Hamburg. Gruppen wie Hidden Shakespeare und Steife Brise denken sich immer neue Formate aus. Damit lässt sich auch ein Geschäft machen.
Auf die Vorgaben, auf die kommt es meist an. Nicht nur an der Börse oder im Sport als Ausgleich für schwächere Wettbewerbsteilnehmer, sondern auch auf der Bühne. Und darauf, was die Protagonisten daraus machen. Denn ohne die Vorgaben, sprich Richtlinien und Ideen des Publikums, läuft beim Improvisationstheater gar nichts. Die Spielerinnen und Spieler agieren auf Zuruf, sie inter- und reagieren spontan. „Wir spielen, was ihr wollt“, lautet in Abwandlung des shakespeareschen Komödientitels denn auch das Motto der Hamburger Gruppe Hidden Shakespeare.
Bis auf Rolf Claussen, als einer der Söhne Hamburgs inzwischen Arena-erprobt, sind alle fünf Mitglieder ausgebildete Schauspieler. Seit Jahren gilt Hidden Shakespeare auch überregional und international als Meister der Langform. Ein Begriff aus dem Publikum reicht der Gruppe oft, um über Assoziationen Ansehnliches zu erschaffen – ob nun im Genre Drama, Krimi oder Musical.
Mignon Remé und ihre Kollegin Kirsten Sprick haben Hidden Shakespeare 1993 gewissermaßen im Wohnzimmer gegründet. Und mit der Gruppe das 30. Jubiläum in diesem Sommer beim Schanzenzelt-Festival gefeiert. Doch wie hat sich das in Hamburg mit etwa 15 Gruppen präsente Genre Improtheater gewandelt?
Improtheater in Hamburg: Die Zeiten des Belächeltwerdens scheinen vorbei
Gleich nach Weihnachten hat Hidden Shakespeare etwa ein weiteres Motto auserkoren: „Ausgepackt und Aufgegessen“, heißt es an diesem Mittwoch und Donnerstag im Lustspielhaus, nachdem die Gans hoffentlich verdaut und der Verpackungsmüll entsorgt worden ist. Unerfüllte Wünsche, aber auch Hoffnungen und Vorsätze des Publikums fürs neue Jahr wollen Remé, Sprick und ihre Kollegen dabei theatralisch thematisieren. Wie immer begleitet von einem ihrer drei Gastmusiker, unter ihnen Musikkabarettistin und Kleinkunstpreisträgerin Katie Freudenschuss.
Die Zeiten, da Improtheater müde oder sogar herablassend belächelt wurde, scheinen passé: „Viele Menschen haben erkannt, dass da auf der Bühne nicht nur Späßchen gemacht werden“, meint Mignon Remé. Die Hamburger Schauspielerin ist mit ihrer Gruppe regelmäßig auch im Schmidt Theater und im Centralkomitee (im Special mit den Berliner Gorillas) in St. Georg zu erleben. Sie selbst ebenso in Stücken wie „Tyll“ am Ernst Deutsch Theater oder in politisch-historischen Stücken mit dem Theater Axensprung, in denen von ihr ebenso ein gelernter Text gefordert wird wie etwa in der Hollywood-Produktion „A Dangerous Method“ bis hin zur Daily-Soap „Rote Rosen“ (ARD).
Improtheater: Die Soft Skills Kommunikation, Teamwork und Kreativität
„Improvisationstheater ist nicht wiederholbar, nicht abrufbar, es ist unmittelbar.“ Weit weg von Netflix und KI. „Es ist gewissermaßen die Urform des Theaters“, sagt Remé. Deshalb sei dieses Genre nach den Vorgaben des Publikums aktueller als Stücke, die über Zeiterscheinungen erst noch geschrieben werden müssen.
Eine improvisierte Langform von Hidden Shakespeare hat der Autor Ulli Haussmann 2016 sogar zum erfolgreichen Stück „Das Leben des Ernst“ für das Lübecker Theater Combinale be- und verarbeitet. Ganz ohne Publikum, indes ebenso wenig ohne Drehbuch haben die Hamburger bereits drei improvisierte Filme gedreht. Und im Schweizer Dokumentarfilm „Hier & Jetzt“ war Mignon Remé eine von fünf Protagonistinnen, bei denen die Kunst der Improvisation das berufliche und das private Handeln prägt.
„Improtheater ist universell“, sagt Remé. Das versucht sie auch bei ihrem Lehrauftrag als Dozentin für Improvisation an der Technischen Universität (TU) Hamburg-Harburg zu vermitteln. In dem Seminar lehrt sie angehenden Mechatronikern oder Maschinenbau-Ingenieuren, „dass man im Leben nicht alles planen muss“. Stattdessen einfach mal nur im Moment sein und dass es vielmehr auf die sogenannten Soft Skills Kommunikation, Teamwork und Kreativität ankommt. Das Seminar ist Semester für Semester überaus stark nachgefragt. Gilt ebenso für viele ihrer Auftritte.
