Hamburg. Die SPD-Landeschefin hat sich in den Koalitionsverhandlungen profiliert. Grünen-Fraktionschef Tjarks wird Verkehrssenator.
Nach gut vier Wochen und zwölf Verhandlungsrunden sind SPD und Grüne auf der Zielgeraden. Der Verlängerung des seit 2015 bestehenden Rathaus-Bündnisses stehen keine inhaltlichen Gründe mehr entgegen. Während am Freitag im Großen Festsaal noch an den letzten Formulierungen des Koalitionsvertrags geschliffen wurde, ging es in kleiner Runde in Raum 2 des Senatsgeheges um den Schlussakt der Regierungsbildung: um die Verteilung der Macht im engeren Sinne, also um den Zuschnitt der Behörden und darum, wer welchen Posten bekommt. Mit anderen Worten: Es ging ans Eingemachte.
Die sechs, die da zusammensaßen und wohl auch noch am Pfingstsonnabend zusammenkommen, hatten bereits zum Auftakt das Sondierungsgespräch geführt: der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne), die Parteivorsitzenden Melanie Leonhard (SPD) und Anna Gallina (Grüne) sowie die Fraktionschefs Dirk Kienscherf (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne). Obwohl die Grünen als große Wahlsieger mit Macht auf mehr Posten im Senat drängen, die die SPD nicht gern herausrückt, gilt es als unwahrscheinlich, dass das rot-grüne Bündnis am Ende doch noch scheitern kann.
Die Wunden aus dem Bürgerschaftswahlkampf sind verheilt
Es ist nur ein paar Monate her, dass auch an dieser Stelle über eine wachsende Entfremdung der beiden Koalitionspartner, über zunehmende Animositäten und Störfälle im Regierungsalltag berichtet wurde. In der Spätphase des alten rot-grünen Bündnisses war das Klima nicht zuletzt durch die Kampfansage der Grünen, Katharina Fegebank als Bürgermeisterkandidatin und Herausforderin Tschentschers auszurufen, belastet. Doch die Wunden aus der Zeit des Bürgerschaftswahlkampfes sind jedenfalls so weit verheilt, dass einer gemeinsamen Zukunft im Senat auch atmosphärisch nichts im Wege steht.
Es gibt mehrere Gründe, die Sozialdemokraten und Grüne wieder so weit zusammengebracht haben, dass der Zwist von einst kaum mehr vorstellbar ist angesichts des herzlichen Einvernehmens, mit dem einige Akteure nach den einzelnen Verhandlungsrunden vor die Kameras und Mikrofone traten. Die Herausforderungen durch die Corona-Pandemie, in deren Verlauf SPD und Grüne nicht zuletzt Einschränkungen von Grundrechten in bislang unbekanntem Ausmaß vertreten mussten, hat die Belastbarkeit des Bündnisses bewiesen.
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Leonhard gilt als harte, aber verlässliche Verhandlerin
Bislang weniger im Blick bei der Ursachenforschung für das rot-grüne Revival ist die integrative Rolle, die SPD-Chefin und Sozialsenatorin Melanie Leonhard in den Verhandlungen gespielt hat. Von grüner Seite sind beinahe Lobeshymnen auf die zurückhaltende Sozialdemokratin zu hören. Leonhard wird als harte, aber verlässliche Verhandlerin geschildert, die die Schmerzgrenzen der anderen Seite immer im Blick hatte, um Kompromisse auszuloten.
Es sei Leonhard gewesen, die aufseiten der SPD die Zügel der Verhandlungsführung in der Hand gehalten habe, und nicht etwa der Erste Bürgermeister. Geradezu genüsslich wird von grüner Seite darauf hingewiesen, dass Leonhard gelegentlich Tschentscher in die Schranken wies, wenn sie der Ansicht war, sein Beitrag passe nicht direkt zum gerade diskutierten Thema. Es war aber ein bisschen auch ein Spiel mit verteilten Rollen aufseiten der SPD, wenn Tschentscher bei wiederkehrender Gelegenheit zum Missvergnügen der Grünen auf die aus SPD-Sicht unveräußerbaren Grundfunktionen der Stadt verwies, über die die SPD nicht mit sich reden lasse. Dabei war es Melanie Leonhard, die weit vor dem Wahlkampf die Grünen mit ihrer Aussage im Abendblatt-Interview Ende 2018 geradezu geschockt hatte, die SPD werde ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf ziehen. Das war mehr als ein Affront dem Bündnispartner gegenüber.
