Hamburg. ... und umgekehrt. Beide Parteien haben sich in Hamburg seit 2010 extrem gegensätzlich entwickelt – beobachten einander aber genau.

Krasser könnten die Gegensätze im Norden kaum sein. In Schleswig-Holstein haben CDU und Grüne in dieser Woche eine neue Landesregierung geschmiedet – zwei große Wahlsieger, die sich glücklich in den Armen lagen, sie können künftig sogar ohne die FDP mit Zweidrittelmehrheit regieren.

Auch in Hamburg haben Christdemokraten und Ökopartei von 2008 bis 2010 gemeinsam regiert, die bundesweit erste schwarz-grüne Koalition auf Länderebene hatte damals wegweisenden Charakter. Doch seitdem dieses Bündnis geplatzt ist, haben sich beide Parteien völlig gegensätzlich entwickelt. Für die einen ging es fast nur aufwärts, für die anderen nur abwärts. Wenn sowohl Grüne als auch CDU an diesem Wochenende ihre Landesparteitage abhalten, dann unter Vorzeichen, die unterschiedlicher kaum sein könnten.

Parteitage: Das unterscheidet CDU und Grüne

Wahlen: War die CDU 2008 mit 42,6 Prozent noch mehr als viermal so stark wie ihr grüner Koalitionspartner (9,6), wurde sie bei den folgenden Bürgerschaftswahlen auf ein Viertel davon geschrumpft: 11,2 Prozent waren es 2020 noch. Die Grünen hingegen steigerten sich von Wahl zu Wahl und sind nun mit 24,2 Prozent mehr als doppelt so stark wie ihr einstiger großer Partner. Ähnlich lief es bei den Bezirkswahlen: Gab es in den Nullerjahren noch etliche schwarze Mehrheiten in den Bezirken, sind seit 2019 die Grünen hamburgweit stärkste Kraft. Die CDU dient nur noch hier und da als Mehrheitsbeschaffer. Auch die Bundestagswahl 2021 fiel für die Christdemokraten ernüchternd aus, während die Grünen ihre Stimmen verdoppelten und erstmals vier Abgeordnete stellen (CDU: drei).

Mitglieder: Seit der Regierungszeit von Ole von Beust, als noch 10.000 Hamburger ein CDU-Parteibuch hatten, laufen den Christdemokraten die Mitglieder weg: Ende 2021 fiel die Zahl mit 5889 erstmals unter 6000. Immerhin: Seit der Wahl von Friedrich Merz zum Bundesvorsitzenden gebe es „zahlreiche Neueintritte“, heißt es. Vor denen können sich die Grünen schon seit Jahren kaum retten: 2010 hatten sie rund 1500 Mitglieder, jetzt sind es 4400. Indes: Dieses Wachstum geht fast vollständig auf die vergangenen drei bis vier Jahre zurück, als Klimaschutz dank der Bewegung Fridays for Future viele junge Menschen politisierte.

Personal: Die Hamburger CDU ist traditionell gnadenlos im Umgang mit ihrem Spitzenpersonal. Ob 2011, 2015 oder 2020: Nach jeder Wahlniederlage wurden Partei- und Fraktionsvorsitzende ausgetauscht und, ebenso wie die Spitzenkandidaten, mitunter übel degradiert – auch ein Grund, warum der Job inzwischen recht unbeliebt ist.

Bei Hamburgs Grünen herrscht Kontinuität

Bei den Grünen herrschte dagegen, auch nach für sie enttäuschenden Wahlen wie 2011 und vier Jahren Opposition, Kontinuität auf der Führungsebene: Ob die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank, Verkehrssenator Anjes Tjarks oder Umweltsenator Jens Kerstan – alle waren schon 2008 oder früher in anderen Funktionen dabei. Wechsel gab es immer nur, wenn sie durch Aufstieg notwendig wurden: Als Fegebank in den Senat ging, wurde Anna Gallina Parteichefin, und als diese Justizsenatorin wurde, folgte ihr Maryam Blumenthal. So lief es auch an der Fraktionsspitze.

Inhalte: Während die Grünen ihren Kernthemen und Haltungen – Klima- und Umweltschutz, Verkehrswende, für Vielfalt, gegen Moorburg – immer treu geblieben sind, hat die CDU mehrfach ihren Kurs gewechselt. Wurde zunächst versucht, die von Beust geprägte liberale Großstadtpartei am Leben zu erhalten, wurde später ein deutlich konservativerer Kurs eingeschlagen, um dann 2020 mit Marcus Weinberg doch einen betont liberalen Spitzenkandidaten zu präsentieren. „Die Union ist bei vielen Themen weder Fisch noch Fleisch, man weiß nicht, wofür sie genau steht“, sagt der Hamburger Parteienforscher Prof. Elmar Wiesendahl. Er rät den Christdemokraten, sich erst mal auf ihre (eher konservative) Kernklientel zu konzentrieren, um wenigstens in die Nähe von 20 Prozent zu kommen.

