Hamburg. Opposition fordert Rücktritt, Bürgermeister ist “sehr verärgert“: Grotes Umtrunk wird zum ersten Polit-Skandal der neuen Regierung.
Der entscheidende Mann schweigt – zumindest offiziell. Auch am Montag wollte sich Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) auf Anfrage weiterhin nicht öffentlich zu dem umstrittenen „Stehempfang“ von Innensenator Andy Grote (SPD) am 10. Juni in der HafenCity mit 30 Gästen äußern. In einem Telefonat habe er Grote scharf gerügt, heißt es im Rathaus. Er sei "sehr verärgert", ein solcher Fehler dürfe „nur einmal passieren“. Dennoch hält Tschentscher vorerst an Grote fest – obwohl inzwischen die gesamte Opposition geschlossen seinen Rücktritt fordert.
Grote drückte selbst über Tage nur sein Bedauern über einen „falschen Eindruck“ aus – erst am Montag gab er zu, dass bereits die Einladung zu einem Umtrunk anlässlich seiner zweiten Amtszeit ein Fehler gewesen sei: „So was darf nicht passieren, und ich kann das Unverständnis und den Ärger, den das bei vielen ausgelöst hat, sehr gut verstehen. Deshalb sage ich: Dieses Treffen hätte nicht stattfinden sollen, und dafür entschuldige ich mich ganz ausdrücklich.“
Grote bestreitet weiter, gegen Corona-Regeln verstoßen zu haben
Obwohl auch nach Einschätzung vieler Parteifreunde, Senatskollegen und Polizisten das Zusammentreffen eine verbotene Feier dargestellt habe, beteuert Grote weiterhin, keine Regeln gebrochen zu haben. Auch weil er sich juristisch im Recht sehe und sich gegen „boshaft gestreute Behauptungen“ von einer Party mit bis zu 50 Teilnehmern habe wehren wollen, hätte der Senator zunächst in den Verteidigungsmodus geschaltet, heißt es aus seinem Umfeld.
Alles zum Umtrunk des Innensenators:
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Bußgeldstelle der Innenbehörde überprüft Innensenator
Die Bußgeldstelle seiner eigenen Behörde hat begonnen, den Vorfall zu prüfen. Das Ergebnis könnte trotz der vorläufigen Treue des Bürgermeisters entscheidend für die Zukunft Grotes sein. Dabei ist klar: Wird die Zusammenkunft am 10. Juni rückblickend als „Veranstaltung“ oder „Feierlichkeit“ gewertet, hätte sie genehmigt werden müssen und war illegal – selbst wenn die Abstandsregeln eingehalten wurden.
In erstem Fall würde Grote als Veranstalter möglicherweise ein Bußgeld von bis zu 1000 Euro drohen. Auf die Ausrichtung einer nicht-öffentlichen Feier werden nach dem Katalog, den Grote selbst erlassen hat, in der Regel 500 Euro Strafe fällig. Auch der Wirt und die Gäste könnten dafür belangt werden, die Zusammenkunft zugelassen oder ihr beigewohnt zu haben. Grote selbst bestreitet weiter energisch, dass gegen Corona-Regeln verstoßen worden sei. Es habe eine positive, aber keine ausgelassene Stimmung geherrscht, und es sei nur „maßvoll“ Alkohol konsumiert worden.
Grundlage für Grotes Umtrunk: Eine wenig bekannte Lücke in den Coronaregeln
Nach Abendblatt-Informationen fand der Umtrunk in Barräumen statt, die an den „Club 20457“ in der HafenCity angrenzen. Mehrere SPD-Bürgerschaftsabgeordnete, die mit Grote befreundet sind, sollen an dem Umtrunk teilgenommen haben, möglicherweise auch Behördenmitarbeiter. Die betreffenden Politiker ließen schriftliche und telefonische Anfragen des Abendblattes dazu auch am Montag unbeantwortet.
Grote beteuert, die Zusammenkunft habe rechtlich nur „einer gemeinsamen Verabredung zum Besuch eines Gastronomiebetriebes“ entsprochen. Auf Nachfrage teilte die Senatskanzlei mit, dass diese Art von Treffen trotz der Kontaktbeschränkungen legal seien – das gelte auch, wenn wie bei Grote mehr als zehn Personen aus mehr als zwei Haushalten sich dort träfen. Im Rathaus heißt es weiter dazu, es handle sich um eine „Regelungslücke“, die seit längerem bekannt sei. Offenbar sah man keine Notwendigkeit, sie zu schließen, da im Falle einer ausgelassenen Feier dennoch eine Handhabe bestand. Weder Andy Grote noch Peter Tschentscher wiesen aber öffentlich daraufhin, dass so auch die Obergrenze von mehr als zehn Personen in einem Restaurant oder einer Bar überschritten werden könnten, solange sich die Gäste dabei nicht zu nahe kommen.
CDU spricht vom "Party-Senator" und von "Wortklauberei"
Ob die Bußgeldstelle den Umtrunk als legitim ansieht, ist damit aber noch längst nicht sicher. Irritiert zeigten sich auch Abgeordnete, die derzeit auch kleine Veranstaltungen absagen müssen. Das hatten die Behörden zuletzt bekräftigt. Für den CDU-Bundestagsabgeordneten Christoph de Vries ist das Verhalten Grotes nicht nachvollziehbar.
„Dass er als Party-Senator von sich Reden macht, während Menschen in Pflegeeinrichtungen kaum Besuch empfangen und Familien keine Kindergeburtstage mit Großeltern feiern dürfen, ist ein Schlag ins Gesicht hunderttausender Hamburgerinnen und Hamburger“, sagte der Innenpolitiker. „Mir fehlt jede Fantasie, wie er die Bürger noch glaubhaft zur Einhaltung der Kontaktverbote mahnen will.“ Der Bürgermeister, der stets zur Disziplin mahne, werde „wissen, was nun zu tun ist“. CDU-Innenexperte Dennis Gladiator warf Grote „fadenscheinige Ausreden, Umdeutungen und Wortklauberei“ vor.
Die Linke sieht Rücktritt von Andy Grote "seit Langem fällig"
Die Linke nannte einen Rücktritt Grotes „seit Langem fällig“. Die „Verletzung der Corona-Regeln ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“, so ihr Innenpolitiker Deniz Celik. Bereits nach G-20 habe Grote abtreten müssen. Für AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann ist ein Innensenator, der sich nicht an das Gesetz und Auflagen halte, nicht tragbar. „Politiker wie Grote verstärken das Misstrauen in die Politik.“
Das sieht die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein ähnlich: „Ein Grenzfall-Verursacher kann nicht Innensenator bleiben – man denke nur, er müsste bei einer zweiten Corona-Welle erneut strenge Maßnahmen durchsetzen.“
Der geringe Frauenanteil im Senat könnte Andy Grote retten
Auch bei der Polizei sorgt der Vorfall für Fassungslosigkeit – Grotes Beliebtheit ist aber dort weiterhin groß, die Gewerkschaften schweigen zur Affäre bislang. In der Sitzung der SPD-Fraktion am Montagabend übte nach Auskunft von Teilnehmern Fraktionschef Dirk Kienscherf Kritik an Grote, bekundete aber zugleich seine Solidarität.
Wie es im Rathaus heißt, werde an Grote festgehalten, weil er auch mit den Grünen kompatibel sei – und sich die Suche nach einer Nachfolgerin schwierig gestalten würde. Wegen des geringen Frauenanteils hatte der Bürgermeister versprochen, im Falle von Umbesetzungen in der Wahlperiode eine weitere Frau in den Senat zu holen.