Hidden Shakespeare und Steife Brise, Mütter der Hamburger Bühnen-Spontis
Während die fünf Babyboomer von Hidden Shakespeare trotz ihrer ungebremsten Spielfreude teilweise – je nach Theater – mit ihrem Publikum gereift sind, gibt es bei einer anderen drei Jahrzehnte alten Hamburger Truppe eine Art Generationswechsel und einige neue Formate: Die Steife Brise, neben Hidden Shakespeare Mutter aller Hamburger Bühnen-Spontis, wird zwar weiterhin von ihrem Gründer, dem Bergedorfer Thorsten Brand, und seiner Partnerin Katharina Butting geschäftlich geführt und künstlerisch geleitet. Seit diesem Jahr mischen jedoch viele junge Leute bei der „Brise“ mit. Bestes Beispiel ist Charlotte Butting, die Tochter der beiden Leiter, die nach absolvierter Schauspielausbildung zum Ensemble gehört.
Nach diversen Showformaten hat die Steife Brise vor fast 15 Jahren den Impro-Krimi „Morden im Norden“ als Kunstform im Imperial Theater eingeführt, später das „Seemannsgarn“ auf der „Cap San Diego“. Mit derzeit 16 Schauspielerinnen und Schauspielern sowie Beratern und Coachs plus zwei Musikern bezeichnet sich die Steife Brise gern als „Hamburgs stärkstes Improtheater“.
Und mit dieser geballten Manpower hat sie in dieser Spielzeit gleich drei neue Formate für drei neue Bühnen entwickelt. „Kein Stillstand, sondern stetiger Wandel, Weiterentwicklung, im Moment sein und Ja sagen!“, fomuliert es Schauspielerin Juliane Behneke, seit 2019 Teil des Ensembles.„Sehr positiv angenommen und zweimal hintereinander sehr gut besucht“, seien die beiden Premieren von „Steife Brise vs. Poetry Slam“ im Centralkomitee gewesen. „Das Format passt super zum Haus“, sagt die Marketing-Fachfrau über den Abend, an dem das Publikum darüber entscheidet, welche Genre-Vertreter die Gunst der Zuschauer gewinnen.
Und mit „Bereit für Ekstase“ bespielt die Steife Brise am 6. Januar erstmals den Logensaal der Hamburger Kammerspiele. In der „Show zwischen Rausch und Realität“ soll es sich um Momente des Glücks und der Trauer bis hin zur Trance drehen.
Warum auch Ingenieure Improvisationstheater spielen
So weit dachten Die Zuckerschweine zuletzt noch nicht. Im November feierten sie im Hamburger Sprechwerk ihr 25-jähriges Bestehen. Spezialität des Ensembles um den Gründer Marc Günther und seinen Bruder Sören ist ihre Impro-Show mit einer Extraportion Musik. Dazu kommt als Langform die selbst entwickelte und komplett improvisierte Soap-Opera „Gute Schweine, schlechte Schweine“.
Seit zehn Jahren tritt die Gruppe an jedem ersten Donnerstag des Monats im Off-Theater in Borgfelde auf, seit fast fünf Jahren ist es mit etwa 180 Menschen stets ausverkauft. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die heute in ganz Deutschland tourenden Zuckerschweine auf Brettln wie dem Kabarett Mon Marthe in Eppendorf und dem legendären Foolsgarden in der Schanze angefangen haben.
- Kultur in Wedel: Theaterschiff „Batavia“ bittet zum Kleinkunstfestival
- Elbphilharmonie Hamburg: „Wintermärchen“ – Katharina Thalbach überrascht
- Fabrik in Hamburg: Slime liefert tollen Punk und garstige Unzufriedenheit
Die von ihnen initiierte und zweimal gewonnene Improliga Hamburg mit dem Format Theatersport ist zwar wieder eingeschlafen. Als eigenständige Kunst- und Theaterform in Hamburg hat sich Improvisationstheater aber etabliert.
Und dass sich mit dem Improvisieren auch außerhalb der Bühnen ein Geschäft machen lässt, haben die hanseatischen Platzhirsche seit Jahren erkannt: Businesstheater und -training für Unternehmen und Einzelpersonen florieren bei ihnen. Und das hiesige Scharlatan Theater setzt seit mehr als 37 Jahren allein darauf. Mit einem inzwischen etwa 100-köpfigen (!) Team. Eine der jüngsten Scharlatan-Maßnahmen trägt den Titel „Teambuildung à la Shakespeare“.
Hidden Shakespeare: „Ausgepackt und Aufgegessen“ Mi 27./Do 28.12., jew. 20.00, Lustspielhaus, Ludolfstr. 53, Karten zu 30,- (erm. 20,-) bis 37,- unter T. 040/55 56 55 56; www.almahoppe.de, www.hiddenshakespeare.de; Die Zuckerschweine: „Die Impro-Show“ wieder Do 4.1., 2024, 20.00, Hamburger Sprechwerk, Klaus-Groth-Straße 23, Karten zu 12,- bis 15,-: sprechwerk.hamburg, www.zuckerschweine.de; Steife Brise: „Bereit für Ekstase“ Sa 6,1., 20.00, Logensaal in den Kammerspielen, Hartungstraße 9–11., „Steife Brise vs. Poetry Slam“ So 7.1., 20.00, Centralkomitee, Steindamm 45, Karten unter www.steife-brise.de; Scharlatan Theater: „Teambuilding à la Shakespeare“ etc., Infos unter T. 040/237 10 30; www.scharlatan.de