Hamburg. Steigende Preise und weniger Sozialwohnungen setzen den Senat und Stadtentwicklungssenatorin Stapelfeldt unter Druck.

Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) ist nicht zu beneiden: Nach Jahren, in denen sie mit einer gewissen Berechtigung Erfolge verkünden konnte, sind die Anzeichen nicht mehr zu leugnen, dass das Mietgefüge der Hansestadt zunehmend aus dem Takt gerät. Das Wohnungsbauprogramm war als Beleg einer mieterfreundlichen Politik seit dem Regierungswechsel 2011 das Vorzeigeprojekt des SPD-geführten Senats. Noch im Bürgerschaftswahlkampf 2020 galten die (laut Mietenspiegel) relativ moderaten Steigerungen als wichtige Wahlhilfe für den Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD). Inzwischen versucht sein Amtsvorgänger Olaf Scholz (SPD) das Hamburger Modell auf den Bund zu übertragen.

Und doch: Um einen Eindruck davon zu bekommen, dass ein ordentliches Einkommen häufig nicht mehr ausreicht, um den Mietpreisanstieg in Hamburg auszugleichen, reicht bereits ein Blick auf die Inserate der gängigen Immobilienportale – oder ein Gespräch mit Wohnungssuchenden. Wie extrem der Druck auf dem Mietenmarkt ist, hat in dieser Woche eine Studie des Portals Immowelt noch einmal deutlich gemacht. Demnach müssen in Hamburg für das Wohnen 48 Prozent mehr ausgegeben werden als im bundesdeutschen Durchschnitt, während die Kaufkraft in der Hansestadt nur sieben Prozent über dem Bundesschnitt liegt. Nur Berlin schneidet im Vergleich der größten Metropolen noch schlechter ab.

Mietenpolitik in Hamburg: Bau von Sozialwohnungen bricht ein

Doch damit nicht genug. Zwar hat die Stadt das selbst gesteckte Ziel von 10.000 genehmigten Wohnungen auch 2021 mit 10.207 Genehmigungen knapp erreicht, doch der Bau von Sozialwohnungen bricht ein. Mit 1895 Wohnungen wurden im vergangenen Jahr nur gut halb so viele fertiggestellt wie in den Jahren zuvor. Und: Der im Bündnis für das Wohnen verabredete Drittelmix, der Neubauten zu gleichen Teilen auf Eigentums-, Miet- und Sozialwohnungen verteilen soll, wurde weit verfehlt.

Mit der Veröffentlichung des Mietenspiegels ereilte die Wohnungspolitik des Senats ein weiterer Schlag ins Kontor: Allen Bemühungen zum Trotz sind die Mieten in den vergangenen zwei Jahren dramatisch gestiegen. Die durchschnittliche Nettokaltmiete pro Qua­dratmeter hat sich seit 2019 um 63 Cent auf 9,29 Euro im Jahr 2021 verteuert, was einem Anstieg um 7,3 Prozent entspricht – und den stärksten Anstieg seit zwei Jahrzehnten bedeutet. Die Folgen für viele Hamburgerinnen und Hamburger sind gravierend. Bis zu 180.000 Haushalte sind in diesem Jahr von einer Mieterhöhung betroffen.

Linksfraktion kritisiert die Hamburger Koalition

Aus der Linksfraktion hagelte es zudem Kritik an der Berechnung des Mietenspiegels. So werde der Anteil der preisgünstigen und damit mietenspiegeldämpfenden SAGA-Wohnungen runtergerechnet. Zu stark gewichtet würden hingegen die regelhaft teureren Neuvertragsmieten, wie aus einer Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage der stadtentwicklungspolitischen Sprecherin der Fraktion, Heike Sudmann, hervorgeht. Aus der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen heißt es: „Der vergleichsweise hohe Anteil von Neuvertragsmieten im Jahr 2021 lässt sich nachvollziehbar mit dem erstmalig von vier auf sechs Jahre verlängerten Betrachtungszeitraum erklären.“

