Hamburg. Erzbistum schließt sechs Schulen – Stadt braucht Unterrichtsräume. Einst erhielt Kirche drei der Grundstücke geschenkt. Welche Rolle dies nun spielt.
Geschenke, zumal von Gebäuden und Grundstücken, gehören in der Politik zu den eher seltenen Gunstbeweisen. Insofern war der 10. Juli 2008, fast genau vor 15 Jahren, ein besonderer Tag.
Auf Antrag des damaligen schwarz-grünen Senats beschloss die Bürgerschaft mit den Stimmen von CDU und Grünen sowie der oppositionellen SPD, die Grundstücke dreier katholischer Schulen dem Katholischen Schulverband des Erzbistums zu schenken oder, wie es in der Senatsdrucksache etwas feiner heißt: zu „veräußern“.
In den Besitz der Katholiken in der Diaspora kamen die Schulen St. Marien (Ottensen), die Bonifatiusschule (Wilhelmsburg) und die Katholische Schule Harburg, die ehemals preußische Volksschulen waren.
Teil des Vertrags zwischen der Stadt und dem Erzbistum war auch der Verkauf des knapp 20.000 Quadratmeter großen Grundstücks der Katholischen Schule Neugraben für 5,6 Millionen Euro, deren Gebäude von der Stadt errichtet wurden und bis 1999 vom Gymnasium Süderelbe genutzt worden waren. Ganz uneigennützig waren die städtische Schenkung und der Verkauf zum ausgesprochen fairen Preis nicht.
Zwei der drei Schulen, die die Stadt dem Erzbistum schenkte, sind jetzt geschlossen
Das Erzbistum übernahm die Verpflichtung für die Instandsetzung und -haltung der stark sanierungsbedürftigen Gebäude. Die Stadt hatte angesichts der niedrigen Mietzahlungen der katholischen Kirche nur das Notwendigste für den Erhalt getan.
„Mit der vorgesehenen Veräußerung soll die Stadt von Sanierungspflichten … entlastet werden und der Betrieb der katholischen Schulen eine langfristig sichere und wirtschaftliche Basis erhalten“, beschreibt der Senat die Absicht hinter der Schenkung denn auch recht unverblümt.
Die Hoffnung auf „eine langfristig sichere und wirtschaftliche Basis“, also einen dauerhaften Betrieb der katholischen Schulen, hat sich allerdings nicht erfüllt. Drei der vier Standorte sind 15 Jahre nach der „Veräußerung“ geschlossen: In der Grundschule St. Marien werden schon seit 2021 keine Kinder mehr unterrichtet, mit Ende des Schuljahres 2022/23 gingen auch die Lichter in der Neugrabener Schule aus.
Die Katholische Schule Harburg verliert ihren Stadtteilschulzweig, die verbleibende Grundschule verlässt ihren (einst geschenkten) Standort und wird in die Gebäude des katholischen Niels-Stensen-Gymnasiums ziehen, dessen Schicksal ebenfalls besiegelt ist.
Die Kirche verließ sich auf ein Gutachten der Unternehmensberatung Ernst & Young
Wenn die letzten Schülerinnen und Schüler das erst 2003 gegründete Gymnasium im Sommer 2025 verlassen haben werden, kommt der historische Kahlschlag des katholischen Schulsystems zum Abschluss. Wie 2019 von Erzbischof Stefan Heße angekündigt, werden dann sechs der 21 Schulen geschlossen sein. Denn: Vor eineinhalb Wochen mit Beginn der Sommerferien endete auch die Geschichte der Domschule St. Marien (St. Georg), der Franz-von-Assisi-Schule (Barmbek-Nord) und der Katholischen Schule Altona.
Das Erzbistum hatte den Standortabbau aus wirtschaftlichen Gründen als erforderlich, ja unausweichlich angesehen. Heße und seine Mitstreiter verließen sich 2018 im Wesentlichen auf eine Untersuchung der Unternehmensberater von Ernst & Young.
Danach belief sich die damalige Überschuldung des Erzbistums auf 79 Millionen Euro, die bis 2021 auf 353 Millionen Euro emporschnellen könne, wenn nichts geschehe. Wesentlicher Kostenfaktor nach Ansicht von Ernst & Young: die Schulen. Fünf Standorte galten den Unternehmensberatern als „wirtschaftlich nicht tragfähig“, bei zwei weiteren war die Wirtschaftlichkeit „stark negativ“ – nicht zuletzt wegen der hohen Sanierungsbedarfe.