Zukunft: Eines hat die CDU den Grünen voraus: Sie hat das Rathaus schon zweimal erobert, und sie hat es 2004 und 2008 sogar verteidigt – es gibt noch Mitglieder, die sich erinnern, was es dafür braucht. Und sie hat mit dem Parteivorsitzenden Christoph Ploß (36) und Fraktionschef Dennis Thering (38) ein junges Führungsduo, das angetreten ist, die Partei langfristig zu führen. Beide haben sich auch schon mehr oder minder festgelegt, dass Thering die CDU als Spitzenkandidat in die Bürgerschaftswahl führen soll.

Christoph Ploß prägt das Bild eines erzkonservativen CDU-Landesverbands

Das bietet allerdings auch Angriffsfläche. Ploß’ zum Teil sehr konservative Positionen sind in Teilen der Mitgliedschaft heftig umstritten. Dass er sich kürzlich gegen die von Friedrich Merz vorgeschlagene Frauenquote auf Zeit ausgesprochen hat, wurde nicht nur in der Frauen-Union mit Kopfschütteln zur Kenntnis genommen. Der Parteichef, der über sein Bundestagsmandat auch viel bundesweite Aufmerksamkeit bekommt, präge das Bild eines erzkonservativen Landesverbands – dabei sei die Hamburger CDU gar nicht so, ärgern sich viele. Seine Wiederwahl auf dem Parteitag am Wochenende gilt zwar als sicher, aber das Maß an Unterstützung sorgt für etwas Spannung.

Auch Thering ist nicht unumstritten. Zwar gilt der Fraktionschef als engagiert und fleißig, doch ob er der Richtige ist, um die Partei zu besseren Ergebnissen zu führen, stellen manche Mitglieder infrage – ohne es offen auszusprechen. Anders Prof. Wiesendahl: „Der Plan von Fraktionschef Dennis Thering, die Partei in die Wahl zu führen, ist ein Abonnement auf Niederlage“, sagt er und plädiert: „Die CDU sollte bei der Spitzenkandidatur für 2025 auf einen prominenten Seiteneinsteiger setzen, wie einst Walther Leisler Kiep.“

Der profilierte Bundespolitiker hatte die Union in Hamburg 1982 zur stärksten Kraft gemacht hat und wäre beinah Bürgermeister geworden. Wiesendahl rät, in Kreisen der Hamburger Wirtschaft „Anschluss“ zu finden und einen Spitzenkandidaten zu suchen.

Grüne hadern bis heute, warum es 2020 nicht gereicht hat

Doch auch bei den Grünen herrscht nicht nur eitel Sonnenschein. So galt die Wahl 2020 trotz der Stimmenverdoppelung auch als Enttäuschung, weil es nicht gelungen war, das Bürgermeisteramt zu erobern. Seitdem berät die Partei darüber, wie sie sich vor allem im Sozial- und Wirtschaftsbereich breiter aufstellen kann – wozu ihr auch Wiesendahl rät: „Sie müssen aus ihrer Eingrenzung auf gebildete und besser verdienende Wählerkreise heraus. Sie müssen in den industriellen Sektor eindringen und dort Wählerkreise ansprechen, die eher SPD-nah sind.“

Hinzu kommt: Nach Tausenden Neueintritten und pandemiebedingt kaum persönlichem Austausch kann selbst die 2021 gewählte Parteiführung aus Maryam Blumenthal und Leon Alam schwer einschätzen, welchen Rückhalt sie und der Senat bei den Mitgliedern derzeit haben.

Hamburgs Grüne und Christdemokraten beobachten sich gegenseitig sehr genau

Abgestimmt wird darüber am Wochenende zwar nicht, aber der erste Präsenz-Parteitag nach zweieinhalb Jahren dürfte aufschlussreich werden. Offen ist auch noch, ob Katharina Fegebank 2025 ein weiteres Mal die Spitzenkandidatur übernimmt. „Warum denn nicht?“, fragte Blumenthal im Vorfeld – betonte aber auch, dass diese Frage derzeit überhaupt nicht anstehe.

Übrigens beobachten sich Grüne und CDU gegenseitig sehr genau – schließlich ist beiden bewusst, dass man noch einmal aufeinander angewiesen sein könnte, um der SPD das Bürgermeisteramt zu entreißen. Der konservative Ploß-Kurs sei dafür aber nicht gerade geeignet, heißt es aus der Ökopartei.

Umgekehrt gibt der CDU-Chef die Losung aus, sich ja nicht bei den Grünen anzubiedern. Im Zweifel werde das Original gewählt. Aber bis zur Wahl bleiben ja noch zweieinhalb Jahre, um die Positionen anzunähern. Möglicherweise hilft ein Blick nach Schleswig-Holstein.