Hamburg. Zu Beginn der Haushaltsberatungen in der Bürgerschaft rechnet die Opposition mit Rot-Grün ab. Tschentscher will Klimaplan überarbeiten.
Wer Abgeordnete und Senats-Mitglieder zu Beginn der dreitägigen Haushaltsberatungen am Dienstag im Rathaus beobachtete, konnte den Eindruck gewinnen, dass die Stadt nun aber wirklich den Gürtel enger schnallen muss. War es vor Corona üblich, dass sich alle Teilnehmer der oft bis in den Abend andauernden Bürgerschaftssitzungen am (warmen) Büfett stärken konnten, standen nun lediglich Lunch-Pakete auf den Plätzen: Ein Brötchen oder ein Sandwich, Obst, etwas Süßes – das musste reichen. Immerhin, konnte man meinen. Oder aber: Im Rathaus ist jetzt Schmalhans Küchenmeister.
So unterschiedlich fielen im Rahmen der mehrstündigen Generaldebatte auch die Blicke auf die Stadt aus: Hier SPD und Grüne, die die Ansicht vertraten, dass Hamburg insgesamt ganz gut durch die Corona-Pandemie gekommen sei und mit dem neuen Haushalt 2021/2022 die Weichen für die Zeit nach der Krise stelle – dort die Opposition, die genau das massiv infrage stellte.
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Dennis Thering spricht von "Aufblähung des Personals"
Dabei begann es ganz versöhnlich. Auch CDU-Fraktionschef Dennis Thering lobte die Krisenbekämpfung in Hamburg, zu der auch der Senat beigetragen habe: „Wir haben auf einen politischen Streit ausdrücklich verzichtet – Hanseaten halten zusammen.“ Doch das war es dann auch mit Freundlichkeiten.
Dem Anspruch aufzuzeigen, wie Hamburg aus der Krise gestärkt hervorgehen kann, werde der Doppelhaushalt nicht gerecht, kritisierte Thering. Stattdessen stehe er für eine Aufblähung des Personals. In dem Zusammenhang kritisierte er den Wechsel von BUND-Chef Manfred Braasch, bisher einer der Chefkritiker des Senats, in die Umweltbehörde von Jens Kerstan (Grüne): „Bei Ihnen im Senat macht doch jeder inzwischen was er will, Herr Bürgermeister“, sagte er mit Blick zu Peter Tschentscher (SPD).
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Thering ging scharf mit der Verkehrspolitik ins Gericht
Generell vermisse er im Haushalt die Ideen für die Zeit nach Corona. Ein Bekenntnis zur Wirtschaft, eine Digitalisierungsoffensive, ein Konzept für die Innenstadt, eine moderne Ausrichtung von Bildung und Wissenschaft – das fehle alles. Scharf ging Thering mit der Verkehrspolitik ins Gericht: Hamburg werde von Rot-Grün im Verkehrsbereich „wie ein kleines Dorf regiert. Wahrscheinlich noch schlechter.“ Baustellenchaos sowie überfüllte, verspätete und ausfallende Busse und Bahnen seien an der Tagesordnung. Verkehrs- und Umweltsenator von den Grünen würden mit dem Lärmaktionsplan „die ganze Stadt zum Stillstand bringen“, und die SPD schaue nur zu. Deren Wahlkampf-Slogan „Die ganze Stadt im Blick“ sei wohl nur „eine inhaltsleere Floskel“.
SPD-Bürgerschaftsfraktionschef Dirk Kienscharf warf Thering eine „Verdrängung von Realitäten“ vor. „Das war keine Haushaltsrede. Wo haben Sie die letzten Wochen zugebracht? In den Fachausschüssen wohl nicht, wo über den Haushalt diskutiert wurde“, empörte sich Kienscherf, beruhigte sich aber gleich wieder. „Die CDU-Anträge zum Doppeletat umfassen 0,5 Prozent des Gesamtvolumens. Das heißt auch: Mit 99,5 Prozent sind Sie zufrieden“, sagte der SPD-Fraktionschef.
Hohe Investitionen in Klimaschutz und Mobilitätswende
Hamburg sei „bisher relativ gut“ durch die Pandemie gekommen. Der Corona-Schutzschirm bleibe aufgespannt. Mit dem Wirtschaftsstabilisierungsprogramm in Höhe von 900 Millionen Euro sollten „gezielt notwendige Zukunftsinvestitionen“ getätigt werden. „Beim Klimaschutz haben wir ehrgeizige Ziele. Wir wollen ab 2030 aus der Kohle aussteigen“, sagte Kienscherf.
Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen unterstützte das: Die gemeinschaftliche Überwindung der Pandemie könne die Blaupause für die Bekämpfung des Klimawandels sein: „Mit unserem Doppelhaushalt wollen wir dafür die politischen Pflöcke noch tiefer einschlagen.“ So werde nur nicht nur eine Milliarde in den Klimaschutz investiert, sondern auch große Summen in den ÖPNV-Ausbau, die Mobilitäts-, Energie- und Wärmewende. Dass es dem Senat an Ideen mangele, wies er zurück: SPD und Grüne würden in den Haushaltsberatungen noch „ein Feuerwerk an rot-grünem Regierungshandeln abrennen“.
Kritik von der Linken und der AfD
Dass die Koalition den sozialen Zusammenhalt stärke, wie Lorenzen meinte, stellte Linken-Fraktionschefin Cansu Özdemir infrage: „Die Pandemie hat die vorhandene soziale Spaltung in der Stadt verschärft. Die Defizite sind überdeutlich.“ Özdemir forderte trotz der enorm steigenden Ausgaben eine „Abkehr vom Sparhammer“ und eine massive Steigerung der öffentlichen Investitionen: „Es ist ein Skandal, dass Kinder in dieser reichen Stadt immer noch in Armut leben. Es muss doch möglich sein, dass jedes Kind in der Kita ein kostenloses Frühstück erhält.“ Die Linke will unter anderem 900 Lehrer zusätzlich einstellen, den sozialen Wohnungsbau verdoppeln und die Vermögenssteuer einführen.
Ausgerechnet AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann von der anderen Seite des politischen Spektrums knüpfte da genau an. „Wer hat denn fast ununterbrochen in Hamburg regiert und die Schere zwischen Arm und Reich so weit auseinanderklaffen lassen? Das ist doch die SPD“, sagte Nockemann und attackierte den Schuldenanstieg von 23,3 in 2020 auf aktuell 25 Milliarden Euro: „Durch ein unsinniges und unverhältnismäßiges Klimaschutzgesetz werden die Bürger mit einer irrsinnigen Bürokratie und einer übermäßigen CO2-Abgabe belastet. Das ist höchst unsozial.“
FDP kritisiert "Ausgabenexplosion" von Rot-Grün
Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) verwies hingegen darauf, dass der Senat 2020 rund 2,5 Milliarden Euro weniger an Krediten aufgenommen habe, als erlaubt gewesen wären. Zudem kündigte er an, „auf die Personalkostenbremse zu treten“. Die Zahl der Beschäftigten solle durch Effizienzsteigerungen und Digitalisierung künftig konstant gehalten werden – mit Ausnahme der Mehrbedarfe im Bereich der Lehrkräfte.
Anna von Treuenfels-Frowein (FDP) warf der rot-grünen Koalition vor, den Haushalt aufgebläht zu haben: „Vor zehn Jahren hatte der Haushalt ein Volumen von elf Milliarden Euro, heute sind es 18 Milliarden. Das ist eine Steigerung um 60 Prozent, obwohl die Bevölkerung nur um rund zehn Prozent gewachsen ist.“ Rot-Grün gönne sich diese „Ausgabenexplosion diesmal vor allem unter dem falsch deklarierten Corona-Label, um allerlei ideologische Projekte durchzusetzen“, sagt die Liberale.
Bürgermeister Tschentscher bemühte sich, Zuversicht zu verbreiten
Bürgermeister Tschentscher ging auf die geäußerte Kritik mit keinem Wort ein. Stattdessen zog er zufrieden Bilanz und bemühte sich Zuversicht zu verbreiten: „Wir haben die Bewährungsprobe bestanden, in Deutschland und in Hamburg“, sagte er mit Blick auf die Corona-Pandemie. Angesichts des Einbruchs der Steuereinnahmen – 2020 wurde eine Milliarde Euro weniger eingenommen als im Vorjahr – habe es sich bezahlt gemacht, dass Hamburg in den Jahren davor insgesamt mehrere Milliarden Euro Überschüsse erwirtschaftet hatte: „Deshalb bin ich sicher, werden wir auch die vor uns stehenden Aufgaben bewältigen“, so Tschentscher. „Hamburg ist stark und Corona wirft uns nicht um.“
Detailliert zählte er auf, wo überall investiert werde: 750 Millionen Euro zusätzlich für die Hochschulen, allein 800 Millionen für Schulgebäude, Milliarden für neue U- und S-Bahnen, dreistellige Millionenbeträge in neue IT-Projekte und mehr als eine Milliarde für den Klimaschutz. Nachdem das Bundesverfassungsgericht in diesem Bereich mehr Anstrengungen gefordert hatte, werde der Senat seinen Klimaplan überarbeiten, kündigte Tschentscher an. Das Ziel sei, „so schnell wir möglich“ eine klimaneutrale Metropole zu werden.
Lunchpakete statt Büfett sind in dem Zusammenhang zwar nicht vorteilhaft – aber immerhin waren sie umweltfreundlich verpackt.
35,7 Milliarden Euro: Der Haushalt für 2021 und 2022
Der Hamburger Haushalt für 2021 und 2022 hat ein Volumen von 35,7 Milliarden Euro (18,1 Milliarden in diesem und 17,6 im kommenden Jahr). Das ist ein Plus von knapp 3,0 Milliarden oder neun Prozent gegenüber dem Etat 2019/2020.
Der Anstieg ist vor allem corona-bedingt: Knapp zwei Milliarden Euro sind allein zur Bekämpfung der Krise eingeplant. Dabei geht es jeweils rund zur Hälfte um direkte Mehrkosten (etwa für den Gesundheitsdienst, das Impfzentrum und Einnahmeverluste öffentlicher Unternehmen) und indirekte Kosten: So will der Senat die Wirtschaft mit einem 900 Millionen Euro starken Wirtschaftsstabilisierungsprogramm wieder ankurbeln.
Den größten Einzeletat verwaltet die auch für Gesundheit zuständige Sozialbehörde mit mehr als 4,3 Milliarden Euro pro Jahr vor der Schulbehörde mit rund 3,0 Milliarden. Zum Vergleich: Die Wirtschaftsbehörde hat rund 250 Millionen Euro zur Verfügung, die Umweltbehörde 325 Millionen.
Eigentlich hätte der Haushalt schon 2020 verabschiedet werden sollen. Das hatte sich durch die Corona-Krise und die Neubildung des Senats nach den Wahlen verzögert. Daher gilt noch eine vorläufige Haushaltsführung.