Hamburg. Sozialwissenschaftler Hartmut Rosa legt ein hinreißendes Buch über die glorreiche und glorreich lächerliche Spielart des Rock vor.

Es wird in diesem Jahr wahrscheinlich kein anderes so wunderbares Musikbuch wie dieses geben. Ein Buch, in dem dessen Autor, einer der namhaftesten Sozialwissenschaftler Deutschlands, mitunter ziemlich viel Theorie auffährt, um zu erklären, warum Musik so vielen Menschen so wichtig ist.

Hartmut Rosa, der in Jena lehrende Denker, hat als Erklärungsmodell vor einiger Zeit die Idee der Resonanz eingeführt. Es geht um Schwingungen sowohl im Menschen selbst als auch zwischen ihm und seiner Umwelt. Wenn Letztere nicht im richtigen Verhältnis stattfinden, droht zum Beispiel der Burn-out.

Metal, Wacken, Soziologie: Im Grenzbereich zwischen Fan-Buch und Fach-Text

Rosas ältere Bücher tragen Titel wie „Beschleunigung und Entfremdung – Entwurf einer kritischen Theorie spätmoderner Zeitlichkeit“. Das neue ist gottlob griffiger. Es heißt „When Monsters Roar And Angels Sing“. Und im Untertitel „Eine kleine Soziologie des Heavy Metal“. Dem Text geht es, um mit Rosas Theorie zu sprechen, um ein entschiedenes Abbilden gelingender Resonanz. Beim Musikhören wird die erreicht, es liegt ein intensives Erleben vor, es geht darum, so Rosa, „dass wir der Musik entgegengehen, dass wir etwas mit ihr machen, sie aktiv mithören, nachvollziehen, und uns gerade dabei als selbstwirksam und lebendig erfahren“.

Das sind hochtrabende Worte für manche; Rosa weiß, dass sich sein Büchlein im Grenzbereich zwischen Fan-Buch und Fach-Text bewegt. Aber es ist manchmal – wenn man selbst vom Virus Musik infiziert ist – fast anrührend, wie sich in „When Monsters Roar And Angels Sing“ der pure Enthusiasmus Bahn bricht. Sei es, weil es um die, für den Autor, Großartigkeit von Iron Maiden geht oder um das Gitarrensolo von David Gilmour in „Comfortably Numb“. Wenn es um Konzerterlebnisse geht, spricht Rosa von Epiphanien, und auch sonst geht es viel um den religiösen Hallraum der Musik.

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Auch im Metal, dieser doch dem Teufel zugehörigen Spielart der populären Musik. Dies ist, bei allen grundsätzlichen Überlegungen, ein Text über eines der Genres, mit dem die meisten Klischees verbunden sind. Der Metal-Fan und Hobbymusiker Hartmut Rosa durchmisst sicherheitshalber auch mit dem Blick des Metal-Verschmähers seinen Gegenstand. Er weiß, dass Metal polarisiert. Oder sagen wir es so: Das ist doch insgesamt schon immer vor allem laute und schlichte Musik gewesen!

Das Buchcover von „When Monsters Roar and Angels Sing: Eine kleine Soziologie des Heavy Metal“, erschienen im Kohlhammer-Verlag.
Das Buchcover von „When Monsters Roar and Angels Sing: Eine kleine Soziologie des Heavy Metal“, erschienen im Kohlhammer-Verlag. © Kohlhammer | Kohlhammer

Aber eine mit den hingebungsvollsten Anhängern. Als Schlussakkord präsentiert Rosa seinen Leserinnen und (Klischee?!) vor allen Lesern seine These, wonach der Metal einst die Kulturindustrie besiegt hat. Mitte der 1990er-Jahre sei das gewesen, so Rosa, als die Erfolgsgeschichte des Metal fürs Erste zu Ende ging. Zeitschriften (kein Genre ist so literat, sagt Rosa) veränderten ihren Fokus, Festivals und TV-Sendungen verschwanden, die Leute hörten plötzlich viel lieber, zu Recht übrigens, Britpop. Aber die Fans holten sich erst, zum Beispiel durch Festivals in der norddeutschen Pampa, den Metal zurück, dann machten sie ihn wieder zu dem kommerziellen Faktor, der er einst war.

