, die erleben im Winter aktuell Temperaturen von minus 30, minus 40 Grad, die sie früher nicht erlebt haben. In Europa werden die Winter jetzt im Allgemeinen viel, viel, viel wärmer werden. Die Mitteltemperatur steigt an, und die Extremsituationen nehmen auch im Winter zu.
Klimaleugner werden Ihnen Ihre Argumente und Fakten eh nicht glauben, auch nicht, wenn es dazu aparte Barockmusik aus dem 18. Jahrhundert gibt. Was wollen Sie mit diesem Konzept-Konzert beim Publikum konkret bewirken? Dass alle sofort ihre Autos verschrotten und sagen: Her mit der Wärmepumpe?
Dass möglichst viele Leute am nächsten Tag Mitglied in einer Energiegenossenschaft werden und so auch dafür sorgen, dass es für den Ausbau der erneuerbaren Energien genügend Geld gibt. Energiewende in Bürgerhände ist meine ganz persönliche Stoßrichtung. Die Bürgerbeteiligung bei der Energiewende muss viel, viel, viel, viel größer werden, gerade auf kommunaler Ebene, da, wo dann auch die Windräder oder Photovoltaik-Anlagen hingestellt werden. Die Kommunen müssen davon profitieren, nicht irgendwelche anonymen Investoren irgendwo auf der Welt. Was ich als Wissenschaftler tun kann: Informationen so zu elementarisieren und zu präsentieren, dass die Gesellschaft versteht, welche Ergebnisse wir haben. Tue ich das mit Musikern, ist das eine Kombination, die noch mal zu einer positiveren Aufnahme von wissenschaftlichen Erkenntnissen führen kann. Mehr kann ich gar nicht tun. Meine ethische Verantwortung hört beim Schädelknochen meines Gegenübers auf. Und wenn es nicht gelingt, kann ich am nächsten Morgen immer noch im Bad stehen und muss mir nicht ins Gesicht spucken, sondern habe meine Pflicht erfüllt.
Ein frischer O-Ton von Ihnen, Anfang Januar: „Beim Klimawandel kann man keine Meinungen haben. Da geht es nur um Messungen. Die Politik hat den Schlag nicht gehört.“ Wie pessimistisch sind Sie, dass all Ihre Mahnungen inzwischen zu spät kommen?
Ich bin nicht pessimistisch, sondern wie Mojib Latif ein positiver Realist. Es wird nicht so gut laufen, wie es laufen könnte. Es wird aber auch nicht so mies sein, wie es sich entwickeln könnte. Es wird irgendwas dazwischen geben; je positiver es verläuft, umso besser. Irgendwann wird der “point of no return” erreicht sein. Und die Diskussion, die wir momentan haben, werden wir im Rückblick nur belächeln. Bruno Latour, ein großer Öko-Philosoph, hat es so ausgedrückt, als es darum ging, was er seiner Enkeltochter auf die Frage „Was müssen wir jetzt machen?“ sagen würde: Wir müssen die therapeutischen Instrumente schaffen, damit wir die nächsten 20 Jahre gut durchhalten. Da werden wir alles tun, was wir jetzt nicht tun. Jetzt sind wir zu träge und zu langsam. Es wird so viel diskutiert. Aber in den nächsten 20 Jahren wird es von selbst kommen, weil die Natur das von uns verlangt. Und danach, so Latour, wird es besser werden. Wir müssen 20 Jahre durchhalten, dann wird es besser werden. In diesem Sinne würde ich sagen: Halten wir durch, versuchen wir, es so gut wie möglich hinzukriegen.
Worauf müssen wir uns einstellen?
Wir können noch halbwegs froh sein, dass wir in Europa leben und nicht in der Südsee. Da wären unsere Inseln unter Umständen schon weg. Eines Tages werden wir vielleicht Menschen von den Halligen ans Land holen müssen, weil die überschwemmt sind. Gerade im Norden wird es ganz dramatisch werden. Wird es zu warm, wird der Meeresspiegel so stark steigen, dass Sturmfluten an der deutschen Nordseeküste katastrophaler ausfallen werden. Es wird für die Niederländer schwer werden, für die Belgier mit den Küstenregionen… Das wird alles kommen, wenn wir es nicht schaffen, früh genug dafür zu sorgen, dass die globale Erwärmung zumindest irgendeine Art von Stillstand erreicht. Gelingt uns das nicht, müssen wir mit der Welt klarkommen, die dann da ist. So ist meine Haltung.
Konzert: „Vivaldis Vier Jahreszeiten im Klimawandel“. 6.2., 20 Uhr, Laeiszhalle, Gr. Saal.