Hamburg. US-Journalistin Amanda Petrusich hat sich in die Welt der Schellackplatten-Sammler begeben. Warum sie dafür sogar tauchen ging.

„Sammler sind glückliche Menschen“, soll Goethe einmal gesagt haben. Vermutlich stammt dieser Satz gar nicht von ihm, richtig ist er trotzdem. Mindestens in den Momenten, in denen ein Sammler oder eine Sammlerin ein lange gesuchtes Objekt der Begierde findet. Auf dem Flohmarkt, auf einem Dachboden – oder bei Ebay-Kleinanzeigen. Für nicht vom Sammelvirus Infizierte ist das manchmal schwer nachzuvollziehen.

„Man muss Zwangsneurotiker sein, um etwas zu sammeln“, ist denn auch in Amanda Petrusichs Buch „Um keinen Preis verkaufen“ zu lesen. „Diese Dinger besitzen zu wollen, heißt schon, dass wirklich etwas mit einem nicht stimmt. Du musst sie haben, und es sind nie genug, und wenn du eine auftreibst, spürst du diesen seltsamen Kitzel.“

Literatur-Kritik: Amanda Petrusich über Zwangsneurotiker mit Sammelleidenschaft

„Diese Dinger“, das sind Schellackplatten, die ihre Hochzeit von Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts erlebten, bevor sie von den Vinyl-Schallplatten, wie wir sie bis heute kennen, abgelöst wurden. Schellacks laufen mit 78 Umdrehungen pro Minute (Schallplatten mit 33 oder 45), sind recht schwer und sehr zerbrechlich – was erklärt, warum nicht allzu viele von ihnen erhalten sind und der Seltenheitsgrad hoch ist.

Ursprünglich recherchierte die Musikjournalistin Amanda Petrusich für einen Artikel über Vinylfans, bekam dann aber die Telefonnummer eines Schellacksammlers zugesteckt. Mit dem Hinweis: „Diese Typen sind wirklich extrem!“ Und so machte sie sich auf, eine Welt zu erforschen, die ihr grundsätzlich nicht fremd war: Auch sie sammelt (Vinylplatten) und sagt: „Meine Sammlungen schenkten mir ein Gefühl der Sicherheit und Konzentration; sie gaben meinem Leben Sinn und Form.“ Das mag nach einer weltfremden Eigenbrötlerin klingen, doch die 43-Jährige, die für den „New Yorker“ schreibt, ist Mutter einer Tochter, war verheiratet (ihr Mann starb 2022) und kann sogar auf eine Grammy-Nominierung für den Begleittext zu einem Bob-Dylan-Album zurückblicken. Vom Sammelvirus ist sie dennoch infiziert: „Auch ich trage das in mir. Ich weiß, wie sich das anfühlt.“

Amanda Petrusich: „Um keinen Preis verkaufen“, Matthes & Seitz Berlin, 329 Seiten, 25 Euro, übersetzt von Robin Detje
Amanda Petrusich: „Um keinen Preis verkaufen“, Matthes & Seitz Berlin, 329 Seiten, 25 Euro, übersetzt von Robin Detje © Matthes & Seitz Berlin | Matthes & Seitz Berlin

Und so begab sie sich auf eine lange Reise in die Welt der Schellacksammler, besuchte Garagenflohmärkte und Antiquitätenläden, Wohnungsauflösungen in der tiefsten amerikanischen Provinz und Sammlerbörsen in den Großstädten. Auch zu informellen Sammlertreffen, bei denen Freunde (die zugleich erbitterte Konkurrenten sind), sich ihre neuesten Funde vorspielen, war sie eingeladen („Außer mir war nur noch eine weitere Frau im Raum.“). Immer darauf bedacht, eine gewisse Distanz einzuhalten – und dabei selbst mehr und mehr in den Bann der Schellacks mit ihren obskuren Blues- und Countrynummern geriet.

Amanda Petrusich taucht sogar in einem Fluss nach seltenen Platten

Eindrucksvoll beschreibt sie das Hörerlebnis in der Wohnung eines ihrer Interviewpartner, das Knacken und Knistern der Platte, die Stimme, die aus einer lange zurückliegenden Zeit kommt. „Ich starrte den Plattenteller an, sah zu, wie die Platte sich drehte, entgeistert, dass sich etwas, das so lebendig klang, in einen Schellackklops ritzen ließ. Die ganze Erfahrung war so verwirrend, dass ich ohne Schal und Mantel in die eiskalte Nacht verschwand.“

Spätestens da ist es um sie geschehen, beginnt Amanda Petrusich, sich selbst auf die Suche nach raren Schellackplatten zu machen. Doch das ist nicht einfach, denn Sammler sind alles andere als scharf darauf, ihre Quellen preiszugeben. „Er blickte mich an, als hätte ich verlangt, dass er sich nackt auszieht“, schreibt sie über die Reaktion eines Sammlers, den sie fragt, wo er denn ein besonders seltenes Exemplar aufgetrieben habe. Irgendwann belegt Petrusich trotz Klaustrophobie sogar einen Tauchkursus, weil das Gerücht geht, in den 20er- und 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts hätten Arbeiter überzählige Schellacks einfach in einen Fluss am Presswerk geworfen.

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„Unter keinen Umständen verkaufen“ ist eine mitreißende Reportage auf mehr als 300 Seiten, die nicht nur ungewöhnliche Menschen porträtiert, die einem Hobby nachgehen, das ihr Leben bestimmt, Petrusisch liefert auch viel Subtext. Etwa wenn sie den seine Arche füllenden Noah als Ursammler identifiziert. Wenn sie thematisiert, dass das Sammeln von alten Schellackplatten auch eine Form ist, sich von der modernen Mainstream-Kultur abzusetzen. Oder wenn sie beschreibt, unter welchen Umständen die Aufnahmen der schwarzen Bluessänger im Süden der USA damals entstanden sind und welche Mysterien viele dieser Einspielungen bis heute umgeben.

„Sammeln ist nichts für Vernunftwesen“, heißt es an einer Stelle im Buch. Aber wie langweilig wäre es auch, immer vernünftig zu sein...