Hamburg. Die Anlage wird für einen dreistelligen Millionenbetrag teilweise abgerissen. Standort soll Zentrum der Wasserstoffwirtschaft werden.

Die ebenso turbulente wie kurze Geschichte des Kohlekraftwerks Moorburg ist um eine Variante reicher. Die städtischen Hamburger Energiewerke (HEnW) haben das stillgelegte Kraftwerk mit dem Grundstück an der Süderelbe vom schwedischen Energiekonzern Vattenfall gekauft. Zum 1. März übernahmen die HEnW die Anlage an der Moorburger Schanze und auch die bisher dort beschäftigten 94 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Über den Kaufpreis haben beide Seiten Stillschweigen vereinbart.

In Moorburg soll nach dem Willen des rot-grünen Senats ein 100-Megawatt-Wasserstoff-Elektrolyseur entstehen. Umwelt - und Energiesenator Jens Kerstan (Grüne) bemühte sich, der Bedeutung der Entscheidung eine historische Dimension zu verleihen. Eine Anlage dieser sehr neuen und noch in der Entwicklung befindlichen Technologie in dieser Größenordnung sei ein „Quantensprung“ und „einer der großen Hebel zur Dekarbonisierung“, also dem Verzicht auf fossile Brennstoffe.

„Es ist ein großer Schritt, den Hamburg jetzt geht, um sich für die energetische Zukunft der Hamburger Industrie aufzustellen. Moorburg ist ein wichtiger Baustein, um Hamburg zu einem der führenden Wasserstoffstandorte in Deutschland und in Europa aufzubauen und zu etablieren“, sagte Kerstan bei einem Besuch der Energie Hub Moorburg GmbH, wie das Unternehmen jetzt heißt. Ausdrücklich betonte der Umweltsenator, dass bei der Anlage in Moorburg ausschließlich grüner Wasserstoff zum Einsatz kommen solle, der aus erneuerbaren Energien gewonnen werde.

Zwei Milliarden werden in den Standort Moorburg investiert

Insgesamt sollen auf dem Areal an der Süderelbe zwei Milliarden Euro investiert werden. Rund 220 Millionen Euro will die Stadt beisteuern, und gut 500 Millionen Euro sollen vom Bund und der EU kommen. Den größten Anteil soll die Wirtschaft finanzieren. „Ein Unternehmenskonsortium, an dem auch die HEnW beteiligt sind, ist mit den Planungen für die 100-Megawatt-Elektrolyse bereits weit fortgeschritten“, sagte Kerstan, für den Moorburg „wegen seiner Lage und Anbindung an Leitungen und Transportwege ein idealer Standort für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft ist“. Allein für den Bau der Elektrolyse-Anlage wird mit Investitionen in Höhe von 260 Millionen Euro kalkuliert.

Der Energiekonzern Shell hatte sich jedoch vor Kurzem aus dem Projekt zurückgezogen und will seine Anteile verkaufen, und auch Vattenfall will nicht in die Wasserstoffwirtschaft investieren. Kerstan machte aber deutlich, dass es eine Reihe von Interessenten aus der Industrie gebe, die bei dem Projekt einsteigen wollen.

Christian Heine (HEnW, l.) und Umweltsenator Jens Kerstan
Christian Heine (HEnW, l.) und Umweltsenator Jens Kerstan © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Der Umweltsenator betonte, dass es die Stadt als neue Eigentümerin in der Hand habe, dass der Rückbau der bestehenden Anlagen und die Errichtung der neuen „in dem nötigen Tempo“ erfolgen können. „Wir sind froh, dass wir jetzt loslegen können“, sagte der Grünen-Politiker. Anders als von Vattenfall ursprünglich vorgesehen, wird das Kohlekraftwerk nicht komplett abgerissen, sondern Teile der Anlage wie die Wasseraufbereitung sollen weiterhin genutzt werden.

Moorburg-Weiternutzung hat auch finanziellen Vorteil

Noch sind die Aufträge nicht vergeben, aber voraussichtlich von August an soll mit dem Abriss der ersten Gebäude – dem Gipskreislager sowie den Aschesilos – begonnen werden. Auf dieser Teilfläche soll vom zweiten Quartal 2024 an mit dem Bau des Elektrolyseurs begonnen werden, der bis Ende 2027 fertiggestellt werden soll. Allerdings ist derzeit ebenfalls noch nicht entschieden, welches Unternehmen die anspruchsvolle Anlage errichten soll.

Nach den Worten von Christian Heine, dem Sprecher der HEnW-Geschäftsführung, sehen die Planungen vor, möglichst viel vorhandene Bausubstanz für die künftige Nutzung zu erhalten und gegebenenfalls umzubauen. Das gilt in jedem Fall für die beiden großen Kohlekreislager, in denen künftig Biomasse – Holzpellets aus Alt- und Restholz, wie Kerstan betonte – für das ebenfalls von HEnW betriebene Kraftwerk Tiefstack zwischengelagert werden soll. Möglicherweise können auch die beiden Kraftwerksblöcke zum Teil erhalten werden.

Die teilweise Weiternutzung vorhandener Anlagen und Gebäude hat nicht nur einen ökologischen, sondern auch einen finanziellen Vorteil. Vattenfall war gesetzlich verpflichtet, Rücklagen für den Rückbau der kompletten Anlagen zu bilden. Diese Rücklagen hat die HEnW mit übernommen, sodass insgesamt ein negativer Kaufpreis entstehen könnte. Nach Abendblatt-Informationen schlägt der Rückbau im bisher vorgesehen Umfang mit einem dreistelligen Millionen-Euro-Betrag zu Buche.

Elektrolyseur-Anlage soll ausgebaut werden

Kerstan und Heine wiesen darauf hin, dass geplant sei, die Kapazität der Elektrolyseur-Anlage auf eine Leistung von 800 Megawatt auszuweiten. Das würde dazu führen, dass Moorburg in etwa den Strombedarf der energieintensiven Industriebetriebe im Hafengebiet decken könnte.

„Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft ist von überragender volkswirtschaftlicher Bedeutung, und der Kauf der Flächen in Moorburg ist ein richtiger Schritt. Aber viele Fragen bleiben: Wie teuer ist der Kauf? Und vor allem: Wie geht es weiter?“, sagte Professor Götz Wiese, wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion. Unterstützung kam auch von Linken-Umweltpolitiker Stephan Jersch, der forderte, dass der Aufbau der Wasserstoffwirtschaft „als öffentliche Daseinsvorsorge in öffentlicher Hand bleiben“ müsse.

Das drei Milliarden Euro teure hochmoderne Steinkohlekraftwerk Moorburg war 2015 ans Netz gegangen und im Rahmen des deutschen Kohleausstiegs nach sechs Betriebsjahren stillgelegt worden.