Ein weiterer Kritikpunkt der Linken bezieht sich auf eine in dieser Woche beantworte Sudmann-Anfrage, die sich mit den Mieten der SAGA beschäftigt. „Es ist unglaublich, dass die SAGA im Pandemiejahr 2020 alleine mit Mieterhöhungen die dritthöchsten Einnahmen seit 2011 erzielt hat“, so Sudmann. Die Stadt müsse mit einem Mietenstopp bei dem städtischen Wohnungsunternehmen vorangehen. „Um die Mietentwicklung sozial verträglich auszugestalten, schöpft die SAGA die mietrechtlichen Möglichkeiten nicht aus und beschränkt sich auf eine bis dato maximal fünfprozentige Erhöhung der Nettokaltmiete“, sagte ­SAGA-Sprecher Michael Ahrens. Darüber hinaus würden soziale Härten durch eine Kappung des Erhöhungsbetrages auf maximal 30 Euro pro Monat abgefedert.

Grünen-Wohnungsbaupolitiker weist Kritik zurück

„Wer fordert, die SAGA möge keinerlei Mietenerhöhungen mehr vornehmen, wird über lang oder kurz die Sanierungstätigkeiten, die Neubauaktivitäten und die soziale Quartiersentwicklung vollständig einstellen“, wies der Grünen-Wohnungsbaupolitiker Olaf Duge die Forderung der Linken zurück. Die SAGA habe 2020 zudem deutlich weniger Haushalte mit Mietsteigerungen belastet als in vergleichbaren Jahren.

Wie stark die Hamburgerinnen und Hamburger aktuell jedoch von den steigenden Mieten betroffen sind, weiß Rolf Bosse, Geschäftsführer des Mietervereins zu Hamburg. „Zurzeit behandelt gefühlt jede zweite Beratung eine Mieterhöhung.“ Normalerweise seien Mieterhöhungen nur in jedem siebten oder achten Gespräch das Thema. „Zudem ist der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum nicht bedient worden. Es wurden weniger Sozialwohnungen neu gebaut, als aus der Bindung gefallen sind.“

Zu viele Wohnungen fallen aus der Bindung

Dass zu viele Wohnungen aus der Bindung rausfallen, bildet gemeinsam mit dem hohen Mietenspiegel und der nicht ausreichenden Schaffung sozialen Wohnraums einen oft gebildeten Dreiklang der Kritik an der Wohnungspolitik des Senats. Hat Hamburg den Kampf gegen die steigenden Mietpreise also verloren? „Es ist nicht so, dass die Stadt nichts gegen den Mietenwahnsinn tut. Der Neubau der vergangenen Jahre hat den Markt schon auch entlastet, allerdings nicht in dem Maße, wie es erforderlich wäre, um den Zuzug auszugleichen“, sagt Bosse.

„Es braucht einfach viel mehr preiswerte Wohnungen. Das, was gebaut wird, geht zum größten Teil an den Menschen vorbei“, sagt auch Rechtsanwalt Marc Meyer. Er ist Vertreter von „Mieter helfen Mietern“ bei den beiden Volksinitiativen mit dem gemeinsamen Titel „Keine Profite für Boden & Miete“ – die sich für mehr sozialen Wohnraum einsetzen. Sie fordern, dass gar keine städtischen Grundstücke mehr an Private verkauft werden – und dass für Wohnungen auf städtischem Grund dauerhaft niedrige Mieten ab 6,90 Euro pro Quadratmeter festgelegt werden. Welche Sprengkraft solche Volksinitiativen haben können, hat das Beispiel Mietpreisbremse in Berlin gezeigt.