Die Idee, die Schulen durch Gründung einer Genossenschaft zu retten, scheiterte
Die Schließungspläne – zunächst ging es sogar um acht Schulen – führten zu empörten Protesten der Schulgemeinschaften mit Demonstrationen mehrerer Tausend Teilnehmer unter anderem auf dem Rathausmarkt und einer breiten und sehr lebhaften politischen Debatte.
Engagierte Katholiken versuchten die Schulen mit der Idee einer Genossenschaft zu retten, doch Erzbischof Heße erklärte die Verhandlungen letztlich für gescheitert und brach die Gespräche ab. Das Erzbistum zog seine Schließungspläne im Wesentlichen durch. Nur die Sophienschule in Barmbek und die Katholische Schule Harburg wurden letztlich „gerettet“.
Doch was wird aus den Gebäuden und Grundstücken der aufgegebenen Standorte? Seit Bekanntwerden der Schließungsabsichten durchzieht der Verdacht die Diskussion, das Erzbistum könne angesichts seiner klammen Finanzlage die Areale meistbietend verkaufen – etwa zum Zwecke des Wohnungsbaus. Von Beginn an steht die kleinste katholische Schule – St. Marien in Ottensen – im Brennpunkt solcher Vermutungen.
Immer wieder gibt es den Verdacht, die Kirche wolle die Flächen meistbietend verkaufen
Pikant: Die Wirtschaftlichkeit der einzügigen Grundschule an der Eulenstraße galt Ernst & Young als „ausgeglichen“, der Investitionsbedarf als eher niedrig. Trotzdem geriet die Schule auf die Streichliste des Erzbistums. Weil die Fläche für eine andere Nutzung so attraktiv ist?
Die katholische Kirche äußert sich nicht zu solchen Überlegungen. Allerdings gab es einen Plan von Experten des Erzbistums und einem Künstlerkollektiv, über den das Abendblatt im Sommer 2021 berichtete, als die „Eule“ geschlossen wurde.
Demnach sollte der denkmalgeschützte Schulbau als Standort für kleine Opernproduktionen und Weiterbildungsangebote genutzt werden, umrahmt von einem kleinen Quartier mit 45 Wohnungen – errichtet, so der Plan, in Zusammenarbeit mit einer Genossenschaft. Doch daraus wird wohl nichts. Die Stadt hat für die kleine Grundschule „Nachnutzungsbedarf“ angemeldet und will Gebäude und Grundstück, die sie 2008 der katholischen Kirche geschenkt hatte, wieder in städtisches Eigentum überführen.
Die Schulbehörde hat für vier Standorte „Nachnutzungsbedarf“ angemeldet
Der Vertrag von 2008 enthält erstaunlicherweise keine „Rückkaufoption“ für die Stadt im Falle einer Schulschließung, dennoch wird sich das Erzbistum kaum über den Wunsch der öffentlichen Hand hinwegsetzen können. Doch um welchen Preis? Dass Senat und Bürgerschaft das einst verschenkte Grundstück nun teuer zurückkaufen, ist schwer vorstellbar.
Das wäre geradezu kurios, moralisch angreifbar und Bürgerinnen und Bürgern wohl nicht zu vermitteln. Es kommt hinzu, dass die politisch Verantwortlichen kaum den Eindruck aufkommen lassen wollen, die Stadt würde durch großes Entgegenkommen noch zur Sanierung der maroden Bistumsfinanzen beitragen ...
Doch die Gespräche zwischen dem städtischen Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) und der Kirche erweisen sich als ausgesprochen zäh und liegen erst einmal auf Eis. „Die Verhandlungen werden auf Wunsch der Stadt erst nach Abschluss der Verhandlungen zur Schule in Neugraben wieder aufgenommen“, sagt Bistumssprecher Manfred Nielen.
Dass die Stadt einst geschenkte Grundstücke zurückkauft, ist nicht vorstellbar
Die Katholische Schule Neugraben, die zum Schuljahresende endgültig ihre Pforten schloss, ist die zweite „Baustelle“ zwischen Stadt und Erzbistum. Die Schulbehörde plant auf dem großen Areal eine neue Grundschule und ein neues Gymnasium angesichts des umfangreichen Wohnungsneubaus im Bereich Süderelbe. Die Zeit drängt, eigentlich hätten die ersten Schülerinnen und Schüler schon nach den Ferien eingeschult werden sollen. Doch die Verhandlungen erweisen sich auch hier als zäh.
