Hamburg. Der CDU-Spitzenkandidat muss den Spagat zwischen moderner Großstadtpolitik und den Erwartungen konservativer Stammwähler hinbekommen.

Die Christdemokratinnen und Christdemokraten wirkten wie berauscht. Nach der kämpferischen Nominierungsrede des designierten Landesvorsitzenden Dennis Thering sprangen die knapp 200 Delegierten von ihren Sitzen auf und applaudierten ihm minutenlang.

Es fehlten beim Landesparteitag am Montagabend in der Handwerkskammer am Gorch-Fock-Wall nur noch „Dennis, Dennis“-Sprechchöre kurz vor dem Übergang in rhythmisches Klatschen. „Ja, haben wir denn schon gewählt?“, raunte der Ex-Bürgerschaftsabgeordnete Jörg Hamann Sitzungsleiter Philip Buse zu. Nein, hatten sie natürlich nicht.

Dennis Thering: Die Wahl war nur eine Formsache

Aber die Wahl des 39-jährigen Hummelsbüttelers Thering zum 17. Landesvorsitzenden der Elb-CDU war nur eine Formsache. Das Votum fiel mit 185 von 197 Stimmen – knapp 94 Prozent – eindeutig aus, gab die Stimmung im Saal wieder und löste gleich einen neuen Beifallssturm aus. Eine Aussprache zu dieser wichtigen personalpolitischen Richtungsentscheidung gab es nicht.

Nun sind Landesparteitage der hiesigen Christdemokraten – von wenigen Ausnahmen abgesehen – ohnehin keine von Debattenfreude oder gar Streitlust gekennzeichneten Konvente, sondern haben häufig eher Akklamationscharakter.

CDU Hamburg: Dennis Thering und Christoph Ploß zelebrierten politische Freundschaft

Allerdings muss auch konstatiert werden, dass die Stimmung auf den unterschiedlichen Ebenen der leidgeprüften Partei tatsächlich lange nicht so gut war wie jetzt. Thering und der Bundestagsabgeordnete und scheidende Landesvorsitzende Christoph Ploß – beide zelebrierten ihre politische Freundschaft geradezu und Ploß wurde ebenfalls mit donnerndem Applaus verabschiedet – haben den Mitgliedern der nach der Bürgerschaftswahl 2020 am Boden liegenden Partei wieder Mut eingehaucht und für Aufbruchsstimmung gesorgt.

Beide zitieren immer wieder die Umfrage vom September des vergangenen Jahres, die der CDU 20 Prozent attestierte – nach dem historischen Tiefststand von 11,2 Prozent bei der Wahl.

Den wenigsten CDU-Mitgliedern dürfte klar gewesen sein, dass die Wahl Therings eine wahrlich historische Dimension in der 78-jährigen Geschichte des Landesverbands darstellt: Zum ersten Mal vereinigt ein Christdemokrat die drei wichtigsten Ämter auf sich, die die Partei zu vergeben hat: Thering ist seit dem Wahldebakel 2020 Fraktionsvorsitzender der CDU in der Bürgerschaft, nun auch Landesvorsitzender, und er hat im Abendblatt-Interview Ende Februar zudem erklärt, als Spitzenkandidat seiner Partei in die Bürgerschaftswahl 2025 gehen zu wollen. Und niemand zweifelt daran, dass Thering auf Listenplatz eins der CDU gewählt werden wird.

Zum ersten Mal hat ein CDU-Politiker die drei wichtigsten Ämter auf sich vereint

Stets hat die Partei, die seit 1946 bis auf 14 Jahre immer in der Opposition im Rathaus war, die interne Macht geteilt. Der damalige Fraktionschef Dietrich Wersich war 2015 Spitzenkandidat bei der Bürgerschaftswahl, aber er war nicht Parteichef. Und 2011 war Therings politischer Ziehvater Frank Schira in Personalunion Partei- und Fraktionschef, aber den Bürgerschaftswahlkampf vergeigte als Spitzenkandidat Kurzzeit-Bürgermeister Christoph Ahlhaus.

