Hamburg. Der Schauspieler gibt Einblicke in seine Titelrolle in „Ödipus“, antike Stoffe, moderne Fernsehserien und Oscar-Luftsprünge.
Karin Beiers fünfteilige Antiken-Serie„Anthropolis. Ungeheuer. Stadt. Theben“ ist gestartet. Nun gibt es alle zwei Wochen eine Fortsetzung. Im dritten Teil „Ödipus“ übernimmt Devid Striesow die Titelrolle. Ein Gespräch über die Proben und das besondere Verhältnis zum Schauspielhaus Hamburg.
Schauspielhaus Hamburg: Devid Striesow spielt Titelrolle in „Ödipus“
Zwei Jahre lang hat Regisseurin Karin Beier den großen Antikenzyklus „Anthropolis“ vorbereitet. Wann haben Sie zuerst davon erfahren und wie kamen Sie an Bord?
Devid Striesow: Karin und mich verbindet eine ziemlich erfolgreiche Zusammenarbeit mit „Iwanow“ und „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“. Als sie mich fragte, ob ich Lust hätte, den Ödipus zu spielen, fand ich das erst mal eine ganz große Unternehmung. Ich erinnere mich noch gut an „Schlachten“ von Luk Perceval, das quer durch alle Königsdramen Shakespeares ging und was für ein großes Erlebnis das war und da habe ich natürlich nicht gezögert und ja gesagt.
Sie spielen im dritten Teil „Ödipus“ mit. Was ist das für eine Figur?
Och, das ist so kompliziert (lacht). So verdammt komplex. Rein darstellerisch ist es ein unglaublicher Kraftakt, den zu spielen. Der geht durch so viele emotionale Zustände und Erkenntniszustände, dass man da sehr gut sortiert auf die Bühne gehen muss. Obwohl Ödipus versucht, nach dem Sieg über die Sphinx das Land mit klarem Verstand zu lenken und zu leiten und den aufklärerischen Gedanken und der freien Rede ihren Lauf zu lassen, hat er die Züge eines Tyrannen. Je größer der Konflikt sich zuspitzt, desto ungehaltener wird auch die Figur Ödipus. Das haben wir versucht auszuloten.
Ist Ödipus ein unschuldig dem Schicksal ausgesetzter König? Oder ein bewusst gewalttätig Handelnder?
Das eine schließt das andere nicht aus. Das sind fließende Übergänge. Die Tragik dessen, dass er in ein Schicksal geworfen ist, von dem er nichts weiß, und dieser langsame Erkenntnisprozess, dieser Indizienprozess, den er da sozusagen gegen sich selbst führt, lassen die tyrannischen Züge wieder hervortreten. Das zu spielen, ist eine unglaubliche Herausforderung, mental aber auch körperlich.
Devid Striesow: „Bis man merkt, das swingt jetzt auch, dauert es eine ganze Zeit“
Wie bereiten Sie sich auf eine solche Rolle vor?
Ganz viel passiert darüber, dass man mit dem Text und dem Stoff Zeit verbringt. Spazieren geht, sich die Passagen durchliest und dann anfängt den Text zu lernen und mit ihm umzugehen. Die Theorie kommt bei den Proben dazu, wenn man in die Dialoge mit den Kolleginnen und Kollegen hineingeworfen wird. Dann geht es darum, das bühnentechnisch zu lösen. Da beginnt die schauspielerische Handwerksarbeit, auf die ich mich immer am meisten freue. Je aufgeladener der ganze Stoff ist, umso vorsichtiger geht man damit um. Bis das dann eine Blume wird, die zur Blüte kommt und man merkt, das swingt jetzt auch, dauert es eine ganze Zeit.
Es ist ja auch eine Auseinandersetzung mit aktuellen Machtfragen, mit dem Patriarchat oder auch dem Matriarchat. Suchen Sie da nach einem zeitgemäßen Zugang?
