Hamburg. Vor dem Wiederaufbau wird die Übertragung der Fläche vorbereitet. Archäologen suchen nach alten Fundamentresten. Warum das wichtig ist.

Ein Jahr ist mittlerweile vergangen, seit der rot-grüne Senat den Wiederaufbau der von den Nazis verwüsteten Bornplatzsynagogefür machbar erklärt hat. Als „sensationell“ bezeichnete es damals Philipp Stricharz, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, das ganz Hamburg das Bauvorhaben zusammen mit der Gemeinde unterstütze. Grundlage für die Entscheidung war eine 367 Seiten umfassende Studie des Frankfurter Architekturbüros Wandel Lorch Götze Wach.

Nach der Freude über diesen Schritt zur Realisierung des Wiederaufbaus der Synagoge wurde es vergleichsweise ruhig. Doch nun kommt wieder Bewegung in das Projekt: Für eine der kommenden Bürgerschaftssitzungen wird ein interfraktioneller Antrag vorbereitet, in dem es um die Rückübertragung des Synagogengrundstücks im Grindelviertel von der Hansestadt an die Jüdische Gemeinde gehen soll. „Wir hoffen, dass sich die Bürgerschaft am 27. September mit dem Antrag befassen wird“, sagt Daniel Sheffer, Vorsitzender der Stiftung Bornplatzsynagoge. Die Stiftung sei darüber schon seit einigen Monaten mit Fraktionen der Bürgerschaft im Gespräch.

Archäologe: Erkenntnisse zu Resten der Bornplatzsynagoge wichtig für Architekten

Auch auf einem Teil des Synagogengrundstücks, dem heutigen Joseph-Carlebach-Platz, tut sich etwas: Archäologen bereiten dort Untersuchungen des Untergrunds vor. Für den Architekturwettbewerb zum Wiederaufbau des Gotteshauses, der voraussichtlich noch in diesem Jahr beginnen soll, seien diese Voruntersuchungen sehr wichtig, sagt Hamburgs Landesarchäologe Prof. Rainer-Maria Weiss. Architekten müssten wissen, mit welchen Überresten des Fundaments der Synagoge sie zu rechnen haben, um dies in ihren Entwürfen zu berücksichtigen.

„Es ist durchaus möglich, dass etwa interessanter Bauschmuck, relevante Fußböden, Schlusssteine und Zierelemente im Boden schlummern“, sagt Weiss, der auch Direktor des Archäologischen Museums Hamburg ist. Denkbar sei zudem, dass die unterirdisch gebaute Mikwe (rituelles Tauchbad) der Bornplatzsynagoge noch vollständig erhalten sei.

Nazis steckten Bornplatzsynagoge in Brand – Gemeinde musste Abriss bezahlen

Das Gotteshaus, damals die größte Synagoge Norddeutschlands mit einer markanten Kuppel und einem Davidstern auf der Spitze, war 1906 im neoromanischen Stil errichtet worden. Daneben wurde 1911 die Talmud-Tora-Schule gebaut.

Die 1906 eingeweihte Bornplatzsynagoge in Hamburg war einst das größte jüdische Gotteshaus in Norddeutschland.
Die 1906 eingeweihte Bornplatzsynagoge in Hamburg war einst das größte jüdische Gotteshaus in Norddeutschland. © Stiftung Historische Museen Hamburg (SHMH)

Während der Reichspogromnacht am 9. November 1938 steckten die Nazis die Bornplatzsynagoge in Brand. Ein Jahr später zwangen die nationalsozialistischen Machthaber die Jüdische Gemeinde, das Grundstück am Grindelhof für einen geringen Preis zu verkaufen und die Kosten für den Abriss der Ruine zu tragen. Wenig später errichteten die Nazis auf dem damaligen Bornplatz einen Hochbunker, der heute noch erhalten ist.