Und selbst Ole von Beust, der für viele Christdemokraten nach wie vor bessere, weil erfolgreichere Zeiten verkörpert, fuhr als Erster Bürgermeister die absolute Mehrheit 2004 ein, obwohl er nie Parteichef war. Als er Ende der 1990er-Jahre als Fraktionsvorsitzender und Spitzenkandidat die Machtfrage stellte, prallte er an dem langjährigen Landesvorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Dirk Fischer ab.

Der politische Ziehvater von Christoph Ploß wollte seinen Posten schlicht nicht räumen. Letztlich gab von Beust nach und beendete den offen ausgetragenen Machtkampf, indem er auf das Parteiamt verzichtete. Heute sagt der Ex-Bürgermeister gern, dass er froh sei, das bisweilen auch nervige Amt nicht übernommen zu haben.

Dass Ploß in die zweite Reihe rückte, ist strategisch ein kluger Schachzug

Nicht einmal der in den 1970er- und 1980er-Jahren ebenso prägende wie umstrittene Christdemokrat Jürgen Echternach hatte jemals zeitgleich alle drei Ämter inne. Nie zuvor hat also ein Hamburger CDU-Politiker so viel Macht auf sich vereint wie jetzt Thering. Zwar betonte der langjährige passionierte Fußballspieler auf dem Parteitag: „Ich war immer und bleibe Mannschaftssportler.“ Dennoch muss Thering jetzt den Kurs der Partei vor allem für die Bürgerschaftswahl vorgeben. Und die Erwartungen an ihn sind groß.

Dabei ist es auf den ersten Blick strategisch ein kluger Schachzug, dass Ploß, der sein Feld ohnehin in der Bundespolitik sieht, in die zweite Reihe rückt. Er hat als Landesvorsitzender mit seinem konservativen Profil und seiner auch bundesweiten medialen Präsenz viel zur wieder gestiegenen Wahrnehmbarkeit der CDU beigetragen und nicht zuletzt die Stammwählerschaft mobilisiert. Aber in Hamburg mit einer aktuell sogar rot-grünen Zwei-Drittel-Mehrheit kommen kantige Konservative nicht weit.

Die Grünen reagierten überraschend positiv auf die Wahl Therings

Der Erfolg des forsch auftretenden und zugespitzt formulierenden CDU-Spitzenkandidaten Kai Wegner bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl dürfte nicht auf Hamburg übertragbar sein. Es kommt hinzu, dass selbst die Grünen und erst recht die Hamburger SPD Parteien der Mitte sind, im Grunde bürgerlich, was die Abgrenzung für die CDU zusätzlich erschwert.

Thering kommt verbindlicher daher als Ploß, der mit seiner früh begonnenen Anti-Gender-Kampagne das liberale städtische Publikum eher abschreckt. Dabei arbeitet sich auch Thering Tag für Tag an der SPD, vor allem an Bürgermeister Peter Tschentscher, und den Grünen ab, ist in seiner Kritik wahrlich nicht zimperlich und etikettiert deren Regierungsleistung schon mal flott pauschal als „rot-grünen Murks“. Und doch lässt die Reaktion der grünen Bürgerschaftsfraktionschefin Jennifer Jasberg auf die Ankündigung von Therings Kandidatur für den Landesvorsitz aufhorchen.

„Ein guter Tag für die CDU Hamburg, die so vielleicht die Chance hat, sich wieder als demokratische Großstadtpartei zu etablieren und Themen jenseits von Gendern & populistischem Geschrei zu bewegen“, twitterte Jasberg. Nur ist diese Äußerung eben auch Politik: Zu leicht wollen es die Grünen dem Koalitionspartner SPD auch nicht machen.

