Haynstraße: Eigentümer versuchen das 30 Jahre bestehende Wohnkollektiv zu sprengen. Eppendorfer Hausgemeinschaft wehrt sich regelmäßig gegen Kündigungsversuche. Jetzt verhandelt das Oberlandesgericht.
Ein großes Spruchband ist quer über die Balkone im dritten Stock gespannt, es wirkt verwittert, die gelbe Farbe blättert bereits an einigen Stellen ab. "Die 10. Kündigung - der Tanz geht weiter", steht darauf. Ein gewohnter Anblick an dem mächtigen Gebäude Haynstraße/Ecke Hegestraße in Eppendorf. Daß dort Spruchbänder hängen dürfen, ist Bestandteil eines schon legendären Mietvertrags, den die Mietergemeinschaft 1975 ausgehandelt hatte. Seit dieser Zeit stehen die rund 50 Bewohner und wechselnden Eigentümer immer wieder vor Gericht. Heute nun wird vor dem Oberlandesgericht Hamburg ein weiteres Mal über das Schicksal einer Hausgemeinschaft verhandelt, die mittlerweile als ältestes und streitbarstes Wohnkollektiv Deutschlands gilt.
Gut 15 der Menschen, die hier wohnen, sind in den 70er Jahren bereits als Studenten eingezogen. Nahezu die Hälfte lebt seit den frühen 80er Jahren dort. Vollversammlungen, Konzeptgruppen, wechselnde Verantwortlichkeiten - solche Relikte aus linken Selbstverwaltungsträumen gibt es dort noch immer. "Wir leben auch heute nach den Regeln, die wir uns 1975 gegeben haben", sagt Reinhard Barth (62). Der promovierte Historiker schreibt Sachbücher, wohnt im Erdgeschoß, des 1912 errichteten Gebäudes. Holzparkett, hohe Fenster und wuchtige Schiebetüren erinnern an den großbürgerlichen Ursprung des Hauses. Als Barth 1970 hier einzog, war Pappe vor die Schiebetür genagelt, und die Wohnung teilten sich vier Studenten. "Ob wir die besseren Bürger sind, weiß ich nicht", sagt Barth. Aber das Leben mit "gleichgesinnten Menschen" biete einfach eine hohe Lebensqualität.
Gemeinschaftssinn, jeden im Haus kennen, gemeinsame Feiern, sich abwechseln beim Aufpassen auf die Kinder - das seien alles Dinge, die auch Christine (58) und Herbert Schulz (59) an das Haus und seine besondere Geschichte binden, sagen sie. 1974 sind sie als Studentenpaar hier in eine WG gezogen, hier haben sie ihre Tochter großgezogen. Und hier wollen sie bleiben - auch wenn sich das Viertel rundherum verändert habe. Die Autos sind größer geworden, die Läden schicker. "Ich gehe daher gern mal ins Schanzenviertel, da ist es eher so, wie es hier früher war", sagt Christine Schulz.
Der Gemeinsinn seiner Bewohner ist aber zugleich auch der juristische Knackpunkt in dem mehr als 30jährigen Streit. In dem Mietvertrag von 1975 ist nämlich festgeschrieben, daß die Bewohner zusammen einen Mietvertrag für das gesamte Haus abgeschlossen haben, sie können selbst über Nachfolgemieter bestimmen. Inzwischen sind die Wohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt, einige Bewohner haben selbst gekauft. Doch fünf "Fremd-eigentümer" haben Eigenbedarf angemeldet, andere wollen nur mit einem Mieter verhandeln, sagt deren Anwältin. Heute gehe es nun darum, ob die Mietergemeinschaft in Wahrheit eher Zwischenvermieter ist, dann gelten andere Kündigungsregeln. Doch Bernd Vetter (57), Anwalt der Mietergemeinschaft, ist zuversichtlich. Immerhin kennt er den Streit schon lange. Seit 1972 wohnt er selbst in dem Haus: Als Jura-Student hatte er seinerzeit den Mietvertrag ausgehandelt.