Hamburg. Die Fallzahlen sind explodiert, die Ermittler reagieren: Im Norden waren 650 Beamte im Einsatz. Warum niemand verhaftet wurde.

Wie viele unschuldige Leben der sexuelle Missbrauch von Kindern schon vernichtet hat – wer vermag das schon zu sagen? Jede einzelne Straftat in diesem Sumpf der Verkommenheit, die von der Polizei aufgedeckt werden kann, hilft aber, einen Triebtäter zu überführen, ihn aus dem Verkehr zu ziehen, ihm die Instrumente des Missbrauchs zu nehmen.

Gemeint sind die elektronischen Möglichkeiten, weiterhin Kinderpornos zu erwerben und zu konsumieren. Schließlich stecken hinter jedem dieser fürchterlichen Filme reale Missbrauchstaten.

Schlag gegen Kinderpornos: Polizei Hamburg durchsucht 40 Wohnungen

Um den Tätern auf die Schliche zu kommen, hat sich die Norddeutsche Allianz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt an Kindern gegründet. Ihr gehören im sogenannten Nordverbund der Polizeien neben Hamburg die Bundesländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern an. Dem ersten Aktionstag am gestrigen Mittwoch (14. Juni) angeschlossen hatten sich zudem Brandenburg und Berlin. 650 Beamte waren im Einsatz.

Das stand im Vordergrund der Aktion: viele Durchsuchungsbeschlüsse vollstrecken, um den Blick der Öffentlichkeit auf das Thema zu lenken und um deutlich zu machen, dass die Polizei die Bekämpfung sexualisierter Gewalt an Kindern offensiv angeht. Mehrere Hundert Razzien gab es bis zum Mittag in den beteiligten Bundesländern. Allein in Hamburg waren es nach Angaben der Polizei rund 40, vollstreckt von mehr als 70 Polizisten. Sie wurden unterstützt von Bundespolizisten und zwei Staatsanwälten. Der jüngste Tatverdächtige sei 14, der älteste 82 Jahre alt.

Hamburger LKA-Chef sagt Kinderpornografie den Kampf an

Es seien unter anderem Datenträger und Smartphones sichergestellt worden. Einzelne Bezirke ließen sich nicht hervorheben, „das ging einmal quer durch die Stadt“, sagt Polizeisprecher Florian Abbenseth. Haftbefehle seien nicht vollstreckt worden. Zunächst einmal müssten die gesicherten Beweismittel ausgewertet werden. Alle Hamburger Verdächtigen seien außerdem mit festem Wohnsitz gemeldet.

Hamburgs LKA-Chef Jan Hieber verspricht: „Wir lassen nicht locker.“
Hamburgs LKA-Chef Jan Hieber verspricht: „Wir lassen nicht locker.“ © picture alliance / Malte Christians | dpa

Dass Hamburg weiter entschlossen gegen die Täter vorgeht, daran lässt LKA-Chef Jan Hieber keinen Zweifel: „Mit dem jetzigen Schulterschluss mehrerer Bundesländer und einer Vielzahl von Durchsuchungen am gemeinsamen Aktionstag setzen wir ein ganz klares Zeichen an die Täter dieser verwerflichen Straftaten, die sexuellem Missbrauch und Gewalt an Kindern und Minderjährigen Vorschub leisten: Wir lassen nicht locker, das vermeintlich anonyme Internet bietet keinen Schutz vor der Strafverfolgung“, so Hieber.

Kinderpornografie: Fallzahlen in Hamburg dramatisch gestiegen

Handlungsbedarf ergibt sich schon aus dem steilen Anstieg der Fallzahlen im Zusammenhang mit „Herstellung, Besitz oder Verbreitung von kinderpornografischem Material“. Wie aus der Hamburger Polizeistatistik hervorgeht und das Abendblatt vor wenigen Tagen berichtete, hat die Zahl der Fälle im Vorjahr einen neuen Höchststand erreicht. Wurden im Jahr 2018 noch 107 von der Polizei registriert, so waren es im Jahr 2022 bereits 1014.

Allerdings geht das LKA nicht davon aus, dass eine neue Welle der Kinderpornografie auf Hamburg zurollt, sondern dass die Polizei, unterstützt von einer gemeinnützigen US-Organisation, mehr Tätern auf die Spur kommt. Die Hinweise aus den USA lösen zurzeit die meisten polizeilichen Ermittlungen in Deutschland aus. Insgesamt gab es hier im Vorjahr bundesweit 135.000 Verfahren – 75 Prozent mehr als 2021. Die Aufklärungsquote in diesem Deliktsbereich sei seit Jahren auf „hohem Niveau“, sagt Abbenseth.

Unabsichtlich Videos verschickt – Verdächtige häufig selbst minderjährig

Allerdings handelt es sich bei den Tätern selbst nicht selten um Minderjährige. „Seit Jahren beobachten wir steigende Fallzahlen, weil Kinder und Jugendliche Bilder, teils selber hergestellte, oft unbedacht verschicken und gar nicht wissen, dass sie damit ein Verbrechen begehen“, so Hieber weiter. Mit der konzertierten Polizeiaktion wolle man auch auf diese Entwicklung aufmerksam machen.

Abbenseth: „Bürgerinnen und Bürgern, die kinderpornografische Inhalte im Internet oder auf den sozialen Netzwerken entdecken, raten die Landeskriminalämter, die Adresse dieser Seite unmittelbar der für den Wohnsitz zuständigen Polizeidienststelle mitzuteilen.“