Lohbrügge. Mouataz Alshaltouh studiert an Talentschmiede. Was es mit dem Kreuz auf sich hat, das er vor ein ihm unbekanntes Wort setzte.
„Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Täler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen“, spricht Mouataz Alshaltouh. Georg Büchner. Alshaltouh sitzt am Küchentisch des kleinen Reihenhauses in Lohbrügge, in dem er bis vor anderthalb Jahren gewohnt hat. Der 24-Jährige betont jedes Wort anders, er fühlt die Sprache mit dem ganzen Körper, er bringt Rhythmus hinein. Seine Augen leuchten – und man kann gar nicht anders, als ihm zuzuhören.
Kein Wunder also, dass das Nachwuchstalent geschafft hat, wovon viele nur träumen: Mouataz Alshaltouh studiert an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin – einer der besten Schauspielschulen Deutschlands. Maximal 25 junge Menschen werden hier jedes Semester für ein vier Jahre langes Bachelor-Studium angenommen. Seit 2020 ist Alshaltouh einer von ihnen – und wohnt nun in Berlin.
In Bergedorf hat Mouataz Alshaltouh ein Zuhause gefunden
Dabei ist der Schauspieler nur durch Zufall zum Theater gekommen. Nach seiner Flucht aus Syrien im Jahr 2015 wurde er von einer Gastfamilie aufgenommen – die er heute seine Familie nennt – und besuchte die elfte Klasse der Stadtteilschule Richard-Linde-Weg in Lohbrügge. Sein in Syrien bereits bestandenes Abitur wurde in Deutschland nicht anerkannt.
„In der Schule hier musste ich mir ein Wahlpflichtfach aussuchen und konnte zwischen Musik, Chemie und Theater wählen“, sagt Alshaltouh, der sein Abitur in Deutschland noch einmal gemacht hat. Das Wort „Theater“ habe er mit seinen damaligen Deutschkenntnissen noch nicht gekannt. „Die Lehrer haben versucht, es mir zu erklären, aber ich war erst sechs Monate hier“, sagt er. Trotzdem habe er das Kreuz auf gut Glück beim Schauspiel gesetzt – und so seine Leidenschaft entdeckt.
Im Theaterunterricht hat er als Schüler nie gefehlt
Denn auch, wenn es ihm in der ersten Zeit nach der Flucht häufig nicht so gut gegangen sei – die Theaterstunden habe er nie ausfallen lassen. „Wir hatten einen jungen Lehrer, der unglaublich motiviert war, da hat es wirklich Spaß gemacht“, sagt der Wahl-Berliner. Auf Empfehlung einer anderen Lehrerin habe er sich schließlich erfolgreich beim Jugendclub Schauspiel des Ernst Deutsch Theaters in Hamburg beworben. „Was ich am Schauspielern liebe, sind die verschiedenen Rollen. Man schlüpft in so viele Perspektiven und lernt sich dabei selbst kennen. Theater heißt für mich frei sein – und einfach nur zu sein.“ In den von ihm besuchten Theatergruppen interessiere es niemanden, welche Schuhe man trägt, wie man aussieht, wo man herkommt.
„Manchmal gibt es Menschen, bei denen man auf den ersten Blick denkt, sich nicht so gut mit ihnen zu verstehen. Und dann spielt man zusammen Theater, und alle Fassaden fallen. Da löst sich etwas, und ich habe das Gefühl, wirklich nur noch den inneren Menschen zu sehen. Das liebe ich“, sagt Mouataz Alshaltouh. Bis zu seiner Abschlussprüfung 2024 hat er nun durchgängig intensiven Schauspielunterricht: Fechten, Bogenschießen, Sprechen, Gesang. Und so weiter.
Über seine Flucht spricht Alshaltouh nicht gern
Seine Fluchtgeschichte möchte der Student nicht ständig im Vordergrund sehen, wenn er sich vorstellt. „Natürlich ist das ein Teil von mir, aber ich habe auch so viel anderes erlebt und zu erzählen.“ In der nordsyrischen Stadt Rakka geboren, floh der damals 17-Jährige 2015 mit einem seiner vier Brüder vor dem Bürgerkrieg nach Deutschland. Sein Vater und die anderen Brüder kamen in den darauffolgenden Jahren nach – heute wohnen sie in Dortmund.
Alshaltouhs Mutter verstarb 2015 in Syrien an einem Herzinfarkt. „Der Krieg ist eine riesige Belastung. Man fragt sich jeden Tag: Wie überlebe ich heute und wie kriege ich Brot für morgen?“ Umso dankbarer sei er dafür, nun in Deutschland leben zu können. „Ich war seit der Flucht nicht mehr in Syrien und, so wie es jetzt ist, möchte ich auch nicht zurück. Aber ich vermisse die Landschaft, die Wärme der Sonne und die der Menschen und einfach die ganze Kultur.“ Aber Hamburg und insbesondere Bergedorf sei mit der Zeit ein Zuhause geworden. „Und es ist schön, so einen Ort zu haben.“