Hamburg. Parteienforscher Prof. Elmar Wiesendahl hat gleich mehrere Antworten darauf, weshalb es für die Hamburger CDU gerade nicht läuft.
Der Hamburger Politikwissenschaftler Elmar Wiesendahl war als Professor an verschiedenen Hochschulen und später als Geschäftsführer der Agentur für Politische Strategie tätig. Ende 2021 zog er sich daraus zurück, doch die Hamburger und bundesweite Politik beobachtet er weiter intensiv. Das Abendblatt sprach im Vorfeld der Parteitage von CDU und Grünen mit ihm.
Abendblatt: Seit dem Aus von Schwarz-Grün in Hamburg 2010 ist die CDU abgestürzt, während die Grünen von Erfolg zu Erfolg eilen. Was hat die Union an der Elbe falsch gemacht?
Prof. Elmar Wiesendahl: Die CDU in Hamburg leidet unter einer Großstadtschwäche. Die zehn Regierungsjahre unter Ole von Beust waren nur Ausnahmejahre, nach seinem Weggang hat sie einen Absturz erlebt, der jetzt in einer dramatischen Verfallssituation endet.
Woran lag das?
Die Partei hat das Problem, dass sie nicht zur liberalen Großstadt-Wählerschaft in Hamburg passt. Aber sie ist auch strukturell schlecht aufgestellt. Drei Beispiele: Die Partei verfügt nur über ein mittelmäßiges Spitzenpersonal. Die Rekrutierung erfolgt über die Kreisverbände, quasi die Zweite Liga. In den Machtkämpfen setzen sich die Ellbogenstärksten durch und das muss nicht die Erste Liga sein. Anders als früher fehlen der Partei Vertreter des Großbürgertums aus Hamburg. Das war mal ihre Stärke. Zweitens wird die CDU durch den rot-grünen Wettbewerb in Hamburg an den Spielfeldrand gedrückt. Die Grünen sind die Vertreter der Liberalität und der Vielfalt, und die SPD deckt außer dem Bereich Soziales auch die Felder Wirtschaft und Innere Sicherheit ab – das sind eigentlich klassische Themen der CDU, doch selbst dort ist sie nicht Spielführer, sondern nur randständig.
Und die inhaltliche Ausrichtung?
Die ist das dritte Problem. Dass Parteichef Christoph Ploß die konservative Karte spielt, schlägt im liberalen Hamburg eher gegen die Partei aus. Jüngstes Beispiel ist seine Ablehnung des Merz-Vorschlags für eine Frauenquote – diese Haltung ist hier überhaupt nicht mehrheitsfähig, selbst im eher konservativen Lager der Union nicht.
Und die Grünen, was haben die richtig gemacht? Oder hatten sie nur Glück, dass ihnen Fridays for Future in die Hände gespielt hat?
Nein, das war nicht nur Glück. Zwar bietet ihnen die Bewegung eine große Basis, aus der sie Vorteile ziehen. Aber dort entwickeln sich auch Spannungen, weil die Grünen in Regierungsverantwortung Zwängen unterliegen. Das wird kein dauerhaftes Bündnis sein. Der Hauptgrund für den Aufstieg der Grünen in Hamburg liegt darin, dass sie quasi die Leitpartei für den Zeitgeist geworden sind. Sie surfen auf der Zeitgeist-Woge. Sie finden bei gebildeten Wählerkreisen in der Innenstadt und in wohlhabenden Stadtteilen größte Zustimmung, weil man sich als Gesinnungsgemeinschaft begreift – das betrifft diverse Themen wie Ernährung, Gesundheit, Mobilität, Sprache oder die Rolle der Frau. Der Lebensstil der Wählerinnen und Wähler spiegelt sich im Stil der Grünen wider. Selbst wenn ein grünes Senatsmitglied wie die Justizsenatorin Schwächen zeigt, wird das hingenommen – man ist ja eine Community.
Aber die Grünen sind ja nicht auf den Zeitgeist-Zug aufgesprungen, sondern der Zeitgeist entspricht heute dem, was sie seit Jahrzehnten propagieren.
