Hamburg. Senator zieht Reißleine, wehrt sich aber gegen den Verdacht, einen Parteifreund bevorzugt zu haben. Heftige Debatte im Ausschuss.
In der Debatte um die umstrittene Auftragsvergabe für einen neuen „FinTech-Accelerator“ ziehen Senat und Wirtschaft die Reißleine: Die Vertragsunterzeichnung mit der Firma Next MediaAccelerator (NMA) werde gestoppt, teilte Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) am Dienstagabend im Haushaltsausschuss der Bürgerschaft mit. Nach wochenlangen Filz-Vorwürfen, wonach er den Millionenauftrag ohne Ausschreibung seinem Genossen, dem NMA-Mitbegründer Nico Lumma, zugeschustert habe, sei das Projekt so beschädigt, dass sich dafür kaum noch private Geldgeber finden ließen, so Dressel. Die Vorwürfe an sich wies er aber entschieden zurück.
Dressel räumte ein, dass er die beiden NMA-Geschäftsführer kenne, und dass der eine – Nico Lumma – als bundesweit anerkannter Digitalexperte im Verwaltungsrat der Kasse.Hamburg sitze. Mehr Berührungspunkte gebe es aber nicht. „Daraus ein Freundschaftsverhältnis zu konstruieren, ist absurd.“
Filz-Vorwürfe gegen Dressel und Lumma: Millionenauftrag ohne Ausschreibung
Wie berichtet, wollten die Finanzbehörde, der Verein Finanzplatz Hamburg e.V. und die Handelskammer als Partner des „Masterplans Finanzwirtschaft“ einen FinTech-Accelerator gründen: Dieser mit insgesamt neun Millionen Euro ausgestattete Fonds sollte junge Firmen aus der Finanzbranche fördern. 1,3 der neun Millionen Euro waren für den Aufbau und die Verwaltung des Fonds vorgesehen. Nachdem der Auftrag ohne europaweite Ausschreibung direkt an NMA vergeben werden sollte, wurden Ende 2021 Filz-Vorwürfe gegen Dressel und Lumma laut. Die Linkspartei hatte daher Aufklärung im Ausschuss verlangt.
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Der Senat hielt dagegen, dass in Abstimmung mit allen Beteiligten des Masterplans drei potenziellen Auftragnehmern die Möglichkeit gegeben worden sei, ihr Konzept für Aufbau und Betrieb eines Accelerators in Hamburg vorzustellen. Zwei Anbieter hätten die Chance zur Präsentation wahrgenommen, unter ihnen sei die Wahl auf NMA gefallen, da das Unternehmen Erfahrung mit dem Aufbau eines solche Accelerators habe. Dies sei im Rahmen einer „Ex-ante-Transparenzbekanntmachung“ mitgeteilt worden – also die öffentliche Ankündigung einer Direktvergabe. Dieses Verfahren sei im Vergabegesetz ausdrücklich erlaubt. Das Projekt habe unter Zeitdruck gestanden, weil Corona-Mittel verwendet werden sollten, die nur bis Ende 2022 zur Verfügung gestanden hätten.
FinTech-Auftrag "trotz formal unbeanstandeter Entscheidung" gestoppt
„Die entstandene Debatte um das Vergabeverfahren der Finanzbehörde ist zu bedauern, da diese die kurzfristig notwendige Suche nach privaten Co-Investoren – die den FinTech Accelerator finanziell mittragen sollen und müssen – ganz erheblich erschwert“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Finanzbehörde, Finanzplatz Hamburg e.V. und Handelskammer.
„Vor diesem Hintergrund haben sich die drei Partner des Masterplans verständigt, dass trotz der formal unbeanstandeten Entscheidung des zuständigen Amtes in der Finanzbehörde für den Betrieb des Accelerators von einem finalen Vertragsschluss zwischen Finanzbehörde und Betreiber abgesehen wird.“ Der Masterplan Finanzwirtschaft besteht aus einem Paket von 15 Maßnahmen, von denen die Förderung für die FinTech-Branche nur ein Baustein sein sollte.
Dressel nennt Stopp des FinTech-Accelerators "bedauerlich"
Dressel nannte den Schritt im Ausschuss „bedauerlich“. Da von den zum Start des Accelerators kurzfristig nötigen fünf Millionen Euro aus privaten Mitteln erst eine Million für die erste Förderperiode verbindlich eingesammelt seien, müsse man gemeinsam mit den Partnern „der Realität ins Auge blicken. Und dazu gehört, dass die Stadt ihren öffentlichen Förderanteil angesichts der Haushaltslage nicht aufstocken kann“, so Dressel.
„Wir werden mit Handelskammer und Finanzplatz jetzt gemeinsam prüfen, wie wir einen Großteil der beschlossenen Fördermittel gleichwohl zielgerichtet über ein kurzfristig wirksames Programm über unsere bewährte Förderbank IFB abwickeln können.“ Das könnte zum Beispiel eine Gründungs- und Ansiedlungsprämie für FinTechs sein.
Heftige Debatte im Haushaltsaussschuss um "üblen roten Filz"
„Die Fördermittel fließen nicht. Aber der Imageschaden bleibt“, sagte David Stoop, haushaltspolitischer Sprecher der Links-Fraktion. „Statt einen eigenen Fehler einzugestehen, kritisiert Finanzsenator Dressel lieber Medien und Opposition, die hier gemeinsam Aufklärungsarbeit geleistet haben.“ Es sei mehr als grenzwertig, Fördermittel in dieser Höhe ohne europaweite Ausschreibung zu vergeben, so Stoop, der dennoch einräumte, dass das Verfahren rechtlich korrekt war.
Dass er noch während der Sitzung des Haushaltsausschusses eine Pressemitteilung verbreitetet, in der die Angelegenheit als „übler roter Filz“ kritisiert wurde, sorgte für ein heftige, fast 90-minütige Debatte. Dressel verwahrte sich mehrfach gegen die Vorwürfe. Auch der Ausschuss-Vorsitzende Mathias Petersen (SPD) zeigte sich erschüttert. Der Filz-Vorwurf sei durch nichts belegt. Diese Form der Auseinandersetzung sei ein „Tiefpunkt“ in seinen 25 Jahren im Haushaltsausschuss.