Hamburg. Religionsunterricht für alle: Hamburgs Schulsenator Ties Rabe äußert sich emotional. Erzbischof Heße ist voll des Lobes.

Für Erzbischof Stefan Heße ist es „ein qualitativer Sprung nach vorn“, für Schulsenator Ties Rabe (SPD) sogar „religiös betrachtet ein Erdbeben“ und der Erzbischof „ein mutiger Mensch“: Das Erzbistum hat entschieden, an dem Hamburger Modell des Religionsunterrichts für alle an den staatlichen Schulen teilzunehmen.

„Das Modell ist einzigartig, und es ist gut, dass alle Schülerinnen und Schüler an den staatlichen Schulen zukünftig die Gelegenheit haben werden, auch dem katholischen Glauben authentisch zu begegnen“, sagte Heße. „Dies ist ein besonderer Moment. Der bundesweit beachtete Hamburger Weg eines Religionsunterrichts für alle umfasst jetzt alle bedeutenden Religionsgemeinschaften und kann damit Impulse für ganz Deutschland geben“, sagte Rabe. Heße betonte allerdings, dass sich das auf die Situation eines Stadtstaats zugeschnittene Modell des gemeinsamen Religionsunterrichts aus seiner Sicht zum Beispiel nicht auf Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern übertragen lasse.

Schule Hamburg: Religionsunterricht im Klassenverband unterrichtet

Der Religionsunterricht wird in den Klassen eins bis sechs im Klassenverband und danach als Wahlpflichtfach unterrichtet. An dem Unterricht für alle beteiligen sich neben der Evangelischen Nordkirche bislang die alevitische und die jüdische Gemeinde sowie die muslimischen Verbände. Die Inhalte sind gemeinsam von den Religionsgemeinschaften entwickelt worden. Der Unterricht wird ausschließlich von Lehrkräften erteilt (und nicht von Pastoren oder Priestern) und schließt ausdrücklich die große Zahl der Kinder ein, die keiner Konfession angehören.

Jeder Schüler kann mit einer einfachen Erklärung der Eltern vom Religionsunterricht abgemeldet werden. Nach Angaben der Schulbehörde macht davon lediglich ein Promille der Schülerinnen und Schüler Gebrauch.

Kinder können gemeinsam lernen

Formal müssen die bereits beteiligten Religionsgemeinschaften der Aufnahme der Katholiken zustimmen. Das allerdings gilt als Formsache, da es der Wunsch aller war, dass sich auch die zweitgrößte Religionsgemeinschaft in Hamburg beteiligt. Nach Angaben des Erzbistums gibt es rund 24.000 katholische Schülerinnen und Schüler in den staatlichen Schulen.

„Die Lage ist nicht einfach: Wir haben viele verschiedene Religionsgemeinschaften, und mehr als die Hälfte der Schüler kommt aus dem Ausland oder hat Eltern, die aus dem Ausland kommen“, sagte Rabe. Der große Vorzug des Hamburger Modells liege darin, dass alle Kinder in der Unterrichtsstunde gemeinsam lernen, aber nicht immer unbedingt dasselbe lernen. „Man kann in den Stunden differenzieren zwischen den verschiedenen Religionen, aber die Schüler tauschen sich danach untereinander aus und sehen über den eigenen religiösen Horizont hinaus“, sagte Rabe.

Kaum eigenständiger katholischer Religionsunterricht

Laut Grundgesetz können die Religionsgemeinschaften darauf bestehen, dass sie einen jeweils eigenen Religionsunterricht an den Schulen bekommen. „In anderen Bundesländern gibt es bis zu zehn verschiedene Formen des Religionsunterrichts“, sagte der Senator. In Hamburg seien die Religionsgemeinschaften der Auffassung, dass der Unterricht für alle die Eigenständigkeit der Religionen hinreichend berücksichtige. Auch um der verfassungsrechtlichen Vorgabe Rechnung zu tragen, sollen 50 Prozent des Unterrichts den religionsspezifischen Aspekten gewidmet sein.

Einen eigenständigen katholischen Religionsunterricht gibt es auf Wunsch der Eltern derzeit nur an drei staatlichen Schulen in zehn Lerngruppen. Dieses Angebot wird mit dem Eintritt der Katholiken in den Religionsunterricht für alle entfallen. Rund 6500 Kinder und Jugendliche nehmen an dem verpflichtenden Religionsunterricht der 20 katholischen Schulen in Hamburg teil – nur 60 Prozent der Schüler sind auch tatsächlich Katholiken.

Auch Pädagogen anderer Glaubensrichtungen gefragt

Der Entscheidung des Erzbistums war ein dreijähriges Modellprojekt mit der Evangelischen Nordkirche vorausgegangen. „Das Ergebnis ist, dass katholisches Christentum in angemessener Weise in Form konfessioneller Kooperation und in Übereinstimmung mit den kirchlichen Normen abgebildet werden kann“, sagte Christopher Haep, Leiter der Abteilung Schule und Hochschule des Erzbistums. „Wir werden uns dafür einsetzen, die Frage nach Gott im Dialog mit den anderen Religionsgemeinschaften wachzuhalten und den existenziellen Fragen des Lebens nachzugehen Das ist das Kernanliegen des Religionsunterrichts“, sagte Erzbischof Heße

Rund 100 katholische Religionslehrer und –lehrerinnen, die bereits jetzt an staatlichen Schulen unterrichten, werden künftig offiziell im Religionsunterricht für alle eingesetzt. Ein weiteres Ziel ist, dass vermehrt auch Pädagogen muslimischen, alevitischen und jüdischen Glaubens an dem Unterricht beteiligt werden. Derzeit unterrichten rund 20 muslimische und zehn alevitische Religionslehrer an den Schulen. An größeren Schulstandorten können perspektivisch multireligiöse Fachschaften entstehen, während bislang die evangelischen Religionslehrer dominieren.

Schule Hamburg: Gwosdz begrüßt Schritt des Erzbistums

„Der Religionsunterricht für alle ist ein Erfolgsmodell. Ich freue mich sehr, dass sich nun auch das Erzbistum für einen Beitritt entschieden hat“, sagte Birgit Stöver, bildungspolitische Sprecherin der CDU-Bürgerschaftsfraktion. „Dass sich das Erzbistum beteiligen will, ist ein bedeutender Schritt, den wir ausdrücklich begrüßen“, sagte Michael Gwosdz, religionspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. Das Modell leiste seit Jahrzehnten einen wichtigen Beitrag zur Integration, zu gutem Zusammenleben und wechselseitigem Verständnis.