Hamburg. Schulleiter der Gymnasien monieren die geplante stärkere Gewichtung von Klausuren und die „Überfrachtung mit inhaltlichen Vorgaben“.
Vor vier Wochen hatte Schulsenator Ties Rabe (SPD) die ersten Entwürfe für die neuen Bildungspläne vorgestellt – zunächst für die Grundschulen, die gymnasiale Oberstufe und die Hauptfächer der Mittelstufe. Rabe wünschte sich eine „breite Diskussion mit den Schulgemeinschaften, Verbänden und Kammern“. Jetzt haben als Erste die Schulleiter der Gymnasien in einer ausführlichen Stellungnahme auf das Planwerk reagiert – und das Fazit fällt ziemlich vernichtend aus.
„Die Bildungsplanentwürfe überzeugen uns nicht. Sie sind für die gymnasiale Praxis weder realistisch noch für die Unterrichts- und Schulentwicklung zielführend“, lautet der Kernsatz der Erklärung der Vereinigung der Leitungen Hamburger Gymnasien und Studienseminare (VLHGS). Zwar sehen die Schulpädagogen „einige begrüßenswerte Ansätze“ vor allem im allgemeinen Teil der Bildungspläne, in dem unter anderem die Leitperspektiven „Wertebildung/Werteorientierung“, „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ und „Leben in einer digitalen Welt“ für den künftigen Unterricht formuliert wurden.
Schule Hamburg: Neue Bildungspläne werten Klausuren stärker
Nach dem Blick auf die Details kommen die Schulleiter allerdings zu dem Ergebnis, dass die Entwürfe „ein Konglomerat dar[stellen], das als Produkt des ,Hamburger Schulfriedens‘ von 2019 wie eine Mischung unterschiedlichster Ansprüche an Schule und Bildung wirkt“. Die VLHGS kritisiert „eine Verschärfung der formalen Anforderungen“, die sich etwa in der höheren Gewichtung der schriftlichen Leistungen ausdrückt.
Nach der Vorstellung des Schulsenators sollen schriftliche und mündliche Leistungen in die Zeugnisnoten im Verhältnis 50:50 einfließen statt wie bisher im Verhältnis 40:60. Außerdem: Zwar soll die Zahl der Klausuren nicht erhöht werden, aber „Klausurersatzleistungen“ wie Referate oder Vorträge, mit denen eine schriftliche Leistungsüberprüfung umgangen werden kann, sollen nicht mehr erlaubt sein. Laut Rabe sollen auf diesem Weg die Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler im Schriftlichen stärker trainiert werden. Die schriftlichen Leistungen sind tendenziell schlechter als die mündlichen.
Schule Hamburg: Mehr Druck statt nachhaltiges Lernen
„Die Begründung geht von einem irrigen Verständnis des Trainings und des Lernens aus. Eine Leistungsüberprüfung ist kein Training, sondern eine punktuelle Prüfung“, schreiben die Schulleiter. „Die neuen Bildungspläne sind lediglich dazu geeignet, mehr Druck aufseiten der Schülerinnen und Schüler zu erzeugen, statt ein nachhaltig erfolgreiches Lernen und die intensive Reflexion des Gelernten … zu ermöglichen.“
Außerdem monieren die Schulleiter und Schulleiterinnen, dass zu viel inhaltliche Vorgaben gemacht werden. „In den Entwürfen tritt die Kompetenzorientierung in den Hintergrund, und es lässt sich eine Rückkehr zu einer verstärkten Stoff-Orientierung anstelle einer konsequenten Ausrichtung an den Schlüsselkompetenzen des 21. Jahrhunderts konstatieren“, schreibt die VLHGS.
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Neue Bildungspläne würden soziale Ungleichheit fördern
Die „Überfrachtung mit spezifischen inhaltlichen Vorgaben“ zeige sich zum Beispiel darin, dass der Bildungsplan Deutsch für die Sekundarstufe I allein 92 Seiten umfasse. Das spreche für eine „additive Herangehensweise“ statt „einer konsequenten Fokussierung auf das Wesentliche“. Außerdem führe die Stofflastigkeit dazu, dass der Besuch außerschulischer Lernorte etwa zur Erfahrung demokratischer Prozesse im Rahmen des Unterrichts deutlich weniger Platz finden würde. Auch eine regionale Profilierung der Schulen wäre durch die „eklatante Stofffülle“ weniger möglich, und es würde weniger Zeit für schulische Veranstaltungen wie Wettbewerbe oder Konzerte vorhanden sein.
Schließlich erwarten die Schulleiter eine Verstärkung sozialer Ungleichheit bei Umsetzung der Planentwürfe. Künftig sollen von Klasse fünf an pro Halbjahr zwei Klausuren unter Einsatz des Computers geschrieben werden. „Diese Vorgabe bedroht die Bildungsgerechtigkeit, denn nur begüterte Elternhäuser sind in der Lage, ihre Kinder mit digitalen Endgeräten auszustatten, Kurse in Maschinenschrift privat zu buchen und Nachhilfe privat zu finanzieren“, schreiben die Gymnasial-Schulleiter, die eine grundlegende Überarbeitung der Bildungsplanentwürfe fordern.