Hamburg. 3,25 Nettokaltmiete pro Quadratmeter: Auch Jan Delay wuchs an der Haynstraße 1 in Eppendorf auf. Der Mietvertrag von einst gilt noch.

Der kleine Jan war Mitte der Siebziger das erste Baby in der jungen Mietergruppe Haynstraße/Hegestraße in Eppendorf. So erzählen es die älteren Bewohner heute. Er malte, sprühte, trällerte. Auf alten Bildern ist er gut zu erkennen. Jan Philipp Eißfeldt wuchs auf inmitten einer kreativen Hamburger Kommune von Künstlern und Musikern und Akademikern, die sich über Jahre gegen Räumungsklagen wehrte, gegen die Umwandlung in edle Eigentumswohnungen und gegen dieses Gentrifidingsbums, das Eppendorf viele Jahre im Griff behalten sollte, dann Ottensen, die Sternschanze und weitere Quartiere.

Heute lebt Jan Delay als einer der erfolgreichsten Hamburger Musiker ein paar Stadtteile weiter, seine Eltern sind aufs Land gezogen. Aber auch für ihn gilt der alte Rapper-Spruch („Du kriegst das Kind aus dem Getto, aber nicht das Getto aus dem Kind“) auf Hamburger Art: Die Eppendorfer Jahre, das besetzte und belebte Haus mit den 22 Wohnungen an der Kreuzung nahe der U-Bahn-Linie zur Kellinghusenstraße wird immer ein Teil von ihm bleiben.

Hamburg-Eppendorf: Gründerzeithaus seit 1973 besetzt

Denn die Mietergruppe aus dem weißen Eckhaus Haynstraße/Hegestraße ist Hamburgs ältestes alternatives Hausprojekt, begründet weit vor der Hafenstraße. Aus einer Lebenseinstellung der Bewohner wurde ein umkämpftes Wohnprojekt, aus dem Wohnprojekt eine Haltung zum Leben. Am Sonnabend feierten mehrere Hundert Bewohner, Vorgänger, Familien und Freunde 50 Jahre Haynstraße 1. Mal wieder prangte ein langes Transparent über dem Eingang. Die Parole lautet diesmal: Feiern!

Im Jahr 1973 sollte das Gebäude von 1912 einem Neubau weichen. Die erste Hausversammlung versammelte die Mieter, die sich am Ende erfolgreich gegen die Abrissbirne wehrten. Heute erinnern zwei Stolpersteine vor dem Eingang an die Jüdinnen Paula Sternberg und Elsa Schickler. Sie wurden von den Nazis deportiert und ermordet. 30 Jahre danach konnten ihre Nachnachmieter in der Haynstraße eine List nutzen, um dort wohnen zu bleiben.

3,25 Euro Nettokaltmiete an der Haynstraße: Mietvertrag gilt noch heute

Das Wohnprojekt Haynstraße 1 in Hamburg-Ependorf: Bernd Vetter ist Mieter der ersten Stunde.
Das Wohnprojekt Haynstraße 1 in Hamburg-Ependorf: Bernd Vetter ist Mieter der ersten Stunde. © FUNKE FOTO SERVICES | Thorsten Ahlf

Die Gruppe schloss einen Mietvertrag für das gesamte Haus und bestimmt nach wie vor selbst über Nachmieter. Einige der Wohnungen gehören Eigentümern, die selbst aus der Gruppe der Mietergemeinschaft stammen. „Hamburgs legendärster Mietvertrag“, überschrieb das Abendblatt einen Text, in dem es mal wieder um den Versuch ging, dem Wohnkollektiv zu kündigen.

Bewohner Bernd Vetter (74) erzählt im Gespräch mit dem Abendblatt, dass heute drei Generationen unter dem Dach leben, rund 50 Ältere, Jüngere, Mädchen, Jungs. Kinder früherer Bewohner hätten sich zusammengetan, um die Hausgemeinschaft zu unterstützen. „Wenn wir mal abtreten, wollen sie das weiterführen.“ Der Mietvertrag von 1975 gilt noch heute. Eine ortsübliche Miete wurde ausgeschlossen. Der Quadratmeter Nettokaltmiete kostet 3,25 Euro. Geheizt wird mit Fernwärme. „Schon lange“, sagt Vetter.

Wohnprojekt Haynstraße 1: Denkmalverein lobt „vorbildhafte Sanierung“

Inzwischen steht das Haus unter Denkmalschutz. Die Hausversammlung ist nach wie vor das „oberste Organ“ der Selbstverwaltung. Der Denkmalverein führt das Haus und Projekt insgesamt unter seiner Rubrik „Gerettet“. „Die Bewohner bewiesen durch ihr Engagement gegen den Abriss, wie erfolgreich Bürgerbeteiligung für die historische Baukultur sein kann. Über professionelle Lobbyarbeit, juristischen Sachverstand und ein bewundernswertes Durchhaltevermögen konnten sie ein beeindruckendes Baudenkmal nicht nur retten, sondern über die Jahrzehnte auch vorbildhaft denkmalgerecht sanieren.“

Jan Delay: Sein Onkel lebt heute noch an der Haynstraße

Räumungsklagen habe es viele gegeben, sagt Bernd Vetter, der selbst Anwalt ist. Alle gescheitert. Theoretisch könnten es dem Projekt feindlich gesonnene Eigentümer noch immer versuchen. Sie würden auf Widerstand treffen. Den alten und den neuen. Jan Delays Onkel wohnt noch immer an der Haynstraße 1.

Bernd Vetter lebt seit 1972 an der prominenten Adresse. In den 1970er-Jahren war er Jura-Student. Heute sagt er nüchtern, aber mit einem kaum hörbaren hanseatischen Unterton von großbürgerlichem Stolz: „Wir sind das älteste noch kämpfende Wohnprojekt in Hamburg.“

In der Reihe „hamburger bauhefte“ aus dem Schaff Verlag erscheint demnächst als Band 41 ein Heft mit dem Titel „Der Haynpalast – die bewegte Geschichte eines berühmten Etagenhauses“.