Hamburg. Aus Liebe zur Musik: „Recorded“ ist ein wunderbar fotografiertes und anekdotenreiches Buch über die Plattenläden dieser Stadt.

Jeder, der Musik wirklich liebt, der sich ein Leben ohne sie nicht einmal vorstellen kann, erinnert sich an seine erste selbst gekaufte Platte. Und daran, wo er sie gekauft hat. Mal war es die Schallplattenabteilung eines Kaufhauses, in der ein Fach mit aussortierten Billigalben lockte, mal ein Hifi-Fachgeschäft mit Plexiglaskabinen, in denen sich vorab anhören ließ, was später – vom immer zu knappen Taschengeld bezahlt – stolz nach Hause getragen wurde. Und häufig war der Ort für’s erste Mal tatsächlich ein Plattenladen, wo Ehrfurcht gebietende Alleskenner erst auf Vinyl-, dann auf CD-Schätzen saßen. Nick Hornby hat in seinem Roman „High Fidelity“ ganz wunderbar über diesen Sehnsuchtsort geschrieben, der über die Jahre so sehr Heimat werden konnte, wie sonst nur die Stammkneipe oder das Stadion des Lieblingsvereins.

Wobei „konnte“ nicht stimmt, denn trotz seelenloser Elektroniksupermärkte, die nebenbei auch CDs und (wenige) LPs verkaufen, trotz Internetboom und verändertem Kaufverhalten gibt es sie immer noch, die Anlaufstellen für all jene, denen ein Download nicht reicht, die etwas in Händen halten, ein Cover betrachten wollen, während sie wahlweise ihrer Lieblingsband oder einer überraschenden Neuentdeckung lauschen. 50 von ihnen stellen Katrin Vierkant (Fotos) und Nicolas Christitch (Text) in ihrem passend zum deutschen „Record Store Day“ am 18. April veröffentlichten Buch „Recorded“ vor. Und dafür mussten sie weder um die Welt noch durch ganz Deutschland reisen. Die Läden, denen sie sich in diesem großformatigen Band widmen, existieren sämtlich in Hamburg. Ganze Straßenzüge und Viertel würden von ihnen geprägt, schreibt der Musiker Viktor Marek im Vorwort. „Die Leute, die wir dort antreffen, vermitteln ihre Interessen und geben sie weiter, lassen sich auf ihr Gegenüber ein, kitzeln Geschmack und Anspruch mit der Nadel heraus, um Abzweigungen und Nebenwege aufzuzeigen und einen Stups in die richtige Richtung zu geben.“

Das ist schön formuliert und meint unterm Strich: Hier arbeiten Überzeugungstäter, häufig selbst Plattensammler, die die Vinylschätze – um die geht es in erster Linie – ebenso lieben, wie ihre Kunden dies tun. Vielleicht sogar noch ein bisschen mehr. Etwa Michael Ruff, seit 1989 Inhaber von Ruff Trade Records an der Feldstraße, einst Mitglied der New-Wave-Band Geisterfahrer. Er berichtet, dass er aufgrund der Größe seiner Plattensammlung wohl nie mehr umziehen könne. Acht Seiten sind seinem Laden gewidmet; andere, wie etwa Crypt Records in Altona, breiten sich sogar über zwölf Seiten aus. Neben Porträts der Besitzer gibt es stets zahlreiche Innenansichten, die einen Eindruck von der speziellen Atmosphäre des Ortes vermitteln. Detailaufnahmen zeigen den oft mit Plakaten und Aufklebern zugepflasterten Eingangsbereich, aufwendig gestaltete Verkaufstresen oder rare Sammlerstücke wie das Originalplakat für ein Metallica-Konzert 1987 in der Markthalle. Den Abschluss bildet jeweils eine Doppelseite mit den 25 Lieblingsplatten der Ladenbesitzer. Eine Art Visitenkarte, aber auch musikalisches Tagebuch, etwa wenn Paul Löffler (Plattenrille) sich erinnert, wie er einst zu „Another Side Of Bob Dylan“ im Liebeskummer versank oder durch Miles Davis’ „Kind Of Blue“ den Jazz entdeckte.

Überhaupt sind die zahlreichen Anekdoten ein großes Pfund dieses Buches. Dass viele der Plattenladenbesitzer durch NDR-Sendungen wie „Der Club“ oder „Musik nach der Schule“ geprägt wurden, ist da zu erfahren, dass Michael Ruff zwar immer noch mit Platten handelt, sich aber als Lkw-Fahrer ein zweites Standbein zugelegt hat, dass Ingo (Ingos Plattenkiste, aus dem Univiertel eigentlich nicht wegzudenken) nach Shanghai ausgewandert ist, dass Paul Löffler (Plattenrille) einst für die Schülerzeitung John Lennon interviewte, dass bei Crypt Records klingeln muss, wer hineingelangen will, weil der überquellende Verkaufsraum zugleich als Lager genutzt wird.

Von Verdrängungsmieten im Schanzenviertel ist die Rede, von Stammkunden, die monatlich eine fes­te Summe überweisen und voll Vertrauen mitnehmen, was ihnen der Händler ihrer Wahl empfiehlt. Auch um den Plattenladen als Treffpunkt geht es. Etwa Weltrecord in Eppendorf, versteckt in einer Seitenstraße, bis heute mit nur sehr rudimentärem Online-Angebot. „Päckchen für Internetbestellungen packen können andere sicherlich viel besser“, meint Besitzer Roman Hackel, der zusätzlich bei Konzerten CDs verkauft, um wirtschaftlich überleben zu können. Sein Laden sei eine Anlaufstation für Menschen aus dem Stadtteil, die Fachberatung schätzen – und das schon seit mehr als 25 Jahren.

Diese Läden sind Zuflucht für alle, denen Musik nicht nur zur Berieselung dient

Für eines sorgt „Recorded“ ganz sicher: Nach dem Betrachten der Fotos, denen es gelingt, die Magie dieser Orte einzufangen, nach dem Lesen der Texte, die oft genug eine Liebeserklärung an die Schallplatte sind, möchte man sofort all diesen Läden einen Besuch abstatten. Vielleicht nicht, um immer auch eine Platte zu kaufen, denn was sollen Metalfans, die bei Remedy Records richtig wären, mit den Technoscheiben, die Otaku Records anbietet? Wohl aber, um diese besondere Atmosphäre aufzusaugen, die entsteht, wenn Menschen etwas nicht in erster Linie wegen des Geldes, sondern aus Begeisterung tun. Und dabei eine Zuflucht schaffen für all jene, denen Musik viel mehr ist als Hintergrundberieselung.

„Recorded“ 240 Seiten, 29,90 Euro, Junius VerlagRecord Store Day am 18.4. mit speziellen Vinyl-Verlöffentlichungen in zahlreichen Hamburger Plattenläden, Infos: www.recordstoredaygermany.de