Der heutige Joseph-Carlebach-Platz ist benannt nach dem Hamburger Oberrabbiner Joseph Carlebach, der 1941 mit seiner Familie in das SS-Lager Jungfernhof bei Riga (Lettland) deportiert worden war. Seit 1988 erinnert auf dem Platz ein etwa 900 Quadratmeter großes Bodenmosaik der Hamburger Künstlerin Magrit Kahl an die Bornplatzsynagoge. An drei von vier je 15 Quadratmeter großen Stellen seien zuletzt Teile des Mosaiks behutsam abgehoben worden, sagt Landesarchäologe Rainer-Maria Weiss. Die Steinchen werden gelagert. An den freigelegten Stellen gräbt sich nun ein sechsköpfiges Team mit Schaufeln und Spitzkellen in den Untergrund vor. Vier Monate sollen die Untersuchungen an den vier sogenannten Sondierungsschnitten dauern.

Jüdische Gemeinde: „Wir stehen mit gemischten Gefühlen vor den Arbeiten“

„Wir brechen nichts heraus, ändern nichts an festen Überresten des Fundaments, sondern dokumentieren dieses nur“, sagt Weiss. Nach der Untersuchung sollen die vier Gruben wieder verfüllt und die zwischengelagerten Mosaiksteine wieder so verlegt werden, „dass der Boden danach aussieht, als wäre nichts gewesen“. Die im Boden erhaltenen Fundamentreste der Synagoge seien ein „bedeutendes Bodendenkmal der jüngeren Zeitgeschichte“, so Weiss. Das Archäologische Museum werde „mit aller Umsicht“ dazu beitragen, Klarheit über den Umfang und Zustand der Überreste zu bekommen.

Die Jüdische Gemeinde in Hamburg begrüße die archäologischen Untersuchungen, erklärte der Gemeinde-Vorsitzende Philipp Stricharz Ende August. Allerdings: „Wir stehen mit gemischten Gefühlen vor den Arbeiten. Es geht um die Erforschung des Lebens und Wirkens unserer Verwandten und Vorfahren. Es geht auch um die jüdische Identität Hamburgs.“

Neubau der Bornplatzsynagoge soll keine 1:1-Replik sein

Als vor einem Jahr die von der jüdischen Gemeinde beauftragte Machbarkeitsstudie präsentiert wurde, gab es auch mehrere Varianten zu sehen, wie der Neubau im Grindelviertel aussehen könnte. Dieser soll sich in Form und Umfang am Vorgängerbau orientieren, aber keine 1:1-Replik sein. Der zentrale Betsaal soll mit 600 Plätzen etwa halb so groß sein wie jener der ersten Bornplatzsynagoge. Außerdem denkbar sind weitere Räume für Gemeindeaktivitäten, eine Begegnungsstätte und die Ritualbäder sowie drei weitere Gebäude.

Der benachbarte, von den Nazis gebaute Luftschutzbunker muss abgerissen werden. Ob und wie sich das Bodenmosaik auf dem Joseph-Carlebach-Platz beim Wiederaufbau der Synagoge integrieren ließe, ist unklar.

Bornplatzsynagoge: Bundestag bewilligte 65 Millionen Euro für Wiederaufbau

Am 12. Februar 2020 hatte die Bürgerschaft einstimmig den Wiederaufbau der Synagoge am Joseph-Carlebach-Platz beschlossen. Ende 2020 bewilligte der Bundestag auf Initiative der Hamburger Bundestagsabgeordneten Niels Annen, Metin Hakverdi (beide SPD) sowie des damaligen Abgeordneten Rüdiger Kruse (CDU) rund 65 Millionen Euro für die neue Bornplatzsynagoge. Voraussetzung: Hamburg steuert die gleiche Summe bei.

Ein entsprechender Beschluss der Bürgerschaft steht bis heute aus. Der Grund: Angaben zu den möglichen Kosten könnten erst nach dem Architekturwettbewerb gemacht werden, erklärte der Senat. Erst dann kann das Landesparlament einen Beschluss verabschieden.