Später, auch nach der Wahl, hatte dann Tschentscher stets darauf hingewiesen, dass es für die SPD eine Alternative zu Rot-Grün mit der CDU als Regierungspartner gebe. Was ja übrigens bis zuletzt gilt, zumal CDU-Fraktionschef Dennis Thering seine Bereitschaft zum rot-schwarzen Bündnis in dieser Woche noch einmal bekräftigt hat.
SPD verzichtet auf einen Posten
Als Druckmittel in Richtung Grüne taugt der Hinweis auf die Union allemal – das gilt auch und gerade für den Ressortzuschnitt und die Vergabe der Senatorenposten. Mit der Forderung nach fünf (statt bislang drei) Ressorts sind die Grünen in die Schlussgespräche gegangen. Doch schon vorher zeichnete sich ab, dass Tschentscher den Grünen nur einen zusätzlichen Platz in seinem Senat einräumen will.
Ohne den Bürgermeister stellt die SPD acht Senatsmitglieder. Da sich beide Seiten einig sind, die gesetzlich festgeschriebene Zahl von zwölf Senatoren und Senatorinnen nicht zu erhöhen, müsste die SPD auf einen Posten verzichten. Das fällt der Partei insoweit leicht, als Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks erklärt hat, dem neuen Senat nicht mehr angehören zu wollen.
Der erste Schritt ist, dass das von den Grünen favorisierte Verkehrsressort aus der Wirtschaftsbehörde herausgelöst wird und Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks neuer Verkehrssenator wird. Doch hier zeigen sich auch sofort Probleme. Die SPD wird darauf beharren, die Zuständigkeit für die großen, vom Bund maßgeblich finanzierten Verkehrsinfrastrukturprojekte wie den Bau der A 26-Ost (den die Grünen lange abgelehnt haben) und der Köhlbrandquerung im Ressort Wirtschaft zu belassen.
Die Gesundheitsbehörde wird wohl aufgespalten werden
Die Grünen werden versuchen, das Verkehrsressort zum Beispiel durch die Übernahme der oberen Verkehrsbehörde aus der Innenbehörde, die unter anderem für Novellierungen der Straßenverkehrsordnung auf Bundesebene zuständig ist, aufzuwerten. Gerungen wird auch darum, ob die Zuständigkeit für den Flughafen der Wirtschafts- oder der Verkehrsbehörde zugeschlagen wird.
Die von grüner Seite ventilierte Idee, Stadtentwicklung und Verkehr unter einem Dach zusammenzuführen, wird wohl an der SPD scheitern. Die Sozialdemokraten halten an der alten Baubehörde mit dem wichtigen Wohnungsbauprogramm fest. Dorothee Stapelfeldt (SPD) bleibt demnach Behördenchefin.
Viel spricht dafür, dass die „verwaiste“ Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz ihre Eigenständigkeit verliert, um so einen Senatsposten einzusparen. Der Bereich Gesundheit könnte in die Behörde für Arbeit und Soziales zurückkehren, wo sie bis 2011 auch war – eine Aufwertung für Leonhard. Der Verbraucherschutz könnte einer „grünen“ Behörde zugeschlagen werden – Umwelt, Justiz oder Wissenschaft. Damit kämen die Grünen zusammen mit Verkehr und Verbraucherschutz auf fünf Ressort, aber nur vier Senatoren.
Tschentscher hält an seinen Senatoren fest
Es gilt im Grunde als sicher, dass Tschentscher keinen Senator entlässt, von dessen Arbeit und Engagement er überzeugt ist. Das würde bedeuten, dass die Sozialdemokraten Andy Grote (Inneres), Andreas Dressel (Finanzen), Ties Rabe (Schule) und Carsten Brosda (Kultur) sowie der Parteilose Michael Westhagemann (Wirtschaft) im Amt bleiben.
Der Plan hat nur einen Schönheitsfehler: Die SPD hätte dann nur zwei Senatorinnen, aber mit dem Bürgermeister sechs Männer im Senat. Tschentscher hat nach dem überraschend guten Wahlergebnis die Macht, das in seiner Partei durchzusetzen. Ganz einfach wäre das allerdings nicht.
Ein Problem mit dem Verhältnis von Frauen und Männern im Senat haben auch die Grünen: Katharina Fegebank wäre die einzige Frau neben drei Männern. Für die Grünen ist die Quotierung noch wichtiger als für die SPD. Vor fünf Jahren machten sie die etwas trickreiche Hilfsrechnung auf und bezogen die drei Posten des Fraktionsvorstandes ein, von denen zwei Frauen bekleideten.