Der mehr als 400 Seiten starke Prachtbildband „Dust & Grooves“ von Eilon Paz entführt in die wunderbare Welt der Vinyl-Liebhaber.
Der eine bekommt vor Aufregung feuchte Hände, wenn er die schon ziemlich zerschlissene Sammlung mit Singles durchblättert, die damals bei Klassenfeten aufgelegt wurden. Suzi Quatro, Slade und so. Wert: nur ein ideeller. Der andere verwahrt ein ungespieltes Exemplar des Mayhem-Debüts „Deathcrush“ im Schrank; harter Blackmetalstoff aus Norwegen, locker 2000 Euro wert. Zwei Welten? Eher nicht, wie der wunderbare Foto-Bildband „Dust & Grooves“ zeigt, der – so der Untertitel – „Plattensammler und ihre Heiligtümer“ porträtiert.
Was die Sammler eint, beschreibt Autor Eilon Paz in seiner Einführung: „Selbst in unserem digitalen Zeitalter lieben wir Menschen es, Objekte zu besitzen, Sachen zu haben. Musik spendet Trost. Und die wundervolle Leidenschaft des Plattensammelns verbindet beides.“ Und so sind dann auf mehr als 400 großformatigen Seiten jede Menge Menschen inmitten ihrer mal ausufernden, mal sehr speziellen Sammlungen zu sehen. Viele von ihnen dürften sofort unterschreiben, was eine junge Britin mit Joni-Mitchell-Album in den Händen sagt: „Meine Plattensammlung erzählt meine Lebensgeschichte wohl besser, als ich es in Worten je könnte.“ Deshalb stehen eben nicht Regalmeter im Vordergrund, sondern vor allem Musikbegeisterte, die zwischen all diesen Regalmetern leben. Die genau wissen, welche drei der gefühlten 100 Joe-Tex-Singles ihnen noch zum Glück fehlen und stundenlang auf realen oder virtuellen Plattenbörsen nach neuem Stoff suchen. Die ganz unbedingt jeden Sesamstraßen-Soundtrack brauchen oder sich über Kuriositäten wie den musikalischen Anmach-Ratgeber „Picking Up Girls Made Easy!“ freuen. Der auf den Fotos dokumentierte Besitzerstolz ist häufig unübersehbar.
Ins hintere Drittel des Buchs hat Eilon Paz dann umfangreiche Interviews mit Sammlern gestellt, die etwa erzählen, wie sie überhaupt zu ihrer Passion gekommen sind (meist durch die Plattensammlung der Eltern) und was nach ihrem Tod mit all den Schätzen geschehen soll. Gilles Peterson, einflussreicher DJ und Plattenproduzent, berichtet, wie er als Jugendlicher regelmäßig zu Konzerten der Jazzfunk-Band Level 42 reiste und nach den Auftritten hinter der Bühne sein großes Idol, Bassist Mark King, abpasste. Die New Yorkerin Sheila Burgel präsentiert ihre Girlpop-Sammlung, sieht im hellblauen Minikleid aus, als hätte sie selbst bei den Ronettes oder Shangri-Las gesungen, und verblüfft mit der Aussage, sie habe fünf Jahre lang Japanisch gelernt, um sich noch intensiver mit der dortigen Popszene beschäftigen zu können. Beeindruckend auch die Geschichte von Joe Bussard, 79, aus dem US-Bundesstaat Maryland, der seit Jahrzehnten frühe Country-, Blues- und Bluesgrass-Schellacks sammelt. Über MP3s kann er, der nicht mal einen Computer besitzt, nicht viel sagen. Nur das: „Der größte Teil der Musik, die man umsonst bekommt, ist sowieso keinen Penny wert.“ Weshalb er sich lieber in seinen Keller mit den ungefähr 15.000 Schmuckstücken aus längst vergangenen Zeiten zurückzieht.
„Dust & Grooves“ ist auch bestens geeignet, sich zurückzuziehen In aller Ruhe in fremden Sammlungen schwelgen, davon lesen, was andere so sehr lieben – und dann selbst losziehen, um Lücken zu schließen. In einem der vielen Hamburger Plattenläden. Oder auf der nächsten Hamburger Plattenbörse, am 6. Februar in der Uni-Mensa Schlüterstraße. Herrlich!