Ole von Beust war der Prototyp des liberalen CDU-Großstadtpolitikers

Aber: Der neue Landesvorsitzende und designierte Spitzenkandidat muss sich sein Profil erst noch erarbeiten. Dabei wird er in einer Frage Position beziehen müssen, die die CDU schon lange begleitet: Wie konservativ darf und muss sie sein, um einen wichtigen Teil ihrer Stammwählerschaft zu mobilisieren?

Und in welchen Maße kann und will sie liberale Großstadtpartei sein, um Wählerinnen und Wähler von SPD und vielleicht sogar den Grünen zu sich zu ziehen? Und um nach der Wahl mit SPD oder Grünen überhaupt ins Gespräch zu kommen. Denn auf eine von beiden Parteien wird die CDU angewiesen sein, wenn sie wieder in den Senat will. Thering sieht sich selbst als liberal etwa in der Sozialpolitik und als pragmatisch-konservativ. Aber das heißt noch nicht viel.

Ole von Beust war der Prototyp des liberalen CDU-Großstadtpolitikers. Selbst das Bündnis mit dem Rechtspopulisten Ronald Schill konnte seinem Image letztlich nichts anhaben. Und von Beust schmiedete 2008 die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene und machte die Union damit anschlussfähig nach links. Das Bündnis scheiterte krachend, aber die CDU hat sonst auch schlechte Erfahrungen mit zu liberalen, ja zu grünen Positionen gemacht.

Ein Wahlkampf mit grünen Themen hat sich für die CDU nicht ausgezahlt

Vor drei Jahren machte die CDU mit dem Spitzenkandidaten Marcus Weinberg etwa im Verkehrsbereich Wahlkampf mit grünen Themen und Positionen. Geholfen hat das nicht – im Gegenteil. Die Wähler des grünen Spektrums wählten dann doch lieber das Original.

Auch Weinbergs Vorgänger Dietrich Wersich, Spitzenkandidat 2015, war und ist ein Vertreter der liberalen Großstadtpartei CDU. Gegen Olaf Scholz hatte er klar das Nachsehen, wenn auch – wie bei Weinberg – die Gründe für den Misserfolg vielfältig sind.

„CDU pur“ – das versprechen alle Unions-Spitzenkandidaten, um der leidigen Diskussion aus dem Weg zu gehen, auch Thering hat das in seiner Nominierungsrede getan. Aber „CDU pur“ mit dem programmatischen Markenkern in den Bereichen Wirtschaft, Sicherheit und Ordnung und Autoverkehr – das bedeutet in Hamburg ein Wahlergebnis von rund 20 Prozent. „Deswegen will ich nicht CDU pur, sondern CDU plus!“ Das sagte nicht Thering, sondern Marcus Weinberg schon 2012 als damaliger Landesvorsitzender nach dem Sturz in die Opposition.

CDU Hamburg: Parteifreund prophezeit einen „Tanz auf der Rasierklinge“ für Thering

Thering wird die schwierige Balance fein austarieren müssen. Eine zu liberale Ausrichtung ist problematisch, aber eine zu konservative mit ziemlicher Sicherheit auch. Wie Thering das Dilemma lösen wird, ist „eine sehr spannende Frage“, sagt ein führender Christdemokrat und fügt hinzu: „Das wird ein Tanz auf der Rasierklinge.“

Übrigens: Wer glaubt, dass Christoph Ploß, der am Montag nicht einmal als Parteivize oder Beisitzer kandidiert hat, nun aus dem Machtzentrum der CDU verschwunden ist, der irrt. Als die Delegierten des Parteitages vom vielen Beifallklatschen vielleicht schon etwas erschöpft waren, beschlossen sie einstimmig eine Satzungsänderung.

Der Vorsitzende der (dreiköpfigen) Hamburger CDU-Parlamentariergruppe im Bundestag – es ist Ploß – gehört künftig qua Amt dem Landesvorstand an. Ploß wird also bei allen Strategiedebatten dabei sein und neben Thering aktiv daran teilnehmen können – in aller Freundschaft.