Hamburg. Die „Falsche Schlange“ in der Komödie Winterhude führt die Zuschauer auf viele falsche Fährten. Besonders gelungen ist eine Szene.
Der Jetlag und ein gerade überstandener Herzinfarkt setzen Annabel (Gerit Kling) zu. Die Heimkehr nach 25 Jahren in Australien tut ihr Übriges: das Familienhaus runtergekommen, der Vater tot, die Schwester nicht da. Dafür taucht eine Frau (Astrid Rashed) auf, die sich als ehemalige Pflegerin des todkranken Vaters vorstellt und Annabel mit ein paar Beschuldigungen konfrontiert, die ihre Laune auch nicht gerade heben.
Diese Alice Moody behauptet, dass Annabels Schwester den Vater mit überdosierten Pillen und einem Stoß die Treppe hinunter ins Jenseits befördert habe. Und die resolute Alice macht schon in der ersten Szene klar, dass sie alle Fäden und alle Trümpfe in der Hand hält. Gut, dass Annabel genügend Pillen dabeihat, um wieder runterzukommen. Die wirft sie ein wie Smarties, doch ruhig wird sie davon nicht.
Komödie Winterhuder Fährhaus: Wer ist die falsche Schlange
„Falsche Schlange“, im Original „Snake in the grass“ heißt Alan Ayckbourns Stück, das jetzt in der Komödie Winterhuder Fährhaus Premiere feierte. Doch wer ist die falsche Schlange in dem Dreipersonenstück? Anfangs kann sich der Zuschauer nicht wirklich einen Reim darauf machen, was in dem Haus mit der steinernen Treppe und dem hässlichen Gitterzaun (Bühne: Michael Zwatrzko) eigentlich los ist. Aber das weiß man bei Krimis ja eigentlich nie.
Sympathiepunkte kann Annabel nach ihrem ersten Auftritt schon mal nicht verbuchen. Gerit Kling spielt sie als arrogante und selbstbezogene Zicke, die einen herrischen Ton am Leib hat. Grund dazu hat sie nicht, denn ihr Leben ist ein Scherbenhaufen: Ihr Mann hat sie betrogen und verlassen, das eigene Geschäft ist bankrott und sie dazu noch krank. „Alles, was ich habe, ist in diesem Koffer“, sagt sie.
Schwester Miriam (Mackie Heilmann) kommt als falsche Schlange auf den ersten Blick auch nicht infrage. Mit ihrer Korpulenz ist sie äußerlich das komplette Gegenstück der gertenschlanken Annabel. Mackie Heilmann spielt ihre Figur als Nervensäge und Heulsuse, die mit lauten Essgeräuschen unablässig Kartoffelflips „frisst“. Wenn sie vom Leben mit dem Vater erzählt und sich gegen die Beschuldigungen zur Wehr setzt, verfällt sie in einen greinenden Ton. Die viermal so hohe Tablettendosis schildert sie als Notwehr gegen den grässlichen Vater.
Vor dem Finale gibt es noch jede Menge Wendungen
Alice Moody kommt dem titelgebenden Reptil in ihrer Art schon näher. Bei Astrid Rashed ist sie eine teils verschlagene, teils offen drohende Person, die versucht, die Schwestern für 100.000 Pfund zu erpressen. Ein Brief in ihrem Besitz beweise, dass Miriam den eigenen Vater ermordet habe. Alice hat eigentlich alles, was eine falsche Schlange auszeichnet. Doch auch das wäre zu einfach. Zumal Alice kurz vor der Pause von Miriam kopfüber in einem tiefen Brunnen entsorgt wird. Der korpulente Jammerlappen schreckt vor einem Mord jedenfalls nicht zurück.
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Vor dem Finale, das hier nicht verraten werden darf, gibt es noch jede Menge Wendungen in dieser alles andere als eindeutigen Intrige. Ayckbourn, Englands populärster Gegenwartsdramatiker, weiß natürlich, wie man ein Stück immer wieder in andere Richtungen dreht, um die Spannung hochzuhalten. Mehr als 80 Stücke hat er bisher geschrieben und ist für seine dramatische Kunst sogar in den Adelsstand erhoben worden.
Krimi-Groteske mit Slapstick und hysterischer Komik
Was Ayckbourn als eine Art Krimi-Groteske angelegt hat, garniert Gerit Kling mit Slapstick und einer fast hysterischen Komik. Die bekannte TV-Schauspielerin („Notruf Hafenkante“, „Das Traumschiff“) spielt nicht nur eine Hauptrolle, sondern führt auch Regie. Sie setzt dabei auf Übertreibung und Lautstärke, schafft es aber dennoch mit präzisem Timing Pointen zu setzen – und entsprechende Lacher zu bekommen.
Besonders gelungen ist eine Szene, in der Miriam versucht, die bewusstlose und sternhagelvolle Alice von der Treppe in den Brunnen zu bugsieren. Mit immer neuen Verrenkungen entzieht sich die Hilflose Miriams Griffen, bevor sie auf deren breiten Schultern und dann in dem tiefen Loch endet. Das ist Slapstick genau nach dem Geschmack der Zuschauer.
Ayckbourn überrascht die Zuschauer mit einem unerwarteten Ausgang
An Subtilität ist die Regisseurin Kling nicht sonderlich interessiert, ihre Inszenierung bleibt auf einem hohen Intensitätslevel. Auch die nächtlichen Gruselszenen mit den Rufen eines Käuzchens und der Geige spielenden Kapuzengestalt wirken eher komisch. Dabei zeigt sich in der Story doch ein familiärer Abgrund. Warum hat Annabel als junge Frau den Vater und die jüngere Schwester Hals über Kopf verlassen? Warum hat der Vater kurz vor seinem Tod Miriam enterbt, die ihn ihr ganzes Leben lang umsorgt hat?
Diese Fragen werden nicht beantwortet, dafür überrascht Ayckbourn die Zuschauer mit einem unerwarteten Ausgang des Stücks – und die Zuschauer belohnen das Trio auf der Bühne mit begeistertem Beifall.
„Falsche Schlange“, läuft bis 22.10., Komödie Winterhuder Fährhaus, Karten unter T. 040/48 06 80 80; www.komoedie-hamburg.de