Hamburg. Nur sechs Reporter bleiben in Hamburg noch. Chefredakteurin Marion Horn trug den Entschluss in geradezu brutaler Offenheit vor.
Die Reporterinnen und Reporter der „Bild“-Zeitung gelten als besonders hartgesotten. Doch was „Bild“-Chefredakteurin Marion Horn ihren Kolleginnen und Kollegen in den Räumen der Hamburg-Redaktion im Springer-Verlagsgebäude am Axel-Springer-Platz (Neustadt) vor ein paar Tagen verkündete, führte zu Fassungslosigkeit, Wut, Entsetzen – und auch zu Tränen. Die „Bild“-Hamburg-Redaktion, die größte Regionalredaktion des Boulevardblatts und mit ihrer Berichterstattung über Jahrzehnte eine feste Größe in der Medienstadt Hamburg, wird es vom kommenden Jahr an nicht mehr geben.
In schonungsloser, manche Teilnehmer der Runde sagen: geradezu brutaler Offenheit trug Horn, die selbst einmal „Bild“-Hamburg-Chefin war und etliche Kolleginnen und Kollegen aus der Zeit kennt, die Entscheidungen der Verlagsspitze vor. Danach sollen rund 30 Stellen gestrichen und nur sechs Reporter noch vom 1. Januar 2024 an aus Hamburg und Schleswig-Holstein für „Bild“ berichten. Angesichts des angekündigten Kahlschlags machte schnell das Wort vom „Kettensägenmassaker” die Runde.
„Bild“ Hamburg: Nur sechs Reporter sollen bleiben
Layouter, Fotoredakteure, Sekretärinnen, aber auch die gesamte Leitungs- und Produktionscrew von „Bild“ Hamburg, der sogenannte Balken, sollen nach Abendblatt-Informationen ersatzlos wegfallen. Auch Redaktionsleiter Max Schneider verliert seinen Job.
Als Schneider, der seit fast vier Jahren an der Spitze von „Bild“ Hamburg steht, versuchen wollte zu retten, was offensichtlich nicht mehr zu retten war, so wird berichtet, schnitt ihm Marion Horn das Wort ab. Er solle sich lieber Gedanken über seine eigene Zukunft machen, er könne ja wieder Polizeireporter werden, so wird die Chefredakteurin von Teilnehmern zitiert.
Wer die sechs Reporter sein werden, die an Bord bleiben, ist danach jedoch noch völlig offen. „Wir sind in einer Warteschleife. Das ist für alle sehr frustrierend“, sagt ein Mitarbeiter. Demnächst soll in Abstimmung mit dem Betriebsrat ein Programm zum freiwilligen Ausstieg aufgelegt werden. „Goldener Handschlag“ nennt man so etwas wohl.
„Bild“-Hamburg-Mitarbeiter wurden aufgefordert, sich in Berlin zu bewerben
Doch per E-Mail erhalten die vom Stellenabbau betroffenen Kollegen auch bereits das Angebot, sich auf Stellen als „News-Reporter“ und „Show-Reporter“ in der Berliner Redaktionszentrale zu bewerben. Die Stellenbeschreibung, die dem Abendblatt vorliegt, mag auf die Mitarbeiter angesichts von Horns Auftritt in Hamburg geradezu zynisch wirken. Ein News-Reporter habe ein „empathisches und vertrauenswürdiges Auftreten, bringt Menschen mit Respekt und ohne Druck dazu, uns ihre Geschichten zu erzählen; auch solche, die sonst nicht mit BILD sprechen“, heißt es da.
Journalistisch betrachtet bedeutet der drastische Personalabbau eine deutliche Reduzierung des Umfangs der Berichterstattung. Künftig soll es nur noch eine Seite mit Hamburger Themen in der gedruckten „Bild“-Zeitung geben, wie der stellvertretende Unternehmenssprecher Christian Senft dem Abendblatt bestätigt.
Derzeit sind es in der Regel drei Seiten. Hinzu kommt weiterhin eine tägliche Seite mit Hamburg-Sport. Die Sportjournalisten sind von den jetzt verkündeten Kürzungen nach Abendblatt-Informationen ausgenommen.
„Bild“: Bundesweit sollen Jobs „in niedrigem dreistelligem Bereich“ wegfallen
Die Hamburger Seiten werden künftig ausschließlich in Berlin und im Wesentlichen wohl nach Standard-Layouts „gebaut“, dabei soll auch künstliche Intelligenz (KI), wann immer möglich, zum Einsatz kommen. Die verbleibenden Hamburger Reporter werden ihre Texte direkt an die Redaktionszentrale in der Hauptstadt schicken, wo sie „verarbeitet“ werden, und erhalten ihre Aufträge von dort.
Die radikalen Einschnitte sollen bundesweit angeblich zur kompletten Schließung von zehn der 18 Regionalbüros, zur Streichung von sechs Regionalausgaben führen und Mitarbeiter „in einem niedrigen dreistelligen Bereich“ (Senft) ihren Job kosten.
Zu Details wollte sich der Sprecher nicht äußern. „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir Spekulationen zu einzelnen Regionalstandorten nicht kommentieren. Wir sind bestrebt, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden und mit den Betriebsräten sozialverträgliche Lösungen zu finden, wie ein Freiwilligenprogramm“, sagte Senft.
Bei den Klickzahlen liegt „Bild“ Hamburg unter den Regionalausgaben ganz vorn
Auch die regionale Berichterstattung wird künftig an der Springer-Strategie „Digital only“ ausgerichtet. Konzernchef Mathias Döpfner hat längst die Devise ausgegeben, dass Springer ein reines Digitalunternehmen wird und sich dabei sehr stark auf den US-Markt konzentrieren wird. „Reichweite ist Relevanz“, wird Marion Horn zitiert. „Klicks sind die einzige Währung, um die es geht“, sagt einer, der „Bild“ gut kennt.
Dabei meinte man bei „Bild“ Hamburg, in der digitalen Umsteuerung gut aufgestellt zu sein. Bei den Klickzahlen lägen die Hamburger mit weitem Abstand auf Platz eins unter den Regionalausgaben, heißt es. Immer wieder sei es auch gelungen, mit Hamburger oder Schleswig-Holsteiner Themen („Sylter Bürgermeister hat Burn-out“) auf der ersten Seite der Bundesausgabe von „Bild“ online zu landen, der sogenannten „A-Rotation“.
„Bild“: Regionale Verankerung war jahrelang Teil der Erfolgsgeschichte
Was jahrelang Teil der Erfolgsgeschichte von „Bild“ war, die regionale Verankerung, der Anspruch, sehr schnell an jedem Ort zu sein zum Beispiel bei Katastrophen und Tragödien, wird nun augenscheinlich jedenfalls zu einem erheblichen Teil preisgegeben. Themen aus den Bereichen Sex and Crime sowie Trash dürften noch stärker als bisher die Berichterstattung bestimmen, weil sie am meisten Klicks bringen.
Sicher: Die Auflage der gedruckten „Bild“-Zeitung ist in den vergangenen Jahren abgestürzt. Täglich 1,1 Millionen Exemplare waren es Ende 2022, Ende 2013 waren es noch mehr als doppelt so viele.
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Döpfner hatte angesichts dieser Lage schon im Februar angekündigt, dass es bei „Bild“ (und übrigens auch bei der „Welt“) zu Stellenstreichungen kommen werde. Dass davon in diesem Umfang gerade auch die Hamburger Regionalredaktion be- und getroffen sein würde, hat hier wohl alle überrascht. Die gedruckte „Bild“-Zeitung wird, da sind sich viele Mitarbeiter inzwischen sicher, einen vielleicht gar nicht einmal so langsamen Tod sterben.
Mediensenator Carsten Brosda (SPD) sieht „fundamentalen Wandel im Mediengeschäft“
„Wir erleben jetzt den fundamentalen Wandel im Mediengeschäft, der schon lange vorhergesagt wurde. Geändertes Nutzungsverhalten, wegbrechende Anzeigeneinnahmen und allgemein steigende Kosten bestimmen ein schwieriges Marktumfeld“, sagt Kultur- und Mediensenator Carsten Brosda (SPD). „Das betrifft die verschiedenen Medienbereiche unterschiedlich, aber es betrifft alle und zunehmend auch die lokale Berichterstattung“, sagt der SPD-Politiker, ohne direkt auf „Bild“ einzugehen.
Wenn sich Journalismus künftig aus sich selbst heraus finanzieren müsse, so Brosda, dann brauche es auch ein Bewusstsein für seinen gesellschaftlichen Wert. „Das ist eine gemeinsame Aufgabe. Deswegen treiben wir hier von Hamburg aus die neue digitale Medienordnung mit eigenen Initiativen voran“, sagt Brosda und nennt als Beispiele das Netzwerk #UseTheNews, um Nachrichtenkompetenz zu stärken, und nextMedia.hamburg, um neue Geschäftsmodelle zu unterstützen.