„Wir sind weiterhin an einem raschen Vertragsabschluss interessiert“, sagt Bistumssprecher Nielen. Hier geht es um einen echten Rückkauf, denn die Stadt hatte ja für das Areal 5,6 Millionen Euro erhalten. Nach Informationen des Abendblatts liegt inzwischen ein Verkehrswertgutachten vor. Danach dürfte sich der Rückkaufpreis etwas oberhalb jener 5,6 Millionen Euro bewegen.
In die geschlossene Domschule soll die Kindertagesstätte der Domgemeinde einziehen
Die Schulbehörde hat „Nachnutzungsbedarf“ bei zwei weiteren der aufgegebenen Schulen angemeldet. Und hier läuft es reibungsloser: In die Katholische Schule Altona an der Dohrnstraße sind bereits vorübergehend Schülerinnen und Schüler des Struensee-Gymnasiums eingezogen, dessen Neubau sich um mehrere Jahre verzögert.
Für eine langfristige Nutzung hat die Schulbehörde ebenfalls den Standort Julius-Ludowieg-Straße der Katholischen Schule Harburg für 25 Jahre angemietet. Eine Rücküberführung dieses 2008 geschenkten Grundstücks ist nach Angaben der Schulbehörde derzeit nicht beabsichtigt.
An der ebenfalls geschlossenen Domschule in St. Georg hat die Schulbehörde kein Interesse. Hier soll die Kindertagesstätte der Domgemeinde nach Angaben des Sprechers einziehen. Kein Interesse hat die Stadt auch an der Franz-von-Assisi-Schule in Barmbek-Nord, in der noch bis 2025 die Schüler der Sophienschule unterrichtet werden, bis deren Neubau fertiggestellt ist. Und was passiert danach? „Die Überlegungen dazu sind noch nicht veröffentlichungsreif“, sagt Manfred Nielen. Nach gültigem Planrecht ist dort eine „Gemeinbedarfsfläche“ vorgesehen.
Viele Eltern sind verzweifelt über die Marginalisierung des katholischen Schulwesens
Die 2008 dem Erzbistum ebenfalls kostenlos überlassene Bonifatiusschule in Wilhelmsburg soll für insgesamt 31,5 Millionen Euro komplett saniert sowie um ein Schulgebäude und eine Turnhalle erweitert werden. Der Auftrag zur Sanierung des Dachs und der Fenster des Altbaus ist gerade vergeben. Von den angekündigten Investitionen in Höhe von mehr als 150 Millionen Euro in die verbleibenden 15 Schulen sind nach Angaben des Erzbistums bislang 13,5 Millionen Euro ausgegeben worden.
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Nach den erbitterten Diskussionen, ja der Verzweiflung vieler Engagierter über die Marginalisierung des katholischen Schulwesens in Hamburg – die Zahl der Schülerinnen und Schüler ist von rund 10.000 auf 6000 gesunken – blieb es jetzt beim endgültigen Aus der vier Schulen bemerkenswert still. Doch die Schlussfolgerung, die Wunden seien verheilt, ist falsch.
Zum neuen Schuljahr wird das Schulgeld um rund ein Drittel erhöht
„Wegen der Schulschließungen, die alles andere als alternativlos waren, hat das Erzbistum massiv an Vertrauen verloren. Während der Senat neue Schulen baut, schließt die katholische Kirche weitere Standorte. Das passt einfach nicht zusammen“, sagt Henrik Lesaar, Vorstandsmitglied der Katholischen Elternschaft. In dieser Situation kommt auf die Familien mit Beginn des neuen Schuljahres auch noch eine Erhöhung des Schulgelds zu.
Die Unternehmensberater von Ernst & Young hatten 2018 in ihrer Untersuchung moniert, dass das Schulgeld von im Höchstsatz 100 Euro pro Monat für das erste Kind zu niedrig sei, um die Finanzierungslücke zu schließen. Schon war befürchtet worden, dass die Kirche an die staatlich vorgegebene Obergrenze von 200 Euro herangehen könnte.
Nach Informationen des Abendblatts schalteten Eltern des katholischen Vorzeige-Gymnasiums Sophie Barat (Rotherbaum) erfahrene Anwälte der renommierten Kanzlei Graf von Westphalen ein, deren Argumente gegen eine derart drastische Erhöhung des Schulgelds offensichtlich verfingen. Vom 1. August an müssen Eltern nun „nur“ 135 Euro als Höchstsatz zahlen, was immerhin auch eine deutliche Steigerung um rund ein Drittel bedeutet.