Heavy Metal: Wer hört das denn eigentlich?

Wer hört eigentlich Metal? Zunächst mal Leute, die sich so nerdig und intensiv über ihre Leidenschaft unterhalten wie wenig andere. Leute, die noch Plattenläden besuchen und dort eine Metallica-Scheibe zurück in das richtige Fach stellen, sollte dort alphabetisch etwas durcheinander geraten sein. Rosa beschreibt das, was nicht so banal ist, wie es klingt: Lieblingsbands sind Konstanten im Leben. (Und, fügen wir hinzu: Sie schenken insgesamt mehr Freude als der Fußballverein, dem man anhängt.) Lieblingsbands übernehmen so etwas wie eine „Zeugenschaft“ (Rosa) der eigenen Lebensgeschichte.

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Metal ist in der Gegenwart, Stichwort Wacken, viel eher eine Dorf- als eine Stadtangelegenheit. Metropolen unterliegen den Gesetzen der Moden, Dörfer nicht. Deshalb ist nur in Letzteren Metal eine feste Bank. Mit dem Vorurteil der Dumpf- und Schlichtheit der Hörer von meist nicht sehr komplexer Musik räumt Rosa aber gründlich auf: Die sind ja in Wirklichkeit gar nicht dumm, die Metalheads! Rosa zitiert eine Studie von 2021, nach der Metalhörer überdurchschnittlich gebildet sind. Eine andere Studie belegt, dass es ausgerechnet zwischen Metal- und Klassikhörern die wenigsten Unterschiede gibt, was die Persönlichkeitsmerkmale angeht. Rosa ergänzt: Besonders in diesen beiden Lagern (es soll übrigens Menschen geben, die beiden angehören) fachsimpeln die Hörer mit großer Leidenschaft über Aufführungsdetails und Konzerte.

Metal-Mekka Wacken Open Air: Ein Acker als „Holy Ground“

Diese Aussage mag jedoch einer Art perspektivischer Verkürzung geschuldet sein. Man schaue sich mal in einem Bob-Dylan- oder Bruce-Springsteen-Fanforum um. Aber Hartmut Rosas gleichzeitig mit kühlem Analytikerblick und heißem Fanherzen geschriebene Metal-Betrachtung ist vor allem eine Liebeserklärung an ein Genre, das vielleicht tatsächlich zehn Millionen Menschen alleine in Deutschland hören. Rosa umreißt die Geschichte des Metal, er analysiert einzelne Songs; selbst wenn man zu den Nicht-Bekehrten gehört und besonders die völlige Humorlosigkeit – ein Mangel, über den Rosa übrigens kein Wort verliert – des Metal für gnadenlos lächerlich hält, versteht man die Hingabe und die Ernsthaftigkeit, mit der Rosa seinen Gegenstand behandelt.

Man vollzieht auch den Transzendenz-Gedanken nach, den Überbau, den die Furcht- und Horror-, die Sagen- und Fantasywelten des Metal beschwören. Und man erkennt die Magie an, die von der Musik und ihrer Aufführung ausgeht. Hartmut Rosa zitiert einen Satz des Metalheads Nico Rose, er ist so herrlich pathetisch und kitschig, Metal halt: „Wacken ist ein heiliger Ort. Nicht umsonst wird die weite Fläche vor den Hauptbühnen als ‚Holy Ground‘ bezeichnet. In den meisten Wochen des Jahres ist es nur ein Acker. Doch für wenige Tage im Sommer verwandelt sich dieser Acker in einen Ort, in eine Gemeinschaft, in der Menschen wie ich heil sein dürfen.“