Buenos Aires. Nach dem Besuch im Präsidentenpalast in Buenos Aires ging es für Hamburgs Bürgermeister ins Barrio 31 an der Peripherie.

Das war ein Kontrastprogramm für Bürgermeister Peter Tschentscher und die politische Delegation, die ihn auf seiner einwöchigen Lateinamerikareise begleitet: Nach dem Besuch im politischen Machtzentrum Argentiniens, dem Präsidentenpalast im Zentrum von Buenos Aires, ging es mit Bussen im dichten Straßenverkehr der Metropole zu einem spektakulären Stadtentwicklungsprojekt an der Peripherie: dem Barrio 31.

Tschentscher besucht Barrio 31 in Buenos Aires

Unter einer der zahlreichen Stadtautobahnen hatten sich über viele Jahre Menschen zu Tausenden angesiedelt, indem sie Häuser illegal Häuser bauten. Die Ursprünge reichen sogar bis in die 30er Jahre zurück. Seit 2015 läuft ein von der Stadt initiiertes Umsiedlungsprogramm, und heute leben 45.000 Menschen in 12.000 Familien in neu errichteten, nur farblich unterschiedenen Wohnblocks rund 100 Meter von der Stadtautobahn entfernt.

Entstanden ist die Siedlung auf dem ehemaligen Gelände der argentinischen staatlichen Erdölgesellschaft. An den Ecken der langgestreckten, sehr funktional wirkenden Häuser gibt es kleine Geschäfte. Auf den Freiflächen sind Kinderspiel- und Sportplätze angelegt, kleine Flächen sind mit Bäumen und anderen Gewächsen bepflanzt.

Tschentscher im spektakulären Stadtentwicklungsprojekt in Buenos Aires

"Wir sind auf der letzten Meile bei der Herstellung der nötigen Infrastruktur: Alle Wohnungen haben bereits Strom, fließendes Wasser und einen Abwasseranschluss", sagt Tomas Golmarini, Projektleiter des Barrio 31 bei einem Rundgang durch das Viertel. Eine Grundschule ist gebaut, eine weiterführende Schule in Planung. Allerdings besuchen die Kinder und Jugendlichen des Barrio 31 auch Schulen in benachbarten Stadtteilen.

Als politisches Bekenntnis der Stadt Buenos Aires kann gewertet werden, dass ausgerechnet hier das Erziehungsministerium – entspricht der Hamburger Schulbehörde – in einem Neubau seit kurzem sein Sitz hat.

Polizeibeamte sichern die Delegation

Golmarini spricht von einem "lernenden Prozess" bei der Entwicklung des neuen Stadtteils, der die Bewohnerinnen und Bewohner ausdrücklich einbezieht. In sogenannten "asembleas" (Versammlungen) wird basisdemokratisch über weitere Schritte diskutiert. Bemerkenswert ist die Zusammensetzung der Bevölkerung: Nur die Hälfte der Bewohner sind Argentinier, die andere Hälfte ist aus Bolivien, Peru und Paraguay zugewandert. Und die Menschen des Barrio 31 sind jung: 73 Prozent sind jünger als 45 Jahre. Nur ein Viertel der Einwohner hat eine Krankenversicherung. Jeder Zweite hat nur ein informelles Einkommen, zahlt also keine Steuern.

Während des Rundgangs sichern Polizeibeamte die Delegation. Ist Kriminalität im Barrio ein Problem? "Je schlechter es dem Land wirtschaftlich geht, desto mehr steigt die Kriminalität an", sagt Golmarini. Argentinien steckt – wieder einmal – in einer schweren Wirtschaftskrise. "Wir haben nicht die Lösung für alle Probleme", sagt Golmarini und doch merkt man ihm und seinem ebenfalls jungen Team den Stolz über das Erreichte durchaus an. Wer sich aus dem Barrio auf einen Arbeitsplatz bewirbt, hat es bei der Adresse unter Umständen nicht einfach. Deswegen hat das Viertel Straßennamen und die entsprechenden Schilder, wie es sie in der übrigen Stadt auch gibt, erhalten.

In Argentinien wird genau unterschieden zwischen illegalen und informellen Siedlungen

In Argentinien wird genau unterschieden zwischen illegalen und informellen Siedlungen. Die illegalen Bauten direkt unter der Stadtautobahn sind inzwischen abgerissen – hier spielen heute Kinder unter dem Lärm der darüber hinwegfahrenden Autos. Wenige Meter neben den Fundamenten der Verkehrsader sind weitere Häuser ohne Erlaubnis gebaut worden, die als informelle Siedlungen gelten. Auch diese engen und verwinkelten, meist zwei- oder dreistöckigen Häuser sind Teil des Projekts. Hier geht es neben Sanierung oder im Einzelfall Abriss und Neubau ebenfalls um die Herstellung der nötigen Infrastruktur wie Strom, Wasser und Kanalisation. Vieles läuft in Eigenregie der Bewohner, erzählt Golmarini. Auch dieser Teil des Projekts wird mit den Bewohnern gemeinsam entwickelt.

Überall sind Bauaktivitäten zu beobachten, es wird gehämmert, gesägt oder gespachtelt. Auf Ladeflächen, die an Motorräder geschweißt sind, werden Baumaterialien und andere Lasten transportiert. Ein heikles Thema der informellen Siedlungen ist die Eigentumsfrage. Die Bewohner haben ihre Häuser auf Grundstücken gebaut, die ihnen nicht gehören. Ziel ist es, den Menschen zu formellen Eigentümern der Häuser zu machen, umso auch das Verantwortungsgefühl zu stärken.

Prof. Gesa Ziemer von der HafenCity Universität, die zur mitgereisten Delegation gehört, leitet das Technologie- und Innovationslabor UNITAC. “Wir bieten eine offene Datenplattform für informelle Siedlungen und können so zum Erfahrungsaustausch beitragen”, sagt Ziemer. “Wir haben einen Forschungsantrag bei der Deutschen Forschungsgesellschaft gestellt, um auch das Barrio 31 einbeziehen”, sagt die Wissenschaftlerin. “Ich finde es sehr gut, was hier passiert. Die Menschen sind sehr engagiert. Der Erfolg eines solchen Projektes ist weltweit einmalig”, sagt Ziemer.