Ja, die Grünen waren immer der Motor des Wertewandels. Durch Generationenwechsel sind ihre Werte nun stärker in der Gesellschaft verankert, die Grünen sind ja auch Jungwähler-Partei. Doch auch ihre Wettbewerbsposition bringt ihnen große Vorteile ein.
Wie meinen Sie das?
Viele Positionen der Grünen lösen durchaus Widerspruch aus, ihre Vorstellungen von Mobilität, Ernährung und Vielfalt kommen in konservativen Kreisen nicht gut an. Aber bis auf die AfD, die in Hamburg keine Rolle spielt, formuliert keine Partei eine klare Gegenposition, aus Sorge, als rückwärtsgewandt zu gelten. Beispiel Gendern: Zwei Drittel der Bevölkerung lehnt das ab, aber keine Partei traut sich, diese Position einzunehmen. Oder ihre Fahrrad-Politik: Die sieht bestimmt eine Hälfte der Bevölkerung kritisch, aber es gibt kaum Gegenwind. Die Grünen profitieren also von ihren opportunistischen Gegnern.
Sollte die CDU beim Thema Verkehr mehr Contra geben?
Ja. Der Hauptgegner der CDU sind die Grünen, nicht die SPD. Wenn die Grünen mit voller Begeisterung Hamburg zur Fahrradstadt machen wollen, dann stößt das bei einem Teil der CDU-Klientel auf erhebliche Skepsis oder sogar Ablehnung. Diese Basis, die Pendler und Eigenheimbesitzer in den äußeren Stadtteilen, muss sie ansprechen und mobilisieren, da gibt es großes Potenzial. Aber die CDU vertritt eine Sowohl-als-auch-Position, sie ist nicht klar genug.
Meinen Sie das nur mit Blick auf den Verkehrsbereich?
Nein, die Union ist bei vielen Themen weder Fisch noch Fleisch, man weiß nicht, wofür sie genau steht. Mit elf Prozent muss sie sich aber erstmal auf ihre Kernklientel konzentrieren. Sie darf nicht von 40 Prozent träumen, sondern muss erstmal wieder auf 20 Prozent kommen. Dafür muss sie zu einer Kampagnenfähigkeit finden und dauerhaft ein, zwei Themen besetzen, die mit ihr identifiziert werden.
Und die personelle Aufstellung?
Die CDU sollte bei der Spitzenkandidatur für 2025 auf einen prominenten Seiteneinsteiger setzen, wie einst Walther Leisler Kiep, der sie 1982 zur stärksten Kraft gemacht hat und beinah Bürgermeister geworden wäre. Die CDU muss Anschluss finden an die Hamburger Wirtschaftskreise, ob das Reeder oder Banker sind, und dort einen Spitzenkandidaten oder eine Spitzenkandidatin finden. Der Plan von Fraktionschef Dennis Thering, die Partei in die Wahl zu führen, ist ein Abonnement auf Niederlage.
Würde eine Frau als Spitzenkandidatin helfen?
Das könnte helfen. In jedem Fall muss aber die Berücksichtigung von Frauen viel krasser herausgestellt werden. Man nimmt dieser männerbündischen CDU in Hamburg nicht ab, dass sie Frauen fördert und deren Interessen vertritt. Das schreckt Wählerinnen und Wähler ab.
Das Problem haben die Grünen nicht. Dennoch haben sie es bislang nicht geschafft, die Bürgermeisterin zu stellen. Was fehlt dafür noch?
Sie müssen aus ihrer Eingrenzung auf gebildete und besser verdienende Wählerkreise heraus. Sie müssen in den industriellen Sektor eindringen und dort Wählerkreise ansprechen, die eher SPD-nah sind. Das fällt ihnen schwer, weil sie das Image einer Partei der Bessergestellten haben. Dass sie sich schon länger verstärkt bemühen, auch soziale Themen zu besetzen und entsprechende Forderungen zu stellen, wird ihnen noch nicht abgenommen. Und dieses zweite Standbein fehlt ihnen, um die SPD angreifen zu können.