Hamburg. Drittimpfungen können das Infektionsrisiko minimieren. Ärzteschaft fühlt sich “bestens vorbereitet“. Warum der Senat noch zögert.
Angesichts einer Rekord-Inzidenz in Hamburg von 180,9 Corona-Neuinfektionen je 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen mehren sich Stimmen, verstärkende Drittimpfungen (Booster) rasch auszuweiten. „Hamburg sollte dem Beschluss der Gesundheitsminister von Bund und Ländern folgen und zeitnah allen Hamburgern eine Booster-Impfung ermöglichen, möglichst niedrigschwellig in dezentralen Impfzentren in allen Bezirken und beispielsweise in Einkaufszentren oder Sportvereinen“, fordert Dennis Thering, Chef der CDU-Bürgerschaftsfraktion.
Es reiche nicht aus, dass städtische Stellen bisher Drittimpfungen nur für über 70-Jährige und wenige andere Gruppen anbieten. „Auch der Verweis des Senats auf die Hausärzte hilft wenig, da viele Hausärzte ebenfalls nur diese Gruppen drittimpfen“, sagte Thering mit Bezug auf die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko), nach der sich der rot-grüne Senat richtet.
Corona in Hamburg: Mehr Tempo bei Booster-Impfungen gefordert
In die gleiche Kerbe schlägt der Linken-Abgeordnete Deniz Celik. „Es müssen in kürzester Zeit möglichst viele Menschen eine Booster-Impfung erhalten“, fordert er. „Der Senat hält stur an der Stiko-Empfehlung fest und boostert im Vergleich zu Bremen oder Berlin im Schneckentempo. Das ist unverantwortlich und gefährlich.“ Stattdessen sollten alle Hamburger bereits fünf Monate nach ihrer Zweitimpfung zu einer Booster-Impfung eingeladen werden.
Durch Booster-Impfungen kann sich Medizinern und Forschenden zufolge der Immunschutz deutlich erhöhen. Israel sei es gelungen, eine neue Infektionswelle mit Boostern zu brechen, indem dort auch unter 60-Jährige zum dritten Mal geimpft wurden, sagte die Göttinger Physikerin Viola Priesemann. Ähnlich äußerte sich Gernot Marx, Präsident der Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi). „Je schneller die Auffrischungsimpfungen kommen, umso flacher wird die Welle ausfallen. Das ist das wirkungsvollste Instrument, um das Virus auszubremsen und Impfdurchbrüche zu minimieren“, sagte er.
Senat will Booster-Empfehlung der Stiko abwarten
Während der Bund in Anzeigen zum Boostern für alle rät, insbesondere aber für über 60-Jährige und Vorerkrankte, will der rot-grüne Senat eine Booster-Empfehlung der Stiko für alle abwarten. Diese gebe „einheitlich Sicherheit“ für die Ärzteschaft, sagte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) am Dienstag.
Der Senat könne nicht jedermann raten, beim Hausarzt um eine Booster-Impfung zu bitten, damit dann Patienten hörten, dass der Arzt ohne Stiko-Empfehlung noch nicht jüngere Menschen impfe. „Wir brauchen diese fachliche Einschätzung der Ständigen Impfkommission“, sagte Tschentscher. Erst dann werde die „große Mehrheit“ der Ärztinnen und Ärzte in Hamburg bereit sein, Corona-Drittimpfungen für alle anzubieten. Jana Husemann, Vorsitzende des Hamburger Hausärzteverbands, teilt diese Einschätzung. Sie hoffe allerdings, dass die Booster-Empfehlung für alle schnell komme, sagte Husemann.
Laut dem Vorsitzenden der Ständigen Impfkommission (Stiko), Prof. Dr. Thomas Mertens, könnte die Empfehlung tatsächlich schon in den kommenden Tagen kommen. Er hatte am Dienstagabend bei Markus Lanz überraschend angekündigt, dass die Stiko schon am Mittwoch eine Booster-Impfung für alle Volljährigen in Deutschland empfehlen werde.
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Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard (SPD) betonte, dass prinzipiell auch jüngere Menschen jetzt schon eine Booster-Impfung bekommen könnten – nach einer Beratung bei deren Arzt. Das Boostern sei allerdings in der gegenwärtigen Phase nur ein Standbein. „Das weitaus bedeutendere ist, die Zahl der Ungeimpften zu minimieren“, sagte Leonhard.
Noch ist es für Menschen, deren Zweitimpfung sechs Monate zurückliegt, die aber nicht 70 sind oder älter, nicht so einfach, in Hamburg eine Booster-Impfung zu bekommen. Das musste etwa Luise Schwarz feststellen. Die 55-Jährige rief erst ihren Hausarzt an, der ihr einen Termin für März 2022 in Aussicht stellte. Er verwies auf das Cardiologicum in Wandsbek, das auch Hamburgerinnen und Hamburger immunisiert, die nicht zum eigenen Patientenstamm gehören. Dort konnte Schwarz, die gesetzlich versichert ist, immerhin einen Termin für Mitte Januar online buchen. Bis Januar wollte Schwarz aber nicht warten. Sie versuchte es in der Impfstation Wandsbek, einem Zusammenschluss von Ärzten am Wandsbeker Markt. Im Medicalcenter Wandsbek erhielt sie einen Termin für die kommende Woche.
Helfen bei der Suche nach Terminen kann ein Blick auf die Internetseite der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (kvhh.net): Unter dem Punkt „Patienten“ findet sich eine Liste mit derzeit mehr als 90 Praxen, die Corona-Impfungen auch für jene anbieten, die nicht zum eigenen Patientenstamm gehören.
Booster-Impfung: Hamburg sei „bestens aufgestellt"
Für den Fall einer Ausweitung der Stiko-Empfehlung zum Boostern ist Hamburg nach Einschätzung der KVHH mit etwa 1000 impfenden Praxen, zwölf öffentlichen Impfstellen sowie mobilen Teams „bestens aufgestellt und vorbereitet, um die notwendigen Impfungen schnell und unkompliziert durchzuführen“. Das Bestellprozedere für den Impfstoff sei von 14 Tagen wieder auf eine Woche verkürzt worden, sodass die impfenden Praxen „kurzfristig“ mit Impfstoffdosen versorgt werden könnten.
Die Gesundheitsbehörde erklärte, wegen des empfohlenen Abstands von mindestens sechs Monaten zwischen Zweit- und Drittimpfung sei davon auszugehen, dass derzeit in Hamburg für etwa 75.000 Menschen pro Woche eine Booster-Impfung infrage komme. Bei den niedergelassenen Ärzten könnten nach Auskünften der Ärzteschaft rund 100.000 Impfungen pro Woche durchgeführt werden. Hinzu kommen die Impfangebote der Stadt. Mit einer Impfstoffknappheit für Hamburg sei nicht zu rechnen, so die Behörde.