Hamburg. So klug, so hellsichtig – und voller Sehnsucht und Zuversicht. Mit Standing Ovations feiert das Publikum „Ich bin Astrid aus Småland“.
Mit dem ikonischen, nach hinten gebundenen roten Kopftuch über dem Bubikopf radelt sie auf die Bühne. „Oh!“ entfährt es einer Zuschauerin im Parkett verzückt, „da kommt sie!“ – und tatsächlich gibt es Auftrittsapplaus. Für die Schauspielerin Gesine Cukrowski, aber vielleicht sogar ein klein wenig mehr für die Frau, die sie an diesem Abend im ausgesprochen gut besuchten Altonaer Theater spielt: Astrid Lindgren.
„Ich bin Astrid aus Småland“ heißt die Inszenierung, die (leider nur) für ein paar Tage in Altona gastiert. Fast ein bescheidener Titel, wenn man bedenkt, was diese Schriftstellerin für einen Einfluss auf Generationen von Leserinnen und Lesern hat, wie sie sich für die Rechte der Kinder einsetzte, wie sie die Sehnsucht nach einer heilen Welt bediente und dabei das Kunststück beherrschte, all die Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten trotzdem wahr- und ernst zu nehmen.
In einer gelungen unaufgeregt aufbereiteten Kombination aus Lesung, Schauspiel und Livemusik (mit Gesine Cukrowski steht die Hennes Gäng auf der Bühne) lässt die Produktion das Leben der schwedischen Erfinderin von Pippi Langstrumpf Revue passieren und zollt vor allem der charismatischen Persönlichkeit hinter den Geschichten um Pippi, Michel oder Mio Respekt. Der ungewollt, unverheiratet und früh schwanger werdenden jungen Frau, die sich gegen eine gesellschaftliche Enge behaupten musste. Der Autorin, die ihre erste Fassung von „Pippi Langstrumpf“ stenografiert und dafür zunächst eine Verlagsabsage kassiert hat. Der Zeitzeugin des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit, deren hellsichtige Beobachtungen auch heute noch – und vielleicht insbesondere heute – Gültigkeit haben: „Der Hass ist nicht an dem Tag vorbei, an dem der Friede kommt.“
Astrid Lindgren in Altona: Manchmal hilft es schon, sich auf das innere Kind zu besinnen
Zwei sich scheinbar widersprechende Sätze hätten ihr Leben besonders geprägt, sagt Astrid an einer Stelle: „Reiß dich zusammen und mach weiter“ (von der Mutter) und „Kein Mensch muss müssen“ (von Lessing). Die Pflicht und die Freiheit, beide haben ihre Berechtigung. Cukrowski erinnert an die legendären Krummeluspillen, die das lästige Erwachsenwerden verhindern und zwar verdächtig nach gewöhnlichen Erbsen aussehen, aber absolut keine sind („Liebe kleine Krummelus, niemals will ich werden gruß!“). Manchmal hilft es schon, sich auf das innere Kind zu besinnen – und ein Abend wie dieser ist da durchaus hilfreich.
Zumal er nicht nur (aber auch) in die småländischen Wälder und Heuböden entführt, sondern gepflastert ist mit einfachen, aber nicht banalen Erkenntnissen, mit klugen, menschenfreundlichen, bisweilen sanft spöttischen, immer unzynischen und vor allem sehr klaren Sätzen: „Über den Frieden zu sprechen, heißt, über etwas zu sprechen, das es nicht gibt.“ Und Macht zu besitzen, ohne sie zu missbrauchen – warum sollte man sich das nicht auch heute noch von einer Figur wie Pippi Langstrumpf abgucken.
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Hier gelingt ein einfacher, herzlicher, berührender und liebevoller Abend, an dem Gesine Cukrowski Astrid Lindgren mit großer Ruhe zum Leben erweckt. Die stürmischen Standing Ovations zum Ende gelten natürlich ihr und dem Ensemble. Aber wohl noch mehr einer Frau, die so viel zu geben hatte. Gäbe es doch mehr Menschen auf der Welt, wie Astrid aus Småland einer gewesen ist.
„Ich bin Astrid aus Småland“, Altonaer Theater, wieder am 30./31.1., jew. 19.30 Uhr, Karten unterwww.altonaer-theater.de