Es ist bei uns zeitgemäß, weil Schauspielerinnen und Schauspieler aus dieser Zeit auf der Bühne stehen. Und weil wir einen Text haben, der von Roland Schimmelpfennig sehr heutig hierhergeholt wurde. Darum hat ja auch der Regisseur Jürgen Gosch, mein großer Mentor, alle paar Jahre die Stücke wiederholt. Weil er denselben Stoff in einer anderen Zeit mit anderen Leuten verhandeln wollte. Man ist automatisch im Hier und Jetzt.
Was ist das Besondere an der Übersetzung von Roland Schimmelpfennig?
Es hat ein schönes Sprachmaß und er spielt mit Wiederholungen der Termini. Es lohnt sich allemal, die Stücke in dieser Einrichtung von Schimmelpfennig auf die Bühne zu bringen. Das macht den Stoff sehr lebendig.
Devid Striesow: „Auch Parameter wie der Chor werden auf die Bühne geholt“
Kann das Prinzip einer Serie auch bei großen antiken Stoffen von Ewigkeitswert funktionieren?
Absolut. Auch Parameter wie der Chor werden auf die Bühne geholt. Das macht es mächtiger und kräftiger im Ausdruck. Das hat etwas Zeitloses. Und es baut ja auch alles aufeinander auf. Es gibt einige Figuren, die durch mehrere Teile hindurchgehen, wie Kreon oder Teiresias.
Haben Sie selbst eine Affinität zu Serien?
Ja, ich gucke mir aber auch ganz viele Serien nicht an. Es wird so viel produziert, dass ich da sehr streng auswähle. Gerade schaue ich „Succession“. Großartig!
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Wann haben Sie mit den Proben begonnen und wie weit ist das Stück gediehen?
Wir haben die Proben schon im März abgeschlossen, sind also schon sehr weit. Jetzt haben wir aber noch einmal 14 Tage, um zu verfestigen. Ich grabe mich da also gerade wieder hinein. Wir haben ein ganz tolles Bühnenbild von Johannes Schütz. Einen tollen Rahmen mit einem zentralen Ort für „Ödipus“.
Haben Sie auch schon Proben anderer Teile gesehen?
Leider noch nicht. Wir haben direkt nacheinander probiert und waren mit „Ödipus“ ziemlich am Ende dran. Ich habe das aber unbedingt vor.
Devid Striesow: „Es gibt einfach kein schöneres Sprechtheater als das Schauspielhaus“
Sie arbeiten seit Jahren regelmäßig vor allem am Deutschen Schauspielhaus. Worin besteht die besondere Verbindung?
Die gab es schon sehr früh. 1999 fing es mit Stefan Puchers „Comeback“, diesem Märchenabend im Malersaal, an. Dann folgte die Uraufführung von „Jeff Koons“ von Stefan Bachmann. Das waren entscheidende Arbeiten für mein Leben. Später kamen „Don Carlos“ und „Woyzeck“, eine umstrittene Inszenierung von Laurent Chétouane, dazu. Es gibt einfach kein schöneres Sprechtheater als das Schauspielhaus. Wenn man auf der Bühne steht und in den Saal hineinblickt, ist es eine Augenweide. Ich habe in Hamburg über die Corona-Zeit das Publikum noch mehr schätzen gelernt, weil es eine besondere Treue gezeigt hat.
Zuletzt sah man Sie bei Thorsten Lensings „Verrückt nach Trost“, hinzu kommen TV- und Kinorollen etwa in „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ oder „Im Westen nichts Neues“. Wie bewältigen Sie das alles? Sind Sie Workaholic?
Nein. Auf keinen Fall. Das ist die Beschreibung einer Zwanghaftigkeit, so bin ich nicht. So viel ist es auch gar nicht. Die Dinge passieren schon nacheinander. Aber natürlich ist man beglückt, wenn es ein so schönes Echo gibt. Als „Im Westen nichts Neues“ so viele Oscars gewann, habe ich auch einen Luftsprung gemacht.
„Ödipus“ von Sophokles/Roland Schimmelpfennig, Uraufführung 13.10., 19.30 Uhr, Deutsches Schauspielhaus (U/S Hauptbahnhof), Kirchenallee 39, Karten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de