Hamburg. Ist ein Bildband über Corona wirklich eine gute Idee? 89 Fotografen zeigen ihre persönliche Sicht. Mal trist, mal humorvoll.
Ein Buch über die Pandemie? Da ist die spontane Reaktion eher ablehnend; die meisten Menschen möchten mit diesem Kapitel lieber abschließen, als sich damit zu beschäftigen. Warum das Buch wichtig ist und auch positiv stimmt, erzählt die Hamburger Fotografin und Mitherausgeberin Valeska Achenbach.
Verlassene Straßen und Plätze, die herausfordernde Situation in den Kliniken, die Erschöpfung der Helfenden oder überforderte Eltern beim Homeschooling – all das kommt einem leider sehr bekannt vor beim Blättern im Buch. Was ist das Besondere an „Call it Corona“?
Valeska Achenbach: Ich kann sehr gut verstehen, wenn sich jemand gegen dieses Thema sperrt, denn die Pandemie hat unser aller Leben sehr beeinträchtigt. Und doch habe ich für dieses Projekt gekämpft, denn es ist ein gesammelter Blick von so vielen Fotografinnen und Fotografen, die mit ihren Kameras während der Pandemie unterwegs waren, um diesen gesellschaftlichen Ausnahmezustand zu dokumentieren. Daraus ist ein Kunstwerk entstanden, das bleiben wird. Vielleicht schaut man es sich jetzt an oder auch erst wieder in fünf Jahren und erinnert sich anhand der Bilder zurück.
Literatur: „Call it Corona“ - ein Bildband über den Ausnahmezustand
Ein Kunstwerk über Corona – wer hätte das gedacht? Wie ist es Ihnen gelungen, aus so einer tristen Angelegenheit ein ästhetisches Produkt zu machen?
Natürlich treten in den Bildern Einsamkeit, Entfremdung und Tod in Erscheinung. Da sitzt ein Bademeister in einem leeren Schwimmbecken, fahren Skilifte ohne Gäste, sieht man Angela Merkel mit Maske und hängendem Kopf im Bundestag. Mir war es wichtig, dass auch ein ernstes Thema schön und anspruchsvoll verpackt ist, ich bin eben ein visuell denkender Mensch. Es gibt aber auch verrückte Szenen wie etwa Bandmusiker, die auf dem Dach proben, oder Menschen, die mit Maske Karussell fahren. Dazu die vielen besonderen Ereignisse bei Autokonzerten oder im Strandkorbkino. Für mich strahlt das Buch auch etwas sehr Positives aus, eine Form von neu gefundener Gemeinschaft. Zum einen hat uns die intensive Arbeit an gemeinsamen Projekten als Fotografen sehr zusammengeschweißt, zum anderen hat auch die Gesellschaft bewiesen, dass sie an einem Strang zieht.
War es eine konzertierte Aktion, zu der Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen aufgerufen haben, oder wie kam es zu dem Buchprojekt?
Für mich war es unheimlich wichtig, während Corona meine Kamera zu haben, um mich mit den Ereignissen auseinanderzusetzen, um damit klarzukommen. Mir hat der Job gefehlt, die Aufträge blieben aus. So wie mir ging es vielen anderen Fotografen auch. Mit der Zeit ist so unglaublich viel Material zusammengekommen, und als die Idee von einem Freelens-Mitglied kam, lag das Projekt einfach auf der Hand. Jede Fotografin und jeder Fotograf konnte mehrere Bilder einreichen. Die Herausforderung war dann für den Kölner Fotografen und Kurator Wolfgang Zurborn, das Material zu sichten und eine Auswahl zu treffen. Die schöne Gestaltung des Buches stammt von Nicole Keller.
Fotografin: „Bestenfalls können wir etwas aus der Pandemie lernen“
In einer Zeit sich überlagernder Krisen mit Ukraine-Krieg, Klimawandel und Nahostkonflikt – hat es sich für Sie nicht seltsam angefühlt, jetzt auch noch ein Corona-Buch herauszubringen?
Ich habe definitiv auch Probleme mit dem Zeitpunkt des Erscheinens gehabt, aber am Ende ist der Zeitpunkt nie der richtige oder der falsche. Und ich stehe immer noch voll hinter dem Projekt, obwohl die Weltlage so bedrückend ist. „Call it Corona“ soll daran mitwirken, dass wir eben nicht vergessen und abhaken, sondern bestenfalls etwas aus der Pandemie lernen. Denn es wird sicherlich nicht das letzte Mal sein, dass wir mit solch einer Extremsituation konfrontiert werden.
- Ausstellung Hamburg: Cindy Sherman, seit 50 Jahren Rebellin und Motor der Modewelt
- Ausstellungen Hamburg aktuell: Rolf Tietgens Fotografien im Bargheer Museum
- Ausstellung Hamburg: Kunsthaus feiert mit ungewöhnlicher Idee den 60. Geburtstag
In diesem Sinne ist es also ein zeitloses Buch?
„Call it Corona“ ist viel mehr als ein Fotoband. Es ist ein visuelles Geschichtsbuch, das von jedem individuell gelesen werden kann. Die Fotografen haben zu ihren Bildern kleine Geschichten dazugeschrieben. Außerdem gibt es eine Chronik der Pandemie und Gastbeiträge von dem Journalisten Johannes von Dohnanyi, der Freelens-Geschäftsführerin Heike Ollertz und Udo Lindenberg, der über die Situation der Hamburger Clubs schreibt. Ich würde mir wünschen, dass das Buch in jeder Bücherhalle und in jeder Schule zu finden ist.
„Call it Corona“ Edition Buchperlen, 256 Seiten, 49,95, erhältlich im Buchhandel und bestellbar unter callitcorona.com. Buchpräsentation: Do 26.10., 19.00, Freelens-Geschäftsstelle (S Stadthausbrücke), Alter Steinweg 15, Eintritt frei, freelens.com