Mietrechtler: Kompromisse nicht akzeptabel

Bernd Vetter ist Mietrechtler des Vereins „Mieter helfen Mieter“ und sitzt mit am Verhandlungstisch – seit einem Jahr laufen die Gespräche schon. Für beide Volksinitiativen habe die Gegenseite Kompromisspapiere vorgelegt, „die für uns nicht akzeptabel sind“, so Vetter. „Wir stellen fest, dass der Senat mit seiner Bau- und Wohnungspolitik gescheitert ist und uns weiter entgegenkommen muss.“ Der letztjährige Einbruch bei den Neubauzahlen für Sozialwohnungen vertieft eine „offene Wunde“ – so sieht es Linken-Stadtentwicklungspolitikerin Sudmann. „Nach 15, zukünftig nach 30 Jahren laufen die seit 2011 öffentlich geförderten Wohnungen aus der Mietpreisbindung.“ Sinnvoller sei es, nicht nur mehr öffentliches Geld für mehr Wohnungen zu investieren, sondern die günstigen Mieten auf Dauer festzuschreiben.

„Die Defizite beim sozialen Wohnungsbau und beim günstigen Wohnen sind aktuell unser größtes Problem“, sagt auch CDU-Stadtentwicklungspolitikerin Anke Frieling. Speziell bei ihren eigenen Grundstücken müsste die Stadt darauf achten, dass mehr sozialer Wohnraum geschaffen werde, und verstärkt auch selbst bauen über die SAGA und die städtische Gesellschaft „fördern & wohnen“.

Senatorin: „Wohnungsmarkt bleibt angespannt“

Der Senat spricht natürlich nicht von einem Scheitern. Das starke Engagement des „Bündnisses für das Wohnen“ habe seit 2011 mehr als 28.000 neue geförderte Wohnungen auf den Weg gebracht, hält die Stadtentwicklungsbehörde der Kritik entgegen. „Hamburg bewilligt statistisch betrachtet jedes Jahr mehr neue Sozialwohnungen pro Einwohner als jedes andere Bundesland“, sagt Stadtentwicklungssenatorin Stapelfeldt. Das bestätigt auch Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen. „Der soziale Wohnungsbau in Hamburg stagniert nicht. Im Gegenteil. Verschiedene Investorengruppen nehmen die Förderung für den Neubau sozial gebundener Wohnungen in Anspruch.“

Aus der Bindung fallen im Schnitt jährlich zwischen 3000 und 7000 Sozialwohnungen. Gleichwohl will der Senat die Gesamtzahl bei rund 80.000 Wohneinheiten stabilisieren. SPD-Stadtentwicklungspolitikerin Martina Koeppen weist darauf hin, dass Sozialwohnungen, die aus der Bindung fallen, sich dämpfend auf den freien Markt auswirken, „da sie mit niedrigen Mieten auf dem Markt kommen und erst in dem Moment relevant für den Mietenspiegel werden“.

Wohnungsmarkt bleibt durch die hohe Nachfrage weiter angespannt

Aufgrund der hohen Nachfrage bleibe der Wohnungsmarkt aber weiterhin angespannt, räumt Stapelfeldt ein. „Deshalb schöpfen wir selbstverständlich die bundesgesetzlichen Spielräume des Mieterschutzes konsequent aus. Derzeit setzen wir alles daran, dass auf Bundesebene endlich die Kappungsgrenze für Mieterhöhungen in Bestandsverträgen verschärft wird.“ Diese Kappungsgrenze soll auf angespannten Wohnungsmärkten wie in Hamburg künftig nur noch elf Prozent statt wie bisher 15 Prozent betragen. Zudem setzt die Stadt auf das 2021 in Kraft getretene Baulandmobilisierungsgesetz, das den Kommunen ein Vorkaufsrecht für Baulücken und brachliegende Grundstücke einräumt.

Grünen-Politiker Duge sieht die Schuld ohnehin beim Bund. „Seit 16 Jahren wurde eine soziale Boden- und Wohnungspolitik erfolgreich von der CDU und in vielen Teilen der FDP verhindert“, sagt er. „Nicht die Hamburger Wohnungspolitik ist gescheitert – es wird Zeit, dass auf Bundesebene endlich die dringend notwendigen ,Räder‘ gedreht werden.“ Es scheint, dass der Senat beim Kampf gegen die unaufhaltsam steigenden Mietpreise auf Bundeshilfe angewiesen ist. Die Hoffnungen ruhen somit auf einem Ex-Bürgermeister.