Hamburg. Der Schulsenator über sein Festhalten am Präsenzunterricht, Ausfälle von Lehrkräften und seinen Umgang mit Kritik.

Vor allem wegen der Corona-Pandemie fällt derzeit jeder zehnte Lehrer in Hamburg aus. „Unser Problem ist, dass Lehrkräfte jetzt auch bei einem kleinen Schnupfen zu Recht zu Hause bleiben.

Sie handeln damit sehr gewissenhaft, weil wir nicht wissen, ob sich dahinter Corona verbirgt“, sagte Schulsenator Ties Rabe (SPD) dem Abendblatt. Der Lockdown habe in den Klassen vier und fünf zu Lerndefiziten in Mathematik geführt, insbesondere bei Schülern aus „bildungsfernem Elternhaus“. Grund- und Stadtteilschulen hätten die meisten Probleme, nach dem Lockdown wieder zur Normalität zurückzukehren.

Hamburg: Zehn Prozent der Lehrkräfte nicht im Dienst

Der Anteil der Lehrerinnen und Lehrer, die sich per Attest vom Unterricht befreien ließen, sei aber nur „minimal von 1,5 auf 1,7 Prozent“ gestiegen, sagte Rabe. „Und das andere Problem sind die Quarantänemaßnahmen. Ich weiß von einem Fall, bei dem drei Viertel eines Kollegiums wegen dreier, außerhalb der Schule infizierter Schüler in Quarantäne geschickt werden mussten.“

Die Zahlen schwankten zwar von Tag zu Tag, so der Senator. „Aber man kann insgesamt sagen, dass sich die drei Effekte summieren auf zehn Prozent Lehrkräfte, die nicht in der Schule anwesend sein können. Über das ganze Schulsystem ist das theoretisch zu verkraften, aber wenn es sich an einzelnen Schulen ballt, muss der Unterricht für einige Tage eingeschränkt werden.“

Rabe: Schulschließung im Frühjahr haben zu Lerndefiziten geführt

Zu den durch den ersten Lockdown entstandenen Lerndefiziten sagte Rabe, dass diese nicht leicht zu messen seien. Hamburg sei „wohl das einzige Bundesland, das wenigstens in Grenzen belastbare Daten hat. Wir haben Vergleichswerte im Lesen und in Mathematik in den Hauptfächern der Klassen vier und fünf: Die Lernstandsuntersuchungen zeigen, dass Corona in Deutsch und im Lesen keine gravierenden Auswirkungen hatte. In Mathematik sieht die Sache anders aus. Insbesondere bei Schülern aus einem bildungsfernen Elternhaus können wir hier Rückstände feststellen.“

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Die Schulen selber bewerten die Situation laut Rabe als schwierig. „Die Rückmeldungen sagen, dass die Lehrkräfte nach den Sommerferien zum Teil Wochen brauchten, um eine einigermaßen vernünftige Arbeitshaltung der Schüler wieder herzustellen, die Arbeitsabläufe wieder einzuüben und das soziale Miteinander wieder an Regeln zu knüpfen, die vorher selbstverständlich gegolten hatten“, sagte der SPD-Politiker dem Abendblatt. Grund- und Stadtteilschulen meldeten demnach die meisten Probleme nach dem Lockdown.

Schulsenator Ties Rabe: Hamburg bundesweit Trendsetter

Auf die Frage, ob es weitere Lernangebote für Schüler mit Lerndefiziten geben werde, sagte Rabe: „Ich bin begeistert davon, mit welchem Engagement die Schulen in den Sommer- und Herbstferien Unterricht gegeben haben. Wir sind da wohl bundesweit Trendsetter. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir das verstetigen. Das ist eine Erfolgsgeschichte, die unter den Corona-Bedingungen nicht hoch genug einzuschätzen ist.“

Auch langfristig werde die Corona-Krise die Schulen verändern, glaubt der Senator. „Die Digitalisierung ist ein ganz auffälliges Beispiel dafür. Da ist viel in Bewegung gekommen und hat sich viel verändert“, so Rabe. „Eine negative Auswirkung ist, dass die Unbefangenheit des Miteinanders weg ist. Die Distanz wird von allen Seiten als Belastung empfunden. Gerade kleine Kinder brauchen Nähe. Und die permanente Grundsorge, dass eine Infektion stattfinden kann, trübt den Schulbetrieb. Ich weiß nicht, wie schnell das überwunden werden kann, selbst wenn es Impfungen gibt.“

Rabe: Man muss "die viele Kritik auch mal aushalten"

Zu der angesichts schwierigen Lage härter werdenden Kritik an der Schulpolitik sagte Rabe: „Entscheidend ist, dass man sich auf die Sache konzen­triert und dabei die Interessen aller Hamburgerinnen und Hamburger im Blick behält.“ Es gehe auch um „diejenigen in der Stadt, die sich nicht so laut zu Wort melden“. Diesen Ausgleich habe er im Blick. „Deswegen hänge ich auch so sehr am Präsenzunterricht, weil ich weiß, was es für Eltern bedeutet, wenn wir die Kinder wieder wochenlang nach Hause schicken. Wenn man hier als Politiker aufmerksam zuhört und alle Schutzmaßnahmen ermöglicht, die es braucht, dann bin ich mit mir im Reinen.“

Dann müsse man „die viele Kritik auch mal aushalten“, so Rabe. „Die Hälfte des Gehalts eines Schulsenators ist Schmerzensgeld, hat mir Henning Voscherau einmal zugerufen. Damit komme ich klar.“