Hamburg. Die Innenbehörde nennt die Attacken gegen Feuerwehrleute und Polizeibeamte “unerträglich“. Was die Parteien jetzt fordern.

Die allermeisten Hamburger feierten den Jahreswechsel friedlich mit einem bunten Feuerwerk – doch an etlichen Stellen in der Hansestadt kam es zu Auswüchsen von Aggressivität und Randale, die nun eine neue Diskussion entfacht haben, wie sich solche Tiefpunkte künftig verhindern lassen. Ungewöhnlich war nicht die Zahl der Polizeieinsätze: 1200-mal rückten Peterwagen in der Silvesternacht aus, öfter zwar als beim Jahreswechsel 2021/22 mit 1025 Einsätzen. Im Jahr 2017 etwa hatten die Beamten allerdings mit 1624 Einsätzen zu Silvester in Hamburg erheblich mehr tun tun.

Silvester 2022: Angriffe auf Einsatzkräfte erreichen neue Dimension

Auch früher gab es schon Angriffe auf Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr, sagte Thomas Jungfer, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft in Hamburg. Eine „ganz andere Qualität“ hätten hingegen Attacken, bei denen Helfer etwa mit Batterien beschossen wurden – so geschehen am vergangenen Sonnabend.

„Wer so etwas tut, nimmt den Tod von Menschen billigend in Kauf und sollte wegen eines versuchten Tötungsdeliktes zur Rechenschaft gezogen werden“, sagt Jungfer. Die Beamten hätten es mit einer Klientel zu tun gehabt, „die auch sonst der Polizei gegenüber negativ eingestellt ist und eine Gelegenheit zur Auseinandersetzung sucht“.

An den Landungsbrücken feierten Zehntausende Menschen. Auch dabei wurden immer wieder Einsatzkräfte angegriffen. (Archivbild)
An den Landungsbrücken feierten Zehntausende Menschen. Auch dabei wurden immer wieder Einsatzkräfte angegriffen. (Archivbild) © dpa | Jonas Walzberg

Zu den folgenschwersten Ausschreitungen gegen Einsatzkräfte kam es an sozialen Brennpunkten. Am Astweg in Eidelstedt verletzten Metallsplitter einen Feuerwehrmann so schwer an einem Auge, dass er derzeit auf diesem Auge nichts mehr sehen kann. Am Stubbenhof in Hausbruch sahen sich Feuerwehrleute bei Löscharbeiten unter Beschuss mit Pyrotechnik. In Schnelsen-Süd durchschlug das Geschoss einer Schreckschusswaffe die Einsatzhose eines Feuerwehrmannes und fügte ihm Verbrennungen zweiten Grades zu. Am Harburger Ring, der sich als Treffpunkt für Gewaltbereite etabliert hat, wurde die Polizei attackiert.

„Wir nehmen die Vorkommnisse und insbesondere die Angriffe auf Einsatzkräfte in der Silvesternacht sehr ernst. Die Zahl der An- und Übergriffe auf Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr ist bundesweit auf einem hohen Niveau“, sagte Daniel Schaefer, Sprecher der Innenbehörde, am Montag.

Angriffe auf Einsatzkräfte "kein reines Silvesterphänomen"

In Hamburg seien im Jahr 2021 insgesamt 73 An- und Übergriffe gegen Beschäftigte der Feuerwehr Hamburg registriert worden. Bis Ende August 2022 wurden 31 solcher Vorfälle verzeichnet. Eine Zahl für das gesamte Jahr lag bis Redaktionsschluss nicht vor. Einsatzkräfte von Hilfsorganisationen wie dem Arbeiter-Samariter-Bund und den Johannitern sind in dieser Statistik nicht erfasst.

„Das ist eine problematische Entwicklung und kein reines Silvesterphänomen“, sagte Schaefer. „Jeder dieser Angriffe ist unerträglich. Wir sind froh, dass es gelungen ist, in der vergangenen Silvesternacht zahlreiche Tatverdächtige zu identifizieren. Hier erhoffen wir uns eine schnelle und konsequente Bestrafung durch die Justiz.“

Innenbehörde wertet Silvesternacht 2022 detailliert aus

Die Behörde werte die Vorkommnisse nun detailliert aus, um zu klären, ob es an bestimmten Orten in der Stadt eine erhöhte Gefährdung durch Feuerwerkskörper gegeben habe. „Dies kann dazu führen, dass wir auch eine Ausweitung des Feuerwerksverbots, wie es in diesem Jahr rund um die Binnenalster und auf dem Rathausmarkt galt, auf weitere Bereiche der Stadt rechtlich prüfen werden“, sagte Schaefer. Zum Jahreswechsel 2023/24 könnte ein Verbot für Böller und Raketen auch an den Landungsbrücken gelten.

Zum Jahreswechsel 2019/2020 hatte die Hamburger Polizei erstmals eine solche Allgemeinverfügung erlassen, die unter anderem das Abbrennen von Feuerwerk rund um die Binnenalster untersagte. Das sei möglich gewesen, da es dort in den Vorjahren immer wieder zu gefährlichen Situationen „durch mitunter absichtlich unsachgemäßes Abbrennen von Feuerwerkskörpern“ gekommen sei, sagte Schaefer. Wegen dieser Erfahrungen habe die Verbotszone zuletzt auch auf den Rathausmarkt ausgeweitet werden können.

Eine Verfügung kann nur für bestimmte Zonen erlassen werden und muss jedes Jahr neu ausgewiesen werden. Die rechtlichen Hürden seien hoch, sagte Polizeisprecherin Sandra Levgrün. „Um ein Verbotsgebiet einrichten zu können, müssen wir die Problemlage exakt belegen.“

Angriffe auf Einsatzkräfte: Diese Strafen drohen den Tätern

Juristisch kann der Beschuss von Polizei-, Feuerwehr- und Rettungskräften mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden. Konkret heißt es laut Paragraf 113 Strafgesetzbuch: „Wer einem Amtsträger, der zur Vollstreckung von Gesetzen oder Rechtsverordnungen berufen ist, bei einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft.“

Fällt die Gewalt „besonders schwer“ aus, etwa weil der „Täter oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt“ oder „durch eine Gewalttätigkeit den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt“, ist eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vorgesehen.

Zudem muss laut Paragraf 115 selbst derjenige mit einer Freiheits- oder Geldstrafe rechnen, der „Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes, eines Rettungsdienstes, eines ärztlichen Notdienstes oder einer Notaufnahme durch Gewalt oder durch die bloße Drohung mit Gewalt behindert“. Im April 2021 sei der Paragraf 115 dahingehend erweitert worden, dass die Vorschrift nun auch das Personal ärztlicher Notdienste und von Notaufnahmen erfasst, sagt Liddy Oechtering, Sprecherin der Hamburger Staatsanwaltschaft.

Immer wieder werden auch Sanitäter bei ihrer Arbeit attackiert.
Immer wieder werden auch Sanitäter bei ihrer Arbeit attackiert. © picture alliance / | picture alliance

Bereits Mitte Dezember hatte die Gewerkschaft Komba gewarnt, der Rettungsdienst in Hamburg sei am Limit. Vorkommnisse wie in der Silvesternacht erschwerten die Arbeit zusätzlich. „Beschäftigte, die ihr eigenes Leben einsetzen, sehen sich Attacken mit Böllern und Raketen ausgesetzt“, heißt es aus der Gewerkschaft. „Dies sind haltlose Zustände, die das Berufsbild nicht zwingend attraktiver machen“, sagte der Komba-Landesvorsitzende Jürgen Minners. Innensenator Andy Grote (SPD) und die zuständige Behördenleitung sollten „endlich tätig werden“.

Fegebank fordert Konsequenzen nach Silvester-Attacken

Konsequenzen forderte nach den Attacken auf Einsatz- und Rettungskräfte auch Hamburgs Zweite Bürgermeisterin und Katharina Fegebank (Grüne). „Wir müssen jetzt genau prüfen, was wir tun können, damit sich das nicht wiederholt“, twitterte Fegebank am Montag. „Ob Ausweitung der Verbotszonen oder ein generelles Verkaufsverbot: Bund und Länder müssen gemeinsam einen Weg finden, die zu schützen, die anderen helfen wollen.“ Was sich in der Silvesternacht an vielen Orten in Deutschland abgespielt habe, sei erschreckend. „Diese Verrohung & Angriffe gegen Polizei, Feuerwehr & Rettungskräfte sind unerträglich, und wir dürfen das nicht akzeptieren“, schrieb Fegebank bei dem Kurznachrichtendienst.

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Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaften an der Akademie der Polizei Hamburg, wehrt sich dagegen, von einem „allgemeinen Gewaltanstieg“ zu sprechen. „So wie in der Gesellschaft, dominiert auch in den Feuerwehr- und Polizeimeldungen momentan die moralische Entrüstung über die Angriffe.“ Behr sieht die Vorfälle eher als zeitlich begrenzte singuläre Ausbrüche an, die immer wieder vorkämen. Wie etwa 2017 bei den Ausschreitungen während des G20-Gipfels in Hamburg oder auf 1. Mai-Demonstrationen.

Der innenpolitische Sprecher der Hamburger SPD-Fraktion, Sören Schumacher, sagte, er persönlich könne sich Silvester gut ohne Böller vorstellen. Aber selbst wenn es in Hamburg ein komplettes Abbrennverbot für Feuerwerk gäbe, ließe sich das nicht flächendeckend kontrollieren. „Wir können in einer Millionenmetropole nicht an jeder Straßenecke Polizei platzieren, die ein Verbot überwachen.“

SPD regt Diskussion über bundesweites Böllerverbot an

Ein Verkaufsverbot mache nur Sinn, wenn es überall hierzulande gelte. „Wir sollten als Gesellschaft zumindest diskutieren, ob wir so ein Verbot nicht bundesweit einführen.“ Es könnte dann weniger Verletzungen geben und eine geringere Belastung für Polizei, Rettungskräfte und Krankenhäuser. Auf eine fröhliche Silvesterfeier müssten wir nicht verzichten, sagt Schumacher und verweist auf andere Länder, in denen privates Böllern verboten ist – stattdessen finden dort an zentralen Stellen öffentliche Feuerwerke statt.

Es könne „keinerlei Toleranz“ für Menschen geben, die Einsatzkräfte bei der Arbeit attackierten, sagte Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen. Es gelte, Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst zu schützen und zu unterstützen. „Das erreichen wir jedoch nicht über eine generelle Böllerverbotsdebatte, sondern durch konsequente Strafverfolgung.“

CDU hat klare Meinung zum Thema Böllerverbot

Die CDU ist gegen ein bundesweites Böllerverbot. „Niemandem sollte vorgeschrieben werden, wie er den Jahreswechsel zu feiern hat“, sagte CDU-Fraktionschef Dennis Thering. Die Bürger verfügten „in ihrer großen Mehrheit über genügend gegenseitige Rücksichtnahme.“

Wo dem nicht so sei, müssten Ordnungskräfte durchgreifen. Böllerverbotszonen seien „ein probates Mittel, um Ausschreitungen an Gefahrenschwerpunkten einzudämmen“, sagte Thering. „Es ist daher richtig, diese auf Grundlage der Erfahrungen der letzten Jahre auszuweiten.“ Strafen für jene, die Einsatzkräfte attackieren, dürften nicht auf die lange Bank geschoben werden. „Hierzu benötigt es vor allem mehr Möglichkeiten, die zu einer klaren Tätererfassung beitragen“, sagte Thering. „Alle Polizisten sollten im Einsatz eine Bodycam tragen, „um Angriffe auf ihre Person besser dokumentieren zu können“. Für Bodycams spricht sich auch der Polizeiwissenschaftler Rafael Behr aus.

Silvester 2022: Linke bemängelt "fehlende Sensibilisierung" – FDP fordert harte Strafen

Nach Ansicht des Linken-Abgeordneten Stephan Jersch hapert es an der „mangelnden Durchsetzung bestehender Regelungen“. So dürfe nahe den Kliniken und Pflegeeinrichtungen kein Silvesterfeuerwerk abgebrannt werden – aber das werde nicht einmal überwacht. Wichtig sei auch, der „völlig fehlenden Sensibilisierung“ im Umgang mit Feuerwerk entgegenzuwirken. „Die jährliche Pressemitteilung von Feuerwehr und Bezirksämtern ist für die Gefährlichkeit der verkauften Produkte unangemessen wenig.“

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AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann bezeichnete die Angriffe auf Polizei und Helfer als „abscheulich“. Zu prüfen sei der Einsatz von Videokameras an Einsatzfahrzeugen. Ein flächendeckendes Böllerverbot wäre allerdings falsch und „eine Kapitulation vor diesen Gewalttätern“, sagte Nockemann. „Es ist eben keine Partyszene, die über die Stränge schlägt, sondern im Regelfall ist hier eine überwiegend migrantisch geprägte Szene am Werk, die unseren Staat und unsere Gesellschaft ablehnt.“

Die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein sagte: „Ausgeweitete Böllerverbote helfen weder bundesweit noch regional, auch Gesetzesverschärfungen halte ich nicht für nötig. Aber ich appelliere an Staatsanwaltschaften und Gerichte, die Angriffe auf Retter und Polizisten ernster denn je zu nehmen und mögliche Strafmaße